Die Geschichte der Trinkwasser-Systeme im Laufe der Jahrhunderte

22.06.2016

Die Jubiläumszahl „50“ des EADPS®/FGR®-Jahresheftes war Anlass für einen geschichtlichen Rückblick auf 500 Jahre Trinkwassertransport und -verteilung. Dieser Lebensbereich ist untrennbar mit dem Traditionswerkstoff „Gusseisen“ verbunden: Er hat den Aufbau der Trinkwasserversorgung seit einem halben Jahrtausend geprägt und ist in dieser Zeitspanne dennoch durch einen stetigen Fluss von Verbesserungen, Optimierungen sowie Innovationen immer jung geblieben. Der Gussrohrindustrie ist es dabei gelungen, in Zusammenarbeit mit den Anwendern ein modernes und nachhaltiges Rohrsystem, bestehend aus Rohren, Formstücken und Armaturen, stets auf dem neuesten Stand der Technik zu halten.

Bild 1: Gussrohr vom Schloss Dillenburg (1455): [Quelle: EADIPS®/FGR®]

1 Einleitung

Es ist unbestritten, dass ausreichendes Trinkwasser die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung einer Zivilgesellschaft ist. Eine eindrucksvolle Schilderung des technischen Know-hows, des Organisationswissens und der Regelsetzung in der Trinkwasserversorgung des antiken Roms enthält [1]. Frontinus war der erste Vorstandsvorsitzende der römischen Wasserbetriebe, er hat seine Erfahrungen der Nachwelt hinterlassen.

Die Transportleitungen damals waren die Aquädukte, großartige Bauwerke, die das Wasser aus entfernten Quellen im freien Gefälle zu den großen Städten brachten. In dieser Phase wurde jedoch nicht nur die technische Infrastruktur der Wasserversorgung errichtet, sondern auch die Grundlagen für Recht, Finanzierung, Technisches Regelwerk und Verwaltung geschaffen, ohne die eine gesicherte Wasserversorgung nicht funktioniert. Später waren es vor allem die Königshäuser des Barock, die sich mit Wasserspielen in ihren Schlossgärten gegenseitig zu übertreffen suchten, für die jedoch Druckleitungen erforderlich waren. Einige Meilensteine dieser Entwicklung lauten:

  • 1412: erste bekannte Wasserleitung aus Gussrohren in Augsburg/Deutschland
  • 1455: gusseiserne Wasserleitung zum Schloss Dillenburg/Deutschland (Bild 1)
  • 1680: gusseiserne Flanschen-Rohre im Schlosspark von Versailles/Frankreich
  • 1700: Wasserspiel mit künstlicher Kaskade in Kassel-Wilhelmshöhe/Deutschland, seit 2013 UNESCO-Weltkulturerbe
  • 1840: 1,8 km lange Gussrohrleitung vom Pumpenhaus an der Havel zum Ruinenberg für die Fontänen im Schlosspark von Sanssoucis
2 Die industrielle Fertigung von Guss-Rohrsystemen

Mit der industriellen Revolution Mitte des 18. Jahrhunderts entstand die Möglichkeit der Energieumwandlung durch die Dampfmaschine. Diese Phase ist gleichzeitig durch einen sprunghaften Anstieg der Wissenschaften gekennzeichnet. In erster Linie dürften die Fortschritte in der Medizin und allgemeinen Hygiene für einen exponentiellen Anstieg der Bevölkerung gesorgt haben. Ein Grundbaustein dieses Fortschritts ist der Ausbau der Trinkwasserversorgung in den Städten.

Die zeitraubende Einzelfertigung von Trinkwasserrohren im Sandformverfahren wurde abgelöst durch eine mechanisierbare Fertigung in vertikal angeordneten Gießkarussellen, welche die erforderlichen Stückzahlen erst möglich machten (Bild 2). Eine weitere Beschleunigung der Gussrohrfertigung setzte im Jahr 1923 mit der Entwicklung des Schleudergießverfahrens ein. Mit dem de-Lavaud- Verfahren werden auch heute noch weltweit fast alle Gussrohre hergestellt (Bild 3).

Bild 2: Herstellung von Gussrohren mit Gießkarussellen (um 1900). [Quelle: EADIPS®/FGR®]

Bild 3: Herstellung eines Schleudergussrohrs im de-Lavaud-Verfahren. [Quelle: EADIPS®/FGR®]
 

3 Entwicklung der Verbindungstechnik

Ähnlich wie sich die Fertigungstechnik der Rohre im Laufe der Jahrhunderte an die gestiegenen Anforderungen anpassen musste, durchlief die Verbindungstechnik eine kontinuierliche Entwicklung. Die antiken und mittelalterlichen Rohre aus Stein, gebranntem Ton, Blei und schließlich auch aus Gusseisen hatten muffenförmige Enden und wurden mit Kitt abgedichtet. Für höhere Drücke kamen die Flansch-Verbindungen hinzu. Die mit geteerten Hanfstricken gedichteten und mit Blei vergossenen Muffen sind zum Teil sogar heute noch in Betrieb.

Erst mit der Erfindung des vulkanisierten Gummis kam der wesentliche Schritt für die moderne Rohrverbindung: Sie wurde nun beweglich, also abwinkelbar und längsverschiebbar und konnte sich dadurch den Erdbewegungen und Setzungen anpassen. Die Schraubmuffen-Verbindung „Union“ war in den dreißiger Jahren ein Quantensprung im Bau von Druckrohrleitungen für Wasser und Gas und löste die Jahrzehnte alte Technik der mit Blei verstemmten Stemmmuffe ab.

Bild 4: Steckmuffen-Verbindung TYTON®. [Quelle: EADIPS®/FGR®]

In den fünfziger Jahren wurde die Verbindungsmontage nochmals vereinfacht durch die Einführung der Steckmuffen-Verbindungen des Typs „TYTON®(Bild 4) und „Standard“. Diese Konstruktionen sind so bemessen, dass die Dichtheit durch einfaches Einschieben des Einsteckendes in die mit einer Dichtung versehene Muffe bewirkt wird, und zwar belastbar bis zum Berstdruck der Rohre, unter Beibehaltung der Beweglichkeit und über eine Nutzungsdauer von 100 Jahren, von denen inzwischen 60 Jahre bereits praktisch nachgewiesen sind.

Eine weitere Ausformung dieser Verbindung, nämlich die längskraftschlüssige Steckmuffen- Verbindung, wird später bei der Beschreibung der grabenlosen Einbauverfahren noch zu behandeln sein.

4 Werkstoffeigenschaften

Der Werkstoff, der die Menschheit seit Beginn der Eisenzeit begleitet, ist das Gusseisen, genauer das graue Gusseisen oder auch Gusseisen mit Lamellengrafit. Es entsteht primär bei der Verhüttung von Eisenerz im Hochofen, bedeutender ist jedoch seine Erzeugung beim Recycling von Schrott (Stahlschrott, Gussbruch, Altautos usw.) im Kupolofen. Die mechanischen Eigenschaften dieses Werkstoffes hängen im Wesentlichen von der Art des Grundgefüges und der Form des Grafits ab.

Bild 5: Duktilität – Praktische Auswirkungen am Beispiel der Längsbiegefestigkeit. [Quelle: EADIPS®/FGR®]

Die Entdeckung des Gusseisens mit Kugelgrafit und seine Anwendung auf dem Gebiet der Druckrohrleitungen in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren von epochalem Charakter. Bei diesem Werkstoff ist der elementare Kohlenstoff in Form von Grafitkugeln in das Grundgefüge eingebettet und verleiht ihm Plastizität und Verformbarkeit. Bei seiner Verwendung für Rohre, Formstücke und Zubehör wird der Werkstoff gemäß EN 545 [2] als duktiles Gusseisen bezeichnet. Beim Einsatz in Gehäusen für Armaturen heißt er, wie im Maschinenbau allgemein üblich, Gusseisen mit Kugelgrafit, dessen Eigenschaften in der Norm EN 1563 [3] fixiert sind. Beide Normen werden in unterschiedlichen Technischen Normungskomitees bearbeitet.

Die praktischen Folgen für die Belastbarkeit von Rohren, z. B. für die Längsbiegefestigkeit, zeigt Bild 5. Damit wird die grundlegende Bedeutung der Ablösung des klassischen, spröden Graugussrohrs von dem duktilen Guss- Rohrsystem in den fünfziger Jahren für den Rohrleitungsbau erkennbar.

5 Entwicklung der Schutzsysteme

In Anwesenheit von Wasser und Sauerstoff sind die Oxide und Hydroxide des Eisens thermodynamisch stabiler als das elementare Eisen, es rostet. Die Folgen davon sind bei Angriffen von außen Korrosionsschäden bis hin zur Perforation, bei Kontakt mit Trinkwasser auf der Innenseite wird dieses bis zur Braunfärbung negativ beeinflusst. Korrosionsschutz ist daher eine der Hauptaufgaben der Gussrohrerzeugung.

Folgende Meilensteine kennzeichnen die Entwicklung auf diesem Sektor:

  • 1960: Außenschutz mit Zink und bituminöser Deckbeschichtung
  • 1966: Tauchteer innen und außen (Entwurf DIN 28600 [4])
  • 1970: Zementmörtel-Auskleidung
  • 1995: Außenschutz mit Zink und Kunstharzdeckbeschichtung (Epoxidharz oder Polyurethan)

Das wesentliche Merkmal der Deckbeschichtung ist ihre Porosität als Voraussetzung dafür, dass der Bodenelektrolyt Kontakt mit dem darunter liegenden Zink bekommt.

In diesen Fällen reagiert das metallische Zink mit dem Bodenelektrolyt und bildet unlösliche Zinksalze, mit welchen sowohl die Poren der Deckbeschichtung als auch Verletzungen verschlossen werden. Der elektrische Widerstand zwischen dem Metall, zuerst dem Zink, später dem Eisen, zum Bodenelektrolyt nimmt zu, der Korrosionsstrom nimmt ab.

Die unabdingbare Grundvoraussetzung dafür, dass der Vorgang wie beschrieben abläuft, ist die Ausfällung der unlöslichen Zink-Reaktionsprodukte an der Grenzfläche zwischen Rohr und Bodenelektrolyt. Dafür darf der pHWert des Bodenelektrolyts nicht unter pH = 6 liegen. In sauren Böden (Moor, Marsch, Torf) funktioniert der Schutzmechanismus nicht. Genauso ist im alkalischen Milieu (pH ≥ 8,5) kein dauerhafter Schutz möglich, weil in alkalischen Elektrolyten die Zinksalze als Zinkate in Lösung gehen.

Bild 6: Duktile Gussrohre DN 600 mit Zementmörtel-Umhüllung. [Quelle: EADIPS®/FGR®]

Eine besonders erfolgreiche Entwicklung auf diesem Sektor ist die Zementmörtel-Umhüllung (ZM-U) gemäß EN 15542 [5] (Bild 6). Sie besitzt eine gewisse Porosität, durch die der darunter liegende Zinküberzug mit dem Bodenelektrolyt in Wechselwirkung steht. Bei einer Schichtdicke von 5 mm nimmt der Umhüllungswiderstand infolge einer fortschreitenden Hydratisierung des Zements im Lauf der Zeit zu. Die ZM-U ist durch inerte Fasern strukturell verstärkt und widersteht deswegen enormen mechanischen Belastungen, sei es z. B. beim grabenlosen Einbau in schwierigen Böden oder beim Einbau in offenen Gräben, wo sogar grobkörniges oder felsiges Aushubmaterial direkt wiederverwendet werden kann. Die ZM-U ist daher für den Einsatz in Böden aller Art hervorragend geeignet. Untersuchungen an Leitungen nach über 30 Jahren Einsatz in aggressiven Böden zeigten eine neuwertige Eisenoberfläche ohne jeglichen Angriff [6].

Bild 7: Absperrklappe innen emailliert, außen mit Epoxidharz-Pulver beschichtet. [Quelle: EADIPS®/FGR®]

Während in der Vergangenheit Teer- und Bitumenlacke zum Schutz von Formstücken und Armaturen angewendet wurden, ist der heutige Stand der Technik durch Epoxidharz und Email gekennzeichnet. Beide Schutzarten sind so genannte Barriere-Schichten mit hohem Umhüllungswiderstand, sie werden in Schichtdicken aufgetragen, welche zu einer weitgehenden Porenfreiheit führen.

Die Epoxidharz-Beschichtung wird durch Aufschmelzen eines Epoxidharz-Pulvers auf der frisch gestrahlten und erhitzten Oberfläche des Formstücks oder Gehäuses aufgetragen. In der flüssigen Phase laufen Polymerisationsreaktionen ab, welche zu einer hoch beständigen und geschlossenen Schutzschicht führen. Die Mindestschichtdicke beträgt 250 μm, weitere Anforderungen und Prüfmethoden sind in EN 14901 [7] beschrieben. Die Epoxidharz- Beschichtung ist in Böden aller Art einsetzbar.

Die moderne Komplett-Emaillierung von Formstücken und Armaturen hat sich mit Hilfe neuerer Erkenntnisse in der Silikattechnik aus der alten Kunst des Emaillierens von gusseisernen Öfen entwickelt. Als anorganische Auskleidung von Formstücken und Armaturen erfreut sie sich im Trinkwasserbereich großer Beliebtheit. Anforderungen und Prüfmethoden enthält DIN 51178 [8] (Bild 7).

6 Längskraftschlüssige Steckmuffen-Verbindungen

Die eingangs beschriebenen Steckmuffen- Verbindungen nehmen keine Längskräfte auf, welche bei Richtungs- oder Querschnittsänderungen, Abzweigen oder Endverschlüssen auftreten. Diese Kräfte müssen über geeignete Widerlager, meist aus Beton, in den Baugrund eingetragen werden. Bei großen Nennweiten und Leitungen außerhalb von Städten wird dies nach wie vor auf Grundlage des DVGW Arbeitsblattes GW 310 [9] praktiziert.

Eine wichtige Alternative hierzu liegt im Einsatz längskraftschlüssiger Verbindungen, deren technische Differenzierung den Rahmen dieses geschichtlichen Überblicks sprengen würde. Neben einem Hinweis auf das Kapitel 9 des EADIPS®/FGR®-E-Books [10] mit seinen ausführlichen Details seien im Folgenden wieder nur die Meilensteine aufgeführt.

6.1 Reibschlüssige Steckmuffen-Verbindungen

Die Längskräfte werden durch scharfgeschliffene und gehärtete Zähne von Halteelementen in die Oberfläche des Einsteckendes übertragen.

  • 1972: Tyton SIT®
  • 1985: Novo SIT®
  • 1995: BRS®, TYTON SIT PLUS®

Neben diesen Konstruktionen haben sich in den unterschiedlichen regionalen Märkten ähnliche Lösungen, meist auf Grundlage anderer Dichtungssysteme, entwickelt.

6.2 Formschüssige Steckmuffen-Verbindungen

Bild 8: Längskraftschlüssige Steckmuffen-Verbindung BLS®/ VRS-T® (≤ DN 500) und BLS® (≥ DN 600). [Quelle: EADIPS®/FGR®]

Die Kräfte werden über angeformte Elemente, z. B. Schweißraupen auf den Einsteckenden in Kombination mit Kraftübertragungselementen, übertragen. Die wichtigsten Vertreter dieser zwischen 1975 und 1985 entwickelten Gattung heißen

  • TIS-K,
  • BLS®/ VRS®-T und BLS® (Bild 8).

Durch die immer weiter optimierte Kraftverteilung zwischen Muffe und Spitzende wurde es sogar möglich, die Verbindungen bis zum Berstdruck der Rohre zu belasten. Dies hat sich in zwei wesentlichen Richtungen ausgewirkt: im Bereich von Hochdruckanwendungen, wie Turbinenleitungen für Wasserkraftwerke und Beschneiungsanlagen im Gebirge auf der einen Seite. Die zweite Richtung jedoch hat ab den 1990er Jahren eine umfangreiche Ausweitung der Bauverfahrenstechnik ausgelöst, nämlich die der grabenlosen Einbau- und Erneuerungsverfahren.

7 Grabenlose Einbau- und Erneuerungsverfahren

Bild 9: Einbau DN 900 mit dem HDD-Verfahren in Valencia 2007. [Quelle: EADIPS®/FGR®]

Mit den leistungsfähigen formschlüssigen Steckmuffen-Verbindungen des Abschnitts 6 ist die Voraussetzung gegeben, Leitungen aus duktilen Gussrohren grabenlos einzubauen und zu erneuern. Mit Beginn der 1990er Jahre setzt eine beispiellose Entwicklung der grabenlosen Einbauverfahren ein, die im Kapitel 22 des EADIPS®/FGR®-E-Books [11] in allen Einzelheiten nachzulesen ist.

Folgende Stationen der Entwicklung seien hier genannt:

  • 1993: Horizontal-Spülbohr-Verfahren (Bild 9)
  • 1990: Rohrzieh-Verfahren
  • 1999: Hilfsrohr-Verfahren

Die beiden letztgenannten Verfahren werden von den Berliner Wasserbetrieben mit Neurohren aus duktilem Gusseisen praktiziert. Jährlich werden allein in Berlin auf diese Weise in den Nennweiten DN 80 bis DN 500 rund 10.000 m Rohrleitungen ausgewechselt. Eine Weiterentwicklung erlaubt eine deutliche Vergrößerung der Nennweite, wenn der dabei anfallende überschüssige Boden entnommen wird.

1999: Einzug mit Raketenflug

Das Verfahren nutzt einen höhenverstellbaren Pflug, mit dem ein fertig montierter Rohrstrang in eine neue Trasse eingezogen wird. Die Anwendung beschränkt sich auf ländliche Räume, in denen noch keine unterirdischen Strukturen vorhanden sind. Besonders in Böden mit großen und scharfkantigen Steinen haben sich duktile Gussrohre mit der robusten Zementmörtel-Umhüllung bewährt.

Bild 10: Langrohr-Relining mit Rohren DN 800. [Quelle: EADIPS®/FGR®]

2003: Statisches Berstlining

Hier wird das Neurohr ebenfalls trassengleich eingezogen, jedoch verbleibt die Altleitung entweder in Form von Bruchstücken oder als aufgeschnittener und aufgeweiteter Rohrstrang im Boden. Während des Einzugs können die neuen Rohre an den scharfkantigen Bruchstücken entlangschleifen, weswegen für sie extrem robuste und kerbunempfindliche Werkstoffe erforderlich sind. Duktile Gussrohre mit Zementmörtel-Umhüllung nach EN 15542 [5] haben sich in zahlreichen Anwendungsfällen hervorragend bewährt.

2003: Langrohr-Relining

Bei diesem Verfahren werden neue Rohre in die unveränderte Altrohrleitung eingezogen oder eingeschoben, wodurch sich der freie Querschnitt der Leitung verkleinert, was aber häufig vor dem Hintergrund verringerter Wasserverbräuche willkommen ist, weil sich damit die Fließgeschwindigkeiten wieder erhöhen lassen (Bild 10). Das Verfahren erfreut sich großer Beliebtheit und hat sich in mehr als 10.000 m Gesamtlänge bewährt.

8 Entwicklung der Wanddicke

Als Mitte der fünfziger Jahre die ersten duktilen Gussrohre produziert wurden, war das Sicherheitsdenken zunächst noch von den dickwandigen Graugussrohren geprägt. Nachdem die ersten praktischen Erfahrungen vorlagen, erstellte die FGR im Jahr 1961 eine Verbandsnorm mit Vorläufigen Technischen Lieferbedingungen. Als dann der DVGW mit einer wissenschaftliche Untersuchung („Wellinger- Studie“) die Bemessungsgrundlagen mit Belastungsannahmen aus den Bettungsbedingungen geschaffen hatte, konnten ein Jahr später die ersten DIN-Normen, die DIN 28600 [4] und die DIN 28610 [12] entworfen werden und zwei Jahre später als Weißdruck erscheinen.

Die Nennwanddicken S0 waren unter Berücksichtigung der zulässigen Umfangsspannungen in der Rohrwand mit der Formel

S0 = 5 + 0,01 · DN [mm]
(1)


in der Wanddickenreihe K 10 festgelegt.

Im Jahr 1979 zeigte die internationale Norm ISO 2531 [13] einen Weg auf, mit dem sich geringere Wanddicken kohärent in eigenen K-Klassen darstellen ließen:

s = K · (0,5 + 0,001 · DN) [mm]
(2)


wobei K aus einer Reihe von ganzzahligen Zahlen … 8, 9, 10, 11, 12 … auszuwählen ist. Bereits 1976 hatte der DVGW-Fachausschuss „Rohre und Rohrverbindungen“ die FGR wegen der Möglichkeit, auch dünnwandigere Rohre zu normen, um Überarbeitung der DIN 28600 [4] gebeten. Die Einführung der Wanddickenklassen K 9 und K 8 im Jahr 1980 war das Ziel. Mit der Erarbeitung der ersten Europäischen Produktnorm EN 545 im Jahre 1995 wurden diese Wanddickenklassen K 8 bis K 10 als Standardwanddicke übernommen.

Bild 11: Entwicklung der Mindestwanddicken von 1966 bis heute. [Quelle: EADIPS®/FGR®]

Die treffsichere Erzeugung der geringeren Wanddicken im Schleudergießverfahren reifte in den fünf Jahrzehnten seit dem Aufkommen der duktilen Gussrohre durch verbesserte Maschinensteuerung und ständige Verfahrensoptimierung heran. So war es nur konsequent, dass sich die Gussrohrindustrie dem Trend anschloss, Bauteile der Wasserversorgung den herrschenden Drücken anzupassen, wie er sich in der EN 14801 „Bedingungen für die Klassifizierung von Produkten für Rohrleitungssysteme für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung nach auftretenden Drücken“ [14] manifestierte. Bereits 2002 führt die EN 545 in ihrer damals aktuellen Ausgabe die Druckklasse C 40 neben den noch bestehenden K-Klassen ein, im Jahr 2010 enthält die EN 545 [2] nur noch die Druckklassen. Die Entwicklung der Mindestwanddicken während des letzten halben Jahrhunderts im Bild 11 zeigt fast eine Halbierung seit der Einführung der duktilen Gussrohre.

Parallel zu diesen fertigungstechnischen Verbesserungen entwickelten sich auch unter dem Druck ökonomischer Anforderungen die grabenlosen Einbauverfahren, bei welchen fast ausnahmslos längskraftschlüssige Verbindungen eingesetzt werden. Die formschlüssigen Varianten mit ihrer Schweißraupe auf dem Einsteckende setzen der weiteren Entwicklung zu dünneren Wänden ein Ende: Die Schweiß- Verfahren benötigen für den fehlerfreien Einbrand der Schweißraupe eine Wanddicke, die mindestens zwischen 5 mm und 6 mm liegen sollte.

Außerdem bedingen die mehrachsigen Spannungszustände in einer Rohrwand, die neben der Umfangsspannung aus Innendruck zusätzliche Axialspannungen aufnehmen muss, eine deutliche Absenkung des zulässigen Bauteilbetriebsdruckes PFA gegenüber der längskraftfreien Ausführung. Die Angabe der Druckklasse C als Synonym für den zulässigen Bauteilbetriebsdruck PFA reicht also bei längskraftschlüssig betriebenen Rohrleitungen nicht mehr aus. Jeder Hersteller muss daher für seine längskraftschlüssige Verbindung den niedrigeren Wert für den PFA angeben. Die EADPS®/FGR® hat dieser Forderung dadurch Rechnung getragen, dass sie eine eigene Kennzeichnungsnorm, die EADPS®/FGR®-NORM 75 [15], veröffentlicht hat.

9 Schlussbetrachtung

Mit dem vorliegenden Beitrag aus Anlass des 50. Jubiläumsjahrganges der EADPS®/FGR®- Jahreshefte soll vorgestellt werden, wie der Traditionswerkstoff „Gusseisen“, welcher den Aufbau der Trinkwasserversorgung seit einem halben Jahrtausend geprägt hat, durch einen stetigen Fluss von Verbesserungen, Optimierungen und Innovationen immer jung geblieben ist. Dabei ist es der Gussrohrindustrie gelungen, in Zusammenarbeit mit den Anwendern ein modernes und nachhaltiges Rohrsystem, bestehend aus Rohren, Formstücken und Armaturen, stets auf dem neuesten Stand der Technik zu halten.

Literatur

[1] Frontinusgesellschaft e. V., München 2013
[2] EN 545: 2010
[3] EN 1563: 2012
[4] Entwurf DIN 28600: 1966-04
[5] EN 15542: 2008
[6] Rink, W. GUSS-ROHRSYSTEME Heft 45 (2011), S. 29 ff Download: www.eadips.org/jahreshefte-d/
[7] EN 14901: 2014
[8] DIN 51178: 2009-10
[9] DVGW-Arbeitsblatt GW 310: 2009-01
[10] EADIPS®/FGR®-E-Book, Kapitel 9 Download: www.eadips.org/e-book-d/
[11] EADIPS®/FGR®-E-Book, Kapitel 22 Download: www.eadips.org/e-book-d/
[12] Entwurf DIN 28610: 1966-04
[13] ISO 2531: 1979
[14] EN 14801: 2006
[15] EADIPS®/FGR®-Norm 75: 2013-06

(Erstveröffentlichung in: GUSS-ROHRSYSTEME - Information of the European Association for Ductile Iron Pipe Systems • EADIPS®)

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