Technologie trifft Ökonomie

30.10.2014

Essener Kanalgipfel zum Thema Nachhaltigkeit von Entwässerungssystemen

Nachhaltigkeit gilt als Leitbild für die zukunftsträchtige Entwicklung unserer Gesellschaft, nicht zuletzt ist sie Ausdruck unserer Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen. Den Kurs für eine nachhaltige Entwicklung in unserem Land bestimmt die von der Bundesregierung 2002 beschlossene nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Nachhaltig zu handeln bedeutet, vom Ertrag zu leben und nicht von der Substanz. Bildlich gesprochen: Wir können nur so viel Holz schlagen, wie auch nachwachsen kann. Vom gesellschaftlichen Standpunkt aus heißt das: Jede Generation muss ihre Aufgaben selbst lösen und darf sie nicht kommenden Generationen aufbürden.

Das gilt in besonderem Maße für den Umgang mit unserer Infrastruktur, von der Wasserversorgung über Verkehrswege und die Energie- und Telekommunikationsversorgung bis hin zu Anlagen der Abwasserbeseitigung. Wir nutzen diese wie selbstverständlich und vertrauen darauf, dass sie funktionieren. Was viele außerhalb unserer Branche nicht wissen: Mit rund 576 Mrd. Euro stellen die Abwasseranlagen das größte Anlagevermögen der Kommunen dar – ein Wert, den es nicht nur zu verwalten, sondern zu erhalten gilt. Doch werden wir diesem Anspruch gerecht?

Bei der Bewirtschaftung von Abwassernetzen müssen Techniker und Kaufleute zusammenarbeiten. Dies wird häufig als Arbeit mit entgegengesetzten Zielrichtungen empfunden – begleitet vom bitteren Eingeständnis, dass sich die Technik den wirtschaftlichen Belangen unterzuordnen habe. Doch kann man überhaupt technisches Sachverständnis und wirtschaftliche Belange voneinander trennen? Oder fehlt es vielmehr an einer geeigneten Grundlage, auf der – für beide Seiten nachvollziehbar und quantifizierbar – langfristige Szenarien und Visionen gemeinsam erarbeitet werden können? Das jedenfalls war Tenor der Referate und Diskussionen auf dem Fachkongress KANALGIPFEL 2014, den das Fachmagazin tHIS und die Ingenieurgesellschaft Stein & Partner am 1. und 2. Oktober 2014 in Essen, Parkhaus Hügel, durchgeführt haben.

Strategien für den Erhalt

Die von der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau und weiteren Verbänden und Organisationen unterstützte Veranstaltung vermittelte Strategien für die detaillierte und konsistente Wertermittlung von Entwässerungssystemen sowie deren Werterhalt. Mit der gemeinsamen Zielstellung, ein zukunftsorientiertes Netzmanagement zu betreiben, diskutierten 70 Teilnehmer über die Bewertung des Kanalvermögens und Instrumente zur nachhaltigen Entwicklungsplanung.

Bei der Zusammenarbeit von Technikern und Kaufleuten geht es um die gemeinsame Beantwortung der Fragen: Welcher Aufwand ist notwendig, um die Netzsubstanz langfristig zu bewahren? Welcher Mitteleinsatz ist hierfür darstellbar und führt zu einer nachvollziehbaren Gebührengestaltung? Unabhängig hiervon ist stets zu hinterfragen: Wie können die zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effizient eingesetzt werden? In diesem Zusammenhang werden verstärkt diesbezügliche Ansätze diskutiert, wie z. B. eine sinnvolle Mehrspartenstrategie, bei der Arbeiten an unterschiedlichen Versorgungsnetzen stärker aufeinander abgestimmt bzw. – wenn möglich – gebündelt werden.

Deutlich wurde in Essen an vielen Beispielen aus der Praxis: Sobald sich Techniker und Kaufleute an einen Tisch setzen und konkrete Szenarien und Auswirkungen diskutieren, können Lösungen entstehen, die dem Anspruch an Nachhaltigkeit gerecht werden. Dazu ist eine gemeinsame Diskussionsgrundlage notwendig, die die Auswirkungen verschiedener Szenarien auf Netzzustand und Gebührenentwicklung darstellen, und das langfristig. Denn neben der Höhe der Investition ist insbesondere auch der Zeitpunkt, zu dem diese getätigt wird, von Bedeutung. Das brachte das Motto „Technology meets economy“ zum Ausdruck, mit dem der Moderator Dr. Harald Friedrich die Veranstaltung umschrieb.

Effizienter Einsatz der Mittel

Ein gutes Netz altert langsamer als ein schlechtes – wer hier am falschen Ende spart, riskiert, dass nachfolgende Generationen umso kräftiger draufzahlen. Grundsätzlich ist die Finanzierung machbar – entscheidend ist vor allem, wie effizient die erforderlichen Mittel eingesetzt werden, so eine Botschaft vieler Referenten. „Die Frage lautet nicht: ‚Investieren wir genug?’, sondern Investieren wir richtig?“, so zum Beispiel Dr.-Ing. Robert Stein, geschäftsführender Gesellschafter der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, „denn massive Probleme können wir uns nicht leisten – als Bürger, als Ingenieure, als Väter.“ An Hilfsmitteln, wie sich der Wert der Infrastruktur ermitteln lässt, mangelt es nicht – angefangen bei Software für die Substanzwertermittlung und Altersmodelle bis hin zu den passenden Instrumenten für die Auswahl geeigneter Materialien oder die Suche nach passenden Unternehmen für eine Ausführung in der gewünschten Qualität: etwa auf Basis einer Auftragsvergabe nach den Anforderungen der Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 961 der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau.

Erfahrungen mit einer Substanzwert-Strategie hat der Düsseldorfer Stadtentwässerungsbetrieb gesammelt. Deren Technischer Leiter, Dr. Claus Henning Rolfs, unterstrich die Forderung nach einer ganzheitlichen Investitionsplanung und machte die positiven Effekte einer Investitionsstrategie deutlich, die auf Kontinuität setzt. Seit 25 Jahren investiere man fortlaufend in das Netz, dessen älteste Kanäle aus dem Jahr 1874 stammen. Ergebnis: „Der Anteil des Netzes mit vordringlichem Handlungsbedarf liegt in Düsseldorf bei 1,15 % – zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt liegt dieser Wert bei 8 %.“ Was Nachhaltigkeit bedeutet, wurde in Rolfs’ Vortrag am praktischen Beispiel deutlich: In vielen der gemauerten Kanäle aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert werden lediglich die Fugen saniert, da die Substanz über viele Jahrzehnte trägt. Die Landeshauptstadt, so Rolfs, zähle zu den Städten mit den niedrigsten Abwassergebühren, für die Zukunft sei nicht mit sprunghaften Gebührenerhöhungen zu rechnen.

Der „Nutzungsdauer im Spannungsfeld von Gebühren und Vermögenslage“ widmete sich Prof. Dr. Martin Stachowske, Mitgesellschafter und Geschäftsführer der IWEB Institut für Wasser und Energie Bochum GmbH. Er bezweifelte, dass lange kalkulatorische Nutzungsdauern in allen Fällen realistisch seien und schlug vor, mit spezifischen Nutzungsdauern zu kalkulieren.

Zum Stand der Arbeit am Regelwerk DWA-M 143-14 in Bezug auf strategische Planungserfordernisse berichtete Dipl.-Ing. Hans-Wilhelm Froitzheim, ehemaliger Leiter des Tiefbauamtes der Stadt Essen und Mitglied des Fachausschusses 8 „Inspektion und Sanierung“ der DWA. Er erwartet für 2015 eine Neuauflage des 2005 erstmals veröffentlichten Merkblatts und avisierte, das bislang sehr theoretische Merkblatt werde praxisbezogene Ergänzungen enthalten.

Nicht die gleiche Sprache

Auf ein praktisches Problem ging auch Thomas Mösl, M.A., kaufmännischer Geschäftsleiter des AmperVerbandes und 2. Bürgermeister der Gemeinde Egenhofen in seinem Vortrag „Strategische Planung als Kommunikationsgrundlage in einem Verband in Bezug auf Gebührentransparenz“ ein. Oft sprächen technische und kaufmännische Abteilung nicht die gleiche Sprache, für technische Begriffe müssten zunächst einmal Entsprechungen in der kommunalabgabenrechtlichen Zuordnung gefunden werden. Mösl unterstrich die Bedeutung effizienter Mittelverwendung: „Wenn wir es vernünftig angehen, bewegen sich die Gebührenerhöhungen im Centbereich“. Mösl rechnete vor, dass das Durchschnittsalter der Kanäle bei einer „Weiterso“-Strategie auf 90 Jahre angestiegen wäre, dank einer substanzerhaltenden, langfristig bis 2028 umzusetzenden Strategie aber auf nur 40 Jahre reduziert werden konnte – „und das bei moderatem Gebührenanstieg von jährlich 2,5 %“. Noch etwas war Mösl wichtig: „Das Netz gehört dem Bürger – das muss die Botschaft sein.“

Auf „Alterungsmodelle und Qualitätsanforderungen“ ging Prof. Dr.-Ing. Karsten Kerres, Lehrgebietsleiter Bauingenieurwesen-Netzingenieur an der RWTH Aachen, ein. „Wie lassen sich Alterungsprozesse beschreiben – und wie kann man die Qualität von Prognosen beurteilen?“, lauteten zentrale Fragen, die Kerres erörterte. Dipl.-Ing. Swen Pfister, Bereichsleiter Netz und Prokurist bei der hanseWasser Bremen GmbH, stellte im Anschluss die Ergebnisse der schadensorientierten Sanierungsstrategie vor, die das Unternehmen verfolgt. Die sei „absolut erfolgreich“: Im Zeitraum von 15 Jahren sei es gelungen, rund 28 % des Netzes zu sanieren, „und das ohne Gebührenerhöhung“, so Pfister. Zum Ende der Vortragsreihe erläuterte Dipl.Ök. Filip Bertzbach, Geschäftsführer der aquabench GmbH, welchen Beitrag Benchmarking zum Werterhalt von Entwässerungssystemen leisten kann.

Auch bei der abschließenden Podiumsdiskussion wurden die in der Veranstaltung vorgestellten Beispiele für „große“ und „kleine“ Kommunen und Netzbetreiber dargestellt, die den Weg zu einer zukunftsorientierten Nachhaltigkeitsstrategie optimistisch beschreiten. „Hier handelt es sich um eine wichtige Erkenntnis und Botschaft, die hoffentlich zu vielen Nachahmern führt“, wünscht sich Dr.-Ing. Marco Künster. Der Geschäftsführer der Gütegemeinschaft Kanalbau sieht in der langfristigen und gleichberechtigt zwischen „technischen Erfordernissen“ und „wirtschaftlichen Möglichkeiten“ abgewogenen Netzbewirtschaftung den nächsten logischen Schritt nach den umfangreichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Notwendige Voraussetzung für diesen Schritt waren die umfängliche Zustandserfassung der Netze sowie die Entwicklung von Sanierungstechniken und -materialien und nicht zuletzt die Erfahrungen im Bereich Qualitätssicherung.

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