Tunnel der Zukunft – eine neue Generation in Sachen Sicherheit und Technologie

17.06.2015

Ermanno Magni, Technical Product Application Manager Europe bei Morgan Advanced Materials, hat die Wirksamkeit von Brandschutzmaßnahmen in Tunnelanlagen geprüft.

1999 fing ein Kühltransporter im Mont-Blanc-Tunnel Feuer. In der räumlichen Enge griffen die Flammen schnell um sich und erreichten Temperaturen von über 1.000 Grad Celsius. Zwei Tage lang brannte das Feuer. Dabei kam es zu einer extremen Hitzeentwicklung und zur Freisetzung von giftigen Rauchgasen. Die Rettungskräfte konnten infolgedessen nicht zur Brandstelle vordringen. Insgesamt starben bei dem Unglück 39 Menschen.

In diesem Tunnel wurde das Sicherheitskonzept im Folgenden modernisiert. Im Schweizer Gotthardt-Tunnel kam es jedoch kaum zwei Jahre später zu einem weiteren Tunnelbrand. Ursache war ein Zusammenstoß zweier Lastkraftwagen, bei dem durch den Brand bedingt elf Menschen uns Leben kamen. Seit seiner Eröffnung im Jahre 1994 kam es auch im Eurotunnel zu drei Bränden. Der Verkehr musste eingestellt werden und mehrere Menschen wurden leicht verletzt. Glücklicherweise waren jedoch keine Todesfälle zu beklagen.

Diese und andere gravierende Zwischenfälle machen deutlich: Ein Tunnelbrand kann katastrophale Folgen haben. Der Verlust von Menschenleben ist sicherlich die schlimmste Folge, aber Brände verursachen auch große Sachschäden an der Tunnelstruktur. Drei Jahre lang war der Mont-Blanc-Tunnel nach dem Brand für Reparaturarbeiten geschlossen, womit eine wichtige Verkehrsverbindung zwischen Italien und Frankreich ausfiel. Gegen insgesamt 16 Einzelpersonen und Unternehmen wurde Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben - unter ihnen Sicherheitsbehörden sowie die italienische und die französische Betreibergesellschaft des Tunnels.

Als der Tunnel 2002 wieder eröffnet wurde, war er mit einem modernen Brandmeldesystem, einem parallelen Rettungsstollen und zusätzlichen Brandschutznischen ausgerüstet. Das Geschehene lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Mensch hat aus dem Unglück gelernt und den Tunnel nach dem neuesten Stand der Technik ausgestattet.

Die Tunnelbrände führten zu einem Umdenken in puncto Sicherheit. Die heute bestehenden gesetzlichen Vorgaben sind sehr streng. Vorgeschrieben sind unter Anderem aktive Brandschutzmaßnahmen wie Sprühwasser-Löschanlagen und eine Reihe passiver Schutzvorkehrungen, darunter Brandschutzplatten und Spritzverkleidungen. Diese können zum Schutz der Tunnelwände aus Stahlbeton nachträglich aufgebracht werden. Aufgrund ihres großflächigen Einsatzes waren diese Brandschutzmaßnahmen Gegenstand umfassender Forschungsarbeiten im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojektes UPTUN (Upgrading of Tunnels).

In einem Versuchsstollen wurden dabei Tunnelbrände simuliert, um zwei Aspekte genauer untersuchen zu können: Die potentielle Feuerbelastung bei einem Tunnelbrand und die Leistungsfähigkeit von Brandschutzverkleidungen. Während bei einem typischen Autobrand nur 400 Grad Celsius erreicht werden, wurden bei einem Simulationsbrand im Runehamar Testtunnel Spitzentemperaturen von mehr 1.300 Grad gemessen, als ein mit 9,9 t Holzpellets beladener LKW in Brand gesetzt wurde.

Bei so hohen Temperaturen treten zwei Probleme auf: Es kann zu explosiven Abplatzungen der Betonauskleidungen kommen, und die Stahlbewehrung selbst kann ihre Tragfähigkeit verlieren. Ein gemeinsames Forschungsprojekt der norwegischen Public Roads Administration und der SP Fire Research in Schweden zur Ermittlung der Risiken bei Tunnelbränden kam zu folgendem Schluss: Ohne weitergehende Brandschutzvorkehrungen kommt es im Falle eines Tunnelbrandes durch die hohen Temperaturen zu starken Abplatzungen der Betonauskleidung und letztlich sogar zu einem Einsturz der Tunnelanlage. Außerdem sind alle Brandschutzlösungen, so das Ergebnis der Untersuchung, in weiteren Großversuchen zu testen, da Brandschutzplatten, die bereits einige Feuertests erfolgreich bestanden hatten, versagten, als eine Vorspannung von 5,5 MPa angelegt wurde.

Die Untersuchung hat ferner ergeben, dass das Risiko von Abplatzungen je nach Betonsorte bei unterschiedlichen Temperaturen auftritt. In einem Forschungsprojekt, das unlängst im Al-Azhar-Tunnel in Kairo durchgeführt wurde, kam es schon bei einer Brandtemperatur von nur 200 Grad Celsius zu Abplatzungen. Dies veranlasste die Tunnelbetreiber zu einer strengen Untersuchung der am besten geeigneten Verkleidung. Im Fall des Al-Azhar-Tunnels wurde ein Spritzputz gewählt, der auch bei einem zweistündigen Kohlenwasserstoff-Feuer mit 1.350 Grad Celsius einen Tunneleinsturz verhindern würde.

Mit entsprechenden Brandschutzmaterialien kann die Temperatur innerhalb der Betonauskleidung also unterhalb der kritischen Schwelle gehalten werden, bei der es zu Abplatzungen kommt. Auch die Stahlträger der Tunnelbewehrung bleiben so in einem unkritischen Temperaturbereich. Schließlich sind Brandschutzmaßnahmen nur dann effektiv, wenn sie den in Tunnelanlagen üblichen Betriebsbedingungen standhalten. Als Beispiele sind hier Sickerwasser, Temperaturschwankungen, Fahrzeugabgase und Reinigungsarbeiten zu nennen. All diese Einflüsse können die Leistungsfähigkeit der Tunnelauskleidung beeinträchtigen.

Aufgrund der katastrophalen Folgen von Tunnelbränden müssen Brandschutzsysteme einer äußerst strengen Prüfung unterzogen werden. Zu diesem Zweck wird eine Werkstoffprobe auf eine Betonplatte aufgebracht und in einem Ofen entsprechend einer vorgeschriebenen Temperatur-Zeit-Kurve erhitzt. Bewährt hat sich vielfach der zweistündige, in den Niederlanden entwickelte RWS-Test.

Dieses Prüfverfahren ist sehr viel strenger als die vom Norwegischen Öldirektorat herausgegebene Richtlinie für Kohlenwasserstoff-Feuer, die üblicherweise für die Bewertung von Brandschutzmaßnahmen in der Öl-und Gasindustrie zum Einsatz kommt. Auch die Normbrandkurve gemäß ISO 834, die bei Gebäudebränden angewendet wird, geht von einem niedrigeren kritischen Belastungsniveau aus. Beim RWS-Test erreicht die Ofentemperatur innerhalb von 10 Minuten 1.200 Grad, nach 60 Minuten liegt sie bei 1.350 Grad.

Durch die baulichen Brandschutzmaßnahmen muss grundsätzlich sichergestellt werden, dass sich die Betonoberfläche auf maximal 380 Grad und die Stahlbewehrung auf maximal 250 Grad Celsius aufheizt. Diese Grenzwerte dürfen im gesamten Testverlauf nicht überschritten werden. Da das kritische Belastungsniveau, ab dem es zu Abplatzungen kommt, jedoch je nach Betonsorte unterschiedlich hoch angesetzt werden muss, ist in einigen Fällen sogar eine Aufheizung der Betonbewehrung auf unter 380 Grad, im Extremfall sogar nur auf 200 Grad Celsius anzustreben.

Das Belastungsniveau einer Tunnelinnenauskleidung wird oft rein rechnerisch ermittelt. Dieser Ansatz ist jedoch kritisch zu bewerten. In der europäischen Norm prEN 1992-1-2 für Betonbauwerke geht man von Prüfverfahren aus, bei denen die Werkstoffe nur mit Aufheizraten von 2 - 50 Grad pro Minute erhitzt werden. Kriecheffekte finden keine Berücksichtigung. Bei Tunnelverkleidungen, die für schnellere Aufheizgeschwindigkeiten ausgelegt sind, können solche Prüfverfahren im Gegensatz zum RWS-Test mit Aufheizraten von 200 bis 240 Grad Celsius pro Minute also nur ungenaue Ergebnisse liefern.

Darüber hinaus sind solche Berechnungen nur so lange zuverlässig, wie es nicht zu Abplatzungen kommt. In den letzten 10 Jahren wurden jedoch einige neue Betonsorten auf den Markt gebracht, die zwar eine hohe Dichte aufweisen, aber aufgrund ihrer geringeren Permeabilität vermehrt zu Abplatzungen neigen. Diese Betonsorten bieten einige Vorteile wie eine höhere Haltbarkeit und Festigkeit, haben aber den Nachteil einer geringeren Feuerwiderstandsfähigkeit.

Die Sicherheitsanforderungen sind also komplex. Viele Ingenieure gehen daher dazu über, Spritzputz als Brandschutzverkleidung einzusetzen. Dieses Brandschutzprodukt weist laut seiner Befürworter viele Vorteile auf. Als Beispiele sollen hier nur die außerordentlichen thermischen Eigenschaften, die schnelle und leichte Installation sowie das extrem hohe Anhaftungsvermögen zu nennen. Letzteres beträgt üblicherweise das Achtfache des Material-Eigengewichtes.

Ein Beispiel für eine Tunnelinnenauskleidung mit Spritzguss ist der hochmoderne Bjorvikatunnel in Oslo. Da widrige geologische Bedingungen gegen eine Tunnelbohrung sprachen, entschieden sich die Konstrukteure für einen Senktunnel aus sechs Elementen. Jedes Element ist 112,5m lang, 28 – 43 m breit und 10 m hoch. Angesichts der geltenden strengen Feuerschutzbestimmungen beschloss die norwegische Public Roads Administration (NPRA), die Tragkonstruktion des Tunnels mit einer Schutzschicht zu versehen, die im Brandfall ein Einstürzen verhindern soll.

Die NPRA forderte, dass vor Zulassung des Bauprojektes große Betonteile der Sorte B 45 mit einer Länge von 3,6 m, einer Breite von 1,2 m und einer Dicke 600 mm zu prüfen sind. Um den notwendigen Druck von 11 MPa auf der Probenoberfläche zu erzeugen, wurden die Probestücke unmittelbar vor dem Aufbringen der Brandschutzschicht vorgespannt. Diese Maßnahme diente der Simulation der plastischen Verformung bei steigenden Temperaturen, wie sie in statisch unbestimmten Senktunneln bei einem sich schnell ausbreitenden Feuer auftritt. Dem Prüfverfahren wurde die gleiche Temperatur-Zeitkurve zugrunde gelegt wie beim RWS-Test.

Gemäß den von der NPRA vorgegebenen Richtlinien darf es während des zweistündigen Prüfverfahrens zu keinerlei Abplatzungen kommen. Um das Sicherheitsrisiko des Tunnels weiter zu reduzieren, hat die NPRA eine Reihe zusätzlicher Tests veranlasst, darunter Tests zur Ermittlung der Alkaliempfindlichkeit, der Betonzugfestigkeit bei dynamischer Belastung, der Frostbeständigkeit und der Widerstandsfestigkeit gegen Hochdruckreinigung. Die Wahl fiel auf Firebarrier 135 von Morgan Advanced Materials aus der Firemaster-Produktreihe. Diese Lösung erfüllte alle strengen Leistungsanforderungen der Tests. Die Installation der Brandschutzverkleidung begann Anfang 2009 und wurde im Herbst desselben Jahres abgeschlossen.

Eine ähnlich gute Brandschutzwirkung wurde mit einem Spritzputz im Serralunga-Tunnel in Italien erreicht. Dieser Tunnel, der im Dezember 2013 für den Verkehr eröffnet wurde, verfügt über zwei Fluchtwege in Form von zusätzlichen Rettungsstollen. Für die Innenauskleidung dieser Fluchtwege musste ein Werkstoff gefunden werden, der extrem hohen Temperaturen standhält und somit sowohl den Tunnel selbst als auch die Menschen im Tunnel vor Feuer und Rauch schützt. Der Spritzputz wurde auf eine verzinkte Stahlmattenbewehrung als Unterkonstruktion aufgebracht. So konnte die Tunneloberfläche lückenlos verkleidet werden. Durch die Brandschutzverkleidung in den Rettungsstollen sind die Tunnelnutzer nun im Brandfall bestens geschützt. Für die Beschichtung der ca. 600 m2 großen Tunneloberfläche waren nicht einmal 40 Tage notwendig.

Was also können Ingenieure, Konstrukteure und Tunnelbetreiber aus den beschriebenen Ereignissen und den bisherigen Untersuchungen lernen?

Vor allem ist ihnen bewusst geworden, dass Tunnel nicht nur wichtige Verkehrsverbindungen darstellen, sondern auch enorme Sicherheitsrisiken in sich bergen. Die größte Gefahr geht von Tunnelbränden aus. Dementsprechend große Bedeutung ist folglich den Brandschutzvorkehrungen in Tunnelbauten beizumessen. Heute stehen die unterschiedlichsten Brandschutzlösungen zur Verfügung. Jede einzelne Lösung hat ihre Vor- und Nachteile und ihre Befürworter und Kritiker. Umso wichtiger ist es, jede Option vorab in Großversuchen nach den strengsten Vorgaben zu testen. Nur so kann verhindert werden, dass sich Tragödien wie im Mont-Blanc-Tunnel und im Gotthardt-Tunnel wiederholen.

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