Finanzierung und Nutzungsdauer - Abwasserkanäle

06.12.2019

Ein komplexes Thema mit vielfältigen Facetten. Professor Martin Stachowske und Dr. Robert Stein beantworten im Gespräch mit rathausconsult die wichtigsten Fragen.

Stachowske und Stein sind anerkannte Experten und arbeiten seit Jahren an Lösungen im Bereich der Schnittmenge Optimierung der Nutzungsdauer und Finanzierung von Infrastrukturanlagen. Wesentlich haben sie sich mit Abwassernetzen befasst. Ihr Wissen und ihre Erfahrung können sie derweil auch auf Infrastrukturanlagen wie Wasserversorgungssysteme und Straßen übertragen.

Warum spielen Finanzierung und Nutzungsdauer mittlerweile eine so zentrale Rolle für die Infrastrukturanlagen?

Investitionen in Abwassernetze binden auf Grund der langen kalkulatorischen Nutzungsdauern das eingesetzte Kapital entsprechend lange und führen zu hohen Zinsbelastungen. Je höher die Abwassergebühren umso niedriger die örtliche Kaufkraft und das örtliche Steueraufkommen.

Der Erhalt dieser Anlagen führt gegenüber dem Neubau zu signifikanten Entlastungen bei den Kosten für die jeweilige Infrastruktur. Diese Form der Optimierung stellt ein Geschäftsfeld dar, in dem wir wegweisend gestaltend mitwirken.

Und hier kommen Finanzierung und Nutzungsdauer in den Fokus.

Die Ausgaben für Abwasseranlagen sind rentierliche Ausgaben, welche durch Einnahmen im Rahmen ihrer Nutzung bezahlt werden. Bei ordnungsmäßigem Betrieb kosten somit die Abwasseranlagen Kommune oder Abwasserbetrieb nicht einen Cent. Ziel muss daher sein, durch Gebührensenkung einen wirtschaftlichen Vorteil für Bevölkerung, Gewerbe und Industrie zu erreichen.

Und die eigentliche Finanzierung?

Bei der Finanzierung wird allgemein zuerst an die Finanzierung der Investitionen gedacht, die Anschaffungs- und Herstellungskosten AHK. Aber zusätzlich zu den AHK sind weitere Mittel während der gesamten Betriebszeit bereitzustellen, wie aus Bild 1 hervorgeht. Diese Mittel sind teilweise oft ungeplant und spontan bereitzustellen.

Können Sie näher auf die Abbildung eingehen?

Planung, Genehmigung und Bau spielen zeitlich betrachtet eine nachgeordnete Rolle. In dieser Zeit werden aber die Voraussetzungen für die späteren Kosten und damit für die Höhe der Gebühren gelegt.

Bild 1: Management von Infrastrukturanlagen ihrer technischen Nutzungsdauer Anlagenbewirtschaftung und Vermögensbewirtschaftung sind die überwiegende Tätigkeit von der Planung bis zum Rückbau einer Anlage – qualitativ dargestellt für eine 50-jährige Nutzungsdauer. [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

Für die eigentliche Betriebszeit sind drei Felder mit Blau, Gelb und Rot hinterlegt. Im blauen Feld sind die finanzwirtschaftliche Steuerung und die Vermögenssicherung ausgewiesen, im gelben Feld ist der Betrieb wie die Ausführung von Sanierungsmaßnahmen und im roten Feld das Datenmanagement – dies ist bewusst wie ein Fundament angeordnet.

So separat wie diese Felder angelegt sind, so separat werden die Aufgaben häufig organisiert. Vielfach fehlt ein übergreifendes Management für die verschiedenen Teilaufgaben, dies gilt im Besonderen für die Schnittstelle zwischen dem technischen und dem kaufmännischen Bereich.

Dazu kommt, dass zahlreiche Abwasserbetriebe im Blindflug geführt werden. Man hat manchmal den Eindruck, dass Abwasserbetriebe auch nach Jahrzehnten der Datenerhebung ihre Daten nicht im Griff haben.

Sie hatten neben der Finanzierung auch die Nutzungsdauer angesprochen. Welchen Einfluss hat die Nutzungsdauer?

Auch hier gibt es keine Eindeutigkeit in der Begrifflichkeit der Nutzungsdauer. In erster Linie ist die kalkulatorische Nutzungsdauer gemeint, in der die Anlagen refinanziert werden. Diese Definition von Nutzungsdauer führt zu der irrigen Sichtweise, dass die Re-Finanzierungsdauer mit der technischen Betriebsdauer gleichzusetzen ist, was die Kuriosität der Erneuerungsrate hervorgebracht hat, wonach eine finanzierte, weil abgeschriebene Anlage, zu ersetzen ist – auch wenn sie technisch noch einwandfrei ist.

Betreibererfahrungen belegen dagegen die Abweichung von wirtschaftlicher und technischer Nutzungsdauer. Die Folge dieser Fehleinschätzung können erhebliche Abschreibungsverluste sein. Daher fordert das Deutsche Normen und Regelwerk am Beispiel des DWA-Arbeitsblattes 143-14 „…die langfristige Substanzwertentwicklung eines Netzes zu prüfen …“. Diese Prüfung erfolgt heute mittels stochastischer Alterungsmodelle, welche gleichzeitig objektspezifische Nutzungsdauern unter Berücksichtigung der jeweiligen Betreiberphilosophie liefern.

Und was hat es mit den Abschreibungen auf Basis der Wiederbeschaffungswerte auf sich?

Finanzwirtschaftlich gewährt die Kommune oder der Abwasserbetrieb mit der Finanzierung der Abwasseranlagen den Nutzern ein Darlehn, das über die kalkulatorische Nutzungsdauer in gleichen Anteilen zzgl. Zinsen für das Buchkapital, ausgewiesen als Restbuchwert, getilgt wird. Die Tilgungsraten entsprechen den kalkulatorischen Abschreibungen, am Ende der kalkulatorischen Nutzungsdauer sollte die Anlage bezahlt sein.

Der Wiederbeschaffungswert WBW ist der Wert eines Vermögensgegenstandes am Ende der kalkulatorischen Nutzungsdauer oder zum Zeitpunkt der kaufmännischen Stilllegung. In die Gebührenrechnung wird der Abschreibungsgegenwert auf Basis des Wiederbeschaffungszeitwerts WBZW eingestellt. Dieser Wert ist der Wert eines Vermögensgegenstands zum aktuellen Zeitpunkt.

Können Sie konkreter werden?

Tabelle 1: Abschreibungen und Zinsen auf Basis von AHK und WBZW [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

In der Tabelle sind für eine Investition von 100.000 Euro und einer Nutzungsdauer von 10 Jahren die Abschreibungen AfA AHK auf Basis der AHK und AfA WBZW auf Basis der WBZW bei einer Preissteigerung jährlich von gleichbleibend 2 % sowie die Zinsen auf die Restbuchwerte RBW von 5 % ausgewiesen. Die jährlichen Salden der Abschreibungsbeträge auf Basis der AHK und der WBZW dürften selbsterklärend sein und sind in der Spalte Saldo ausgewiesen.

In den Tabellen 2.1 und 2.2 wird der Unterschied der finanziellen Belastungen aus einer 10-jährigen und einer 50-jährigen Finanzierung bei Kalkulation der Abschreibungsgegenwerte auf Basis der AHK und der WBZW deutlich. Bei 10 Jahren wird die Investition rd. 1,37-mal (Eigenanteil aus AHK 1-mal) und bei 50 Jahren wird die Investition rd. 3-mal (Eigenanteil aus AHK 1-mal) finanziert. Für den jeweiligen Zeitraum von 10 Jahren bzw. 50 Jahren sind die Erträge aus Zinsen und aus den WBZW ausgewiesen.

Tabelle 2.1: Gesamte Kosten einer Abwasseranlage auf Basis der AHK und auf Basis der WBZW für eine kalkulatorische Nutzungsdauer von 10 Jahren [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

Tabelle 2.2: Gesamte Kosten einer Abwasseranlage auf Basis der AHK und auf Basis der WBZW für eine kalkulatorische Nutzungsdauer von 50 Jahren [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

Und wo ist das Problem?

Bei den langen Nutzungsdauern für Abwasseranlagen finanzieren wir die Anlagen bei einer Nutzungsdauer von 50 Jahren mit einem Zinsbetrag von 127.500 Euro bei einem heute verwaltungsrechtlich zulässigen Zinssatz von bspw. 5 % ca. 1,3 mal mehr gegenüber den AHK. Diese Mehreinnahme aus Zinsen kann die Kommune abzüglich ev. Fremdkapitalzinsen für ihre allgemeinen Aufgaben verwenden.

Auch hierzu ein Beispiel: bei einem Eigenanteil der Kommune von 30 % an der Finanzierung der AHK erzielt sie aus Zinsen bei 50 Jahren ND mit den gewählten Ansätzen 38.350 Euro und ein Kapitalgeber für die restlichen 70 % erzielt 89.250 Euro. Handelt es sich statt der örtlichen Sparkasse um eine Privatbank außerhalb der Kommune fließen Zinsen von 89.250 Euro einschl. der Steuern auf die Zinsgewinne aus der Kommune ab.

Die Kaufkraft wird in der Kommune um diesen Betrag reduziert. Das Ausmaß eines solchen Kapitalabflusses wird deutlich, wenn statt der 100.000 Euro für den Zinsabfluss ein Vermögen der Abwasseranlagen von mehreren Millionen Euro zu Grunde gelegt wird.

Das sind die Zinsen und was hat es mit den Wiederbeschaffungswerten auf sich?

Es gilt das Äquivalenzprinzip: Es wird nur das bezahlt, was in Anspruch genommen wird. Wird nun auf Basis der WBZW abgeschrieben, werden über die kalkulatorischen Abschreibungen nach HGB hinaus Einnahmen erzielt. Diese überschüssigen Einnahmen – in Tabelle 1 in der Spalte Saldo ausgewiesen - sind ein Vorschuss auf den Ersatz oder die Erneuerung der Anlage am Ende der Nutzungsdauer.

Es soll der Anteil aus den kumulierten Preissteigerungen während der Nutzungsdauer vorfinanziert werden. Die Kommune oder der Abwasserbetrieb braucht dann nur die ursprünglichen AHK finanzieren; der Anteil an der Investition aus Preissteigerung ist von den Nutzern vorfinanziert.

Da Kommune oder Abwasserbetrieb den vorfinanzierten Betrag - nach Tabelle 1 rechnerisch 9.497 Euro - aber nicht auf ein Sparbuch legt sondern für ihre laufenden Ausgaben verwendet, muss sie/er am Ende der Nutzungsdauer diesen von den Gebührenzahlern vorfinanzierten Anteil an der Ersatz- oder Erneuerungsinvestition dann zur Verfügung stellen.

Durch die Abrechnung der Gebühren auf Basis der WBZW bauen sich in der Kommune oder im Abwasserbetrieb schuldrechtliche Verpflichtungen gegenüber den Nutzern der Anlagen auf. Im Rechnungswesen ist ein Konto mit den Einnahmen und Ausgaben aus WBZW zu führen und in der Bilanz müsste auf der Passivseite eine Position mit Ausweis der bestehenden Verbindlichkeiten aus dem Konto für die WBZW stehen.

Bei dem Beispiel nach Tabelle 2.2 wäre am Ende der kalkulatorischen Nutzungsdauer rechnerisch ein Saldo aus den Abschreibungsgegenwerten der WBZW von 69.159 Euro auszugleichen. Der Ausgleich erfolgt entweder aus Haushaltsmitteln – hierin sind die Mehreinnahmen aus den höheren Abschreibungsgegenwerten ja zuvor geflossen – oder sie müssten fremdfinanziert werden – was dann zu Zinsbelastungen der Nutzer für von ihnen unentgeltlich bereitgestellten Finanzmitteln führt. Im Grunde handelt es sich bei den Finanzierungskosten dieser Fremdfi nanzierung für die Nutzer um einen Negativzins.

Aber Sie sprachen auch von der längst vollzogenen Trennung von technischer und wirtschaftlicher Nutzungsdauer

In der Fachwelt wird seit Jahren am bereits erwähnten Substanzwert und Substanzerhalt auf Basis von Alterungsmodellen gearbeitet. Die seit einigen Jahren auf dem Fachkongress „Kanalgipfel“ geführten Diskussionen sind ein repräsentatives Abbild des Standes des aktuellen Wissens. Man ist längst dabei, die technische Substanz zu erhalten - und dies unabhängig von der kalkulatorischen Nutzungsdauer.

Langsam kommt das in Jahren aufgebaute Wissen zum Substanzerhalt zum Tragen, in einem Netz gezielt dort tätig zu werden, wo die größte Wirkung erreicht wird. Noch wesentlicher ist, dass man mittlerweile im Stande ist, Sanierungsstrategien einschließlich Sanierungs- und Finanzbedarf für die nächsten Jahre sicher zu prognostizieren.

Was dürfen wir von dieser Strategie erwarten?

Wir möchten auf den Anfang des Gesprächs zurückkommen. Wie können niedrige Kosten und maximale Aufgabenerfüllung in der Siedlungswasserwirtschaft verknüpft werden – in erster Linie durch Vermeidung von Ausgaben, was sich am ehestens durch eine maximale schadensfreie technische Nutzungsdauer der vorhandenen Anlagen erreichen lässt.

Die Substanzwertstrategie in Verbindung mit Alterungsmodellen ist heute das Vorgehen der Wahl, um die Kosten bei den Netzen zumindest zu stabilisieren – nebenbei; sie ist auch für Kläranlagen, die Wasserversorgung und Straßen geeignet. Im Bereich der technischen Nutzungsoptimierung sind wesentliche Fortschritte bereits erzielt, aber man ist mit den Entwicklungen noch lange nicht am Ende.

Im Bereich der kalkulatorischen Nutzungsdauer und der damit verknüpften Finanzierungsdauer ist eine offene Diskussion nötig. Mittlerweile dürfte kein Zweifel mehr bestehen, dass technische und wirtschaftliche Nutzungsdauer entkoppelt werden müssen.

Gesprächspartner
Prof. Dr. Martin Stachowske
Geschäftsführer der IWEB INSTITUT für WASSER & ENERGIE BOCHUM GmbH
Universitätsstr. 142 in 44799 Bochum
Dr. Robert Stein
Geschäftsführer S & P Consult
Konrad-Zuse-Str. 6 in 44801Bochum

 

Weitere News und Artikel

Kontakt

S & P Consult GmbH

Dr. Robert Stein

Geschäftsführer

Konrad-Zuse-Str. 6

44801 Bochum

Deutschland

Telefon:

+49 234 5167 - 0

Fax:

+49 234 5167 - 109

E-Mail:

robert.stein@stein.de

Internet:

Zur Webseite