Wasserforschung: Treibhausgase aus der Kläranlage
10.11.2017
Eine einfache neue Messmethode soll dazu beitragen, dass sauberes Wasser nicht auf Kosten des Klimas geht.
Wasserhahn auf, Waschmaschine an, ab unter die Dusche – jeder Deutsche verbraucht im Durchschnitt über 120 Liter Wasser am Tag. Wo es herkommt oder hingeht, beschäftigt die meisten Menschen nicht. Für Ingenieure ist das aber ein wichtiges Thema, denn weltweit wachsen immer größere Städte, die mit hygienischem Trinkwasser versorgt und deren Abwässer gereinigt werden müssen. Und auch in Deutschland gibt es noch offene Fragen.
Mit einer von ihnen beschäftigt sich Pascal Kosse, Doktorand im NRW-Fortschrittskolleg Future Water am Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft und Umwelttechnik der Ruhr-Universität Bochum. Ausgangspunkt seiner Dissertation ist die Tatsache, dass bei der Reinigung von Abwässern klimaschädliche Gase entstehen.
„Was viele nicht wissen, ist, dass die Klärung von Abwasser nach einer mechanischen Reinigung vor allem von Bakterien erledigt wird“, erklärt Kosse. Verschiedene Bakterienarten in hintereinanderliegenden Becken fressen organische Rückstände im Wasser auf und befreien es von Stickstoff- und Kohlenstoffverbindungen. Bei ihrem Stoffwechsel entsteht unter anderem Lachgas, wissenschaftlich Distickstoffmonoxid (N2O).
Gelangt es in die Atmosphäre, wirkt es 265-mal klimaschädlicher als das bekannte Treibhausgas CO2. Anders als das ebenfalls klimaschädliche Methan, das bei der Wasserreinigung gezielt als Energieträger produziert wird, kann man N2O nicht als Brennstoff weiterverwenden – es ist buchstäblich Abfall.
„N2O wird von Bakterien als Nebenprodukt produziert, die für ihren Stoffwechsel Sauerstoff brauchen“, erklärt Pascal Kosse. Die Bakterien reinigen das Wasser nur bei ganz bestimmten Sauerstoffkonzentrationen. Sauerstoff muss man dem Klärbecken also ausreichend zuführen. Da die Versorgung eines Klärbeckens mit Sauerstoff allerdings Energie in Form von Strom verbraucht, bei dessen Erzeugung ebenfalls Treibhausgase als indirekte CO2-Emissionen entstehen, ist die optimale Steuerung einer Kläranlage eine Rechenaufgabe.
Wie viel Lachgas entsteht unter welchen Bedingungen? Diese Aufgabe lässt sich mit einer Simulation des Klärprozesses lösen, in der man sämtliche Stellschrauben drehen und die jeweils entstehenden Mengen Klimagase vergleichen kann. Um eine solche zuverlässige Simulation entwickeln zu können, muss man zunächst genau wissen, wie viel Lachgas in einem Klärbecken unter den jeweiligen Betriebsbedingungen entsteht.
„Diese Information ist notwendig, um die Simulation zu kalibrieren“, verdeutlicht Prof. Dr. Marc Wichern vom Lehrstuhl Siedlungswasserwirtschaft und Umwelttechnik, der die Doktorarbeit zusammen mit Prof. Dr. Torsten Schmidt vom Lehrstuhl Instrumentelle Analytische Chemie der Universität Duisburg-Essen betreut.
Drei mikrobiologische Prozesse in Kläranlagen, bei denen N2O entsteht, sind leidlich bekannt. Die Menge des dabei entstehenden Gases allerdings nicht, denn die bisher genutzten Messmethoden, die auf Infrarottechnik basieren, sind nicht nur sehr teuer, sie liefern auch nur Ergebnisse für das in der Umgebungsluft befindliche Treibhausgas. Ein Teil der Gase ist jedoch im Wasser gelöst.
Um auf günstigerem Weg genaue Ergebnisse bekommen zu können, entwickelte Pascal Kosse daher eine neue Messmethode. Sie basiert darauf, dass Salze die chemische Löslichkeit von Treibhausgasen im Wasser senken. Das zunächst im Wasser gelöste Gas muss nach der Zugabe von Salz das Wasser verlassen. Experten nennen diesen Prozess Ausstrippung. Dabei kann man es auffangen und seine Menge mit einem Gaschromatografen bestimmen.
Welches Salz jedoch für diesen Prozess optimal geeignet ist, war offen. Pascal Kosse experimentierte daher mit neun verschiedenen Kandidaten, die bestimmten Kriterien genügen mussten. Sie mussten zum Beispiel ungiftig sein und durften keine chemischen Nebenreaktionen auslösen, die zur Bildung von N2O führen. Auch mussten sie ausreichend gut löslich sein, und sie durften nicht die Temperatur des Wassers oder das Volumen des ausgestrippten Gases beeinflussen.
Das Ziel war, das Salz zu finden, das möglichst 100 Prozent des gelösten N2O aus dem Wasser heraustreibt. Zum Sieger der Versuche konnte er schließlich Natriumbromid küren.
Möglichkeiten für Schwellen- und Entwicklungsländer
Mit der neuen Methode zum Bestimmen der Lachgasmenge stehen nun alle Informationen zur Verfügung, um den Klärprozess umfassend zu simulieren und die Treibhausgasproduktion von Kläranlagen unter verschiedenen Bedingungen realistisch einzuschätzen.
Die so ermittelten Informationen über die Folgen der Wasseraufbereitung in Kläranlagen sind auch über die Steuerung einzelner Anlagen hinaus bedeutend. „Mit Blick auf Schwellen- und Entwicklungsländer, in denen immer mehr Menschen auf engem Raum sauberes Trinkwasser brauchen, die Kanalisation aber nicht so schnell wächst wie die Städte, überlegt man, die Abwasseraufbereitung in kleinerem Maßstab vor Ort zu erledigen“, erklärt Marc Wichern.
Das könnte perspektivisch auch für Deutschland eine der technischen Optionen sein, denn etwa ein Viertel des Kanalnetzes ist älter als 50 Jahre, sodass sein Unterhalt immer teurer wird. Dazu ist es wichtig zu wissen, wie man die dezentralen Anlagen optimal steuert, um hygienische Risiken auszuschließen sowie Klima und Ressourcen zu schonen. „Beim Thema Wasseraufbereitung geht es letztlich um die Gestaltung urbaner Räume“, sagt Marc Wichern.
Weitere News und Artikel
17.04.2024
News
Auszeichnung für innovative Ideen und Spitzenleistungen
Deutscher Baupreis 2024: Dommel erneut geehrt
15.04.2024
News
„CROM – Zertifizierte Schachtsanierung“ geht in die nächste Runde
Im Februar 2024 fand im Schulungszentrum der MC-Bauchemie in Bottrop zum 14. Mal die jährliche „CROM“-Lehrgangsreihe (CROM = Certified Rehabilitation of Manholes) statt. Verschiedene Lehrgänge aus dem Bereich der Schachtsanierung boten den Teilnehmenden ein abwechslungsreiches und informatives Programm.
12.04.2024
News
Kanalgipfel 2024: Methodik zur Bewertung von Bauwerken
Die Entwässerungssysteme unserer Städte sind ein wesentlicher Bestandteil des kommunalen Anlagevermögens. Die große Zukunftsaufgabe, vor der viele Kommunen stehen, besteht in einer fundierten technischen und wirtschaftlichen Bewertung dieser langlebigen Anlagen. Der Kanalgipfel bietet eine Hilfestellung für eine detaillierte und konsistente …
10.04.2024
News
Ein Blick unter die Erde von Bergisch Gladbach
Katec kombiniert Reparatur und Renovierung für umfangreiche Sanierungsmaßnahmen
09.04.2024
News
Kanalgipfel 2024: Gebührenranking in der Abwasserentsorgung - Analyse und Bedeutung für Kommunen
Die Entwässerungssysteme unserer Städte sind ein wesentlicher Bestandteil des kommunalen Anlagevermögens. Die große Zukunftsaufgabe, vor der viele Kommunen stehen, besteht in einer fundierten technischen und wirtschaftlichen Bewertung dieser langlebigen Anlagen. Der Kanalgipfel bietet eine Hilfestellung für eine detaillierte und konsistente …
08.04.2024
News
Interessanter Input auf höchstem Niveau
rbv auf dem 36. Oldenburger Rohrleitungsforum
04.04.2024
News
terra infrastructure nimmt Kunststoffspundbohlen ins Programm
Eine wirtschaftliche, langlebige und wartungsarme Alternative
27.03.2024
News
Sauberer Phosphor 2029: Eine Initiative zur nachhaltigen Ressourcennutzung
Das Umweltbundesamt (UBA) ist Teil der Initiative Sauberer Phosphor 2029, die darauf abzielt, eine sichere und ökologisch nachhaltige Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm und Klärschlammasche zu fördern.
25.03.2024
News
Update DE-21: Neue Inhalte im Online-Kurs "Grabenloser Leitungsbau"
Online Weiterbildung zum Thema Leitungsverlegung im Tiefbau: Der grabenlose Verbau unterirdischer Entwässerungssysteme kann eine ressourcenschonende, klimafreundliche, zeitsparende und kostengünstige Alternative zur offenen Bauweise sein. Der UNITRACC-E-Learning-Kurs wurde um einige fachliche und visuelle Elemente zum Kanal- und Rohrleitungsbau ergänzt.
22.03.2024
News
LWG startet Wissenstransfer mit Su Canal in Moldawien
Internationale Zusammenarbeit zur Schaffung einer zukunftsorientierten Wasserinfrastruktur
Kontakt
RUB Ruhr-Universität Bochum
Universitätsstraße 150
44801 Bochum
Deutschland
Telefon:
+49 234 32 201
Fax:
+49 234 32 14201