Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)

Grundsätzliches Tragverhalten

Das charakteristische Tragverhalten des Inliners unter einer stetig wachsenden Biegebeanspruchung mit Normalkraft läßt sich in zwei unterschiedliche Phasen einteilen, wobei er sich in Abhängigkeit vom Vorzeichen des Biegemoments, d.h. von der Biegerichtung unterschiedlich verhält.

Die erste Phase ist dadurch definiert, daß die maximal aufnehmbare Zugspannung im Injektionsmörtel noch nicht erreicht ist, d.h. der Inliner sich noch in einem ungerissenen Zustand (Zustand I) befindet, bei dem über den gesamten Umfang Querschnittswerte des schichtweise homogenen Wandaufbaus gelten. In dieser Phase lassen sich die allseits bekannten Berechnungs- und Nachweisverfahren für Inliner uneingeschränkt anwenden, wobei insbesondere der Stabilitätsnachweis infolge der verhältnismäßig hohen Biegesteifigkeit extrem große Sicherheiten erreicht.

Wird die maximal aufnehmbare Zugspannung im Injektionsmörtel überschritten, bilden sich im Werkstoff Risse, er verliert aber nur punktuell seine Beanspruchbarkeit hinsichtlich der Biegung. Der Werkstoff wechselt vom Zustand I in den Zustand II, d.h. den gerissenen Zustand.

Dieser Übergang des Injektionsmörtels in den Zustand II bedeutet aber keineswegs, daß der Inliner seine Tragfähigkeit verliert, da bei einem positiven Biegemoment der schubfest mit dem Injektionsmörtel verbundene Noppenschlauch bei der nun höheren Dehnung in der Lage ist, ausreichend große Zugspannungen aufzubauen. Zusammen mit dem weiterhin auf Biegedruck beanspruchbaren Injektor wirkt ein inneres Kräftepaar, das eine positive Biegebeanspruchung aufnehmen kann. Prinzipiell gleicht dieses Tragverhalten einem Stahlbetonquerschnitt, der nach der dort geltenden Vorschrift DIN 1045 [DIN1045-1:1997] auch für den gerissenen Zustand bemessen wird. Dort kann in Analogie zum Injektionsmörtel der gerissene Beton keine Biegezugkräfte aufnehmen, die anlog zum Noppenschlauch vollständig vom Bewehrungsstahl übernommen werden müssen.

Dennoch besteht zum Stahlbeton ein entscheidender Unterschied, der in dem niedrigen Elastizitätsmodul des PE-HD begründet ist. Reißt der Injektionsmörtel und übernimmt wie beschrieben die PE-HD-Noppenschlauch die Biegezugkräfte, fällt die Biegesteifigkeit des Querschnitts an dieser Stelle stark ab, und es wird eine stärkere Verkrümmung des Inliners hervorgerufen. Diese zusätzliche Verkrümmung hat in dem in der Regel statisch unbestimmten Tragwerk neben der zusätzlichen Verformung den äußerst günstigen Effekt, daß sich der Querschnitt der Beanspruchung entzieht.

Die Auswirkungen der ersten Rißbildung infolge positiven Biegemoments im Querschnitt auf das gesamte Tragverhalten kann folgendermaßen zusammengefaßt werden:

  • Punktueller Abfall der Biegesteifigkeit
  • Abfall des Biegemoments und damit der Biegebeanspruchung
  • Momentenumlagerung im Rohrquerschnitt und damit eine Erhöhung der Beanspruchung an anderer Stelle.

Dieses Trag- und Reißverhalten setzt sich bei Laststeigerung solange fort, bis sich eine (auf den Injektionsmörtel bezogen) kinematische Kette gebildet hat, deren "Gelenke" nur noch durch Querschnitte im Zustand II (d.h. von der Noppenbahn) gehalten werden.

Zu beachten ist hierbei, daß sich der Inliner-Querschnitt bei negativen Biegemomenten (Zug außen) vollkommen anders verhält, da der Preliner mit dem Injektionsmörtel nicht schubfest verbunden ist. Bei Überschreitung der Biegezugspannungen bei negativem Moment reißt das Injektionsmaterial ebenso, der Preliner ist aber nicht in der Lage, die schlagartig abfallenden Zugkräfte zu übernehmen. Dadurch entsteht an dieser Stelle ein Momentengelenk, das das statische System ändert und eine vollständige Momentenumlagerung verursacht. Dies führt aber nicht zu einem Versagen des gesamten Tragwerks, da bei einem geschlossenen Querschnitt zu jedem negativen Moment auch ein positives gehört, das über den Noppenschlauch wie beschrieben aufrecht erhalten werden kann.

Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)