Rohrleitungen – Innovative Bau- und Sanierungstechniken
15.02.2018
Das 32. Oldenburger Rohrleitungsforum zeigt sich bodenständig und überzeugt auch in 2018 Besucher sowie Teilnehmer.
Nachdem in den letzten Jahren mit Themen wie „Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten“ und „Intelligente Netze“ der Blick vorwiegend in die Zukunft gerichtet worden ist, rückt auf dem 32. Oldenburger Rohrleitungsforum das Rohr wieder etwas mehr in den Fokus. Zu Recht, wie viele Fachleute meinen, handelt es sich beim Rohr letztendlich doch um den heimlichen Hauptdarsteller der unterirdischen Infrastruktur.
Und den gilt es bei den vielfältigen Herausforderungen in Bezug auf den demografischen Wandel, sich wandelnde witterungsbedingte Verhältnisse und mit Blick auf zunehmende digitale Veränderungen in den Arbeitsabläufen fit zu machen für die Zukunft.
Das Motto „Rohrleitungen – Innovative Bau- und Sanierungstechniken“ ist in diesem Sinne fast schon überfällig gewesen, und es steht dem oldenburgischen Branchenhighlight gut zu Gesicht. Rohrleitungen unterliegen wie alle anderen Bauwerke dem technischen Verschleiß und der Alterung.
Da viele Leitungsnetze bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet wurden, sind dementsprechend besonders in den Zentren größerer Städte umfangreiche Maßnahmen zu erwarten. „Hierbei muss es sich nicht immer zwangsläufig um Neubau handeln“, erklärt Prof. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident der Jade Hochschule, „mittlerweile gibt es viele gute, angepasste Technologien, die von grabenloser Verlegung bis hin zu ausgefeilter Sanierungstechnik reichen“.
Der von Prof. Wegener angesprochene Handlungsbedarf wird von einschlägigen Untersuchungen, wie etwa der von der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall) regelmäßig durchgeführten Umfrage zum Zustand der Kanalisation in Deutschland, untermauert. Die im Mai 2016 veröffentlichten Ergebnisse der jüngsten Umfrage machen deutlich, dass eine Erhöhung des Aufwands zur Kanalsanierung notwendig ist, um den Zustand des Kanalnetzes in Deutschland langfristig zu erhalten.
Allerdings wird bereits einiges getan: In den Jahren von 2009 bis 2013 wendeten die an der DWA-Umfrage beteiligten Netzbetreiber rund 1.311,7 Mio. € für die Erneuerung, 302,5 Mio. € für die Renovierung und 208,5 Mio. € für die Reparatur schadhafter Kanäle auf. Das zeigt, welch enormes Kapital im Boden liegt und welche immensen Anstrengungen und Aufwendungen nötig sind, das Kanalnetz zu erhalten.
Auftraggeber und Netzbetreiber sind sich weitestgehend einig, dass die größten Investitionen noch zu tätigen sind und die Sanierung der Kanalisation eine Ewigkeitsaufgabe darstellt. Aber wie gehen die Verantwortlichen an diese Mammutaufgabe heran?
Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft
Dass die Sanierung der Rohrleitungssysteme ökonomisch notwendig ist und dabei technisch vielfältig und qualitativ hochwertig ausfallen muss, davon ist Prof. Dr.-Ing. Karsten Körkemeyer, Technische Universität Kaiserslautern, Bauingenieurwesen, Fachgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft, überzeugt. „Eine zuverlässige und umfassende Infrastruktur ist unverzichtbare Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft und intakte Umwelt sowie florierende Wirtschaft – sie ist Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft und die Teilhabe aller Bürger an Wohlstand, Lebensqualität und Gesundheit, Informationen, Mobilität, Selbstbestimmung“, so Körkemeyer.
„Die unterirdischen Rohrleitungssysteme für den Transport von Energie und Wasser sowie die Abwasserbeseitigung bilden einen wesentlichen Anteil der Infrastruktur – Rohrleitungsnetze verbinden, vernetzen, versorgen.“
Enormer Investitionsstau
Die Rohrleitungsnetze mit Gesamtlängen von 575.000 km öffentlichen Abwasserkanälen, 511.000 km Wasserversorgungsleitungen und 530.000 km Gasleitungen sowie 25.000 km Fernwärmeleitungen verkörpern einen (Wiederbeschaffungs-)Wert in der Größenordnung (je nach Berechnungsbasis) von bis zu 900 Mrd. €. „Wenn man von Nutzungsdauern zwischen 50 und 100 Jahren ausgeht, müssten jährlich 9 bis 18 Mrd. € in die Netze investiert werden“, so Körkemeyer weiter.
„Dieses Volumen wird nicht erreicht, so dass wir die Netzsubstanz unmerklich aber stetig aufzehren. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schätzt, dass sich bereits jetzt allein der kommunale Investitionsstau im Bereich der Kanalisation auf 5 bis 6 Mrd. € zur Beseitigung nur der dringlichsten Schäden beläuft.“
Für Körkemeyer ist der nachhaltige Umgang und Erhalt der Netze somit letztlich eine generationenübergreifende Aufgabe und gesellschaftliche Verpflichtung, die insbesondere von der öffentlichen Hand – wie zahlreiche Studien z. B. des Difu (Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH), des Städte und Gemeindetages oder der KfW belegen – aus verschiedensten Gründen nur unzureichend erfüllt wird. Die Folge der unterlassenen oder nicht in ausreichendem Maße betriebenen Investitionen in Erhalt und Erweiterung der Infrastruktur gefährden die Zukunftsfähigkeit der Städte und Gemeinden.
Kontinuierliche Aufgabe
Die Sanierung der Netze ist eine kontinuierlich anfallende Aufgabe, die von qualifizierten, in der Regel mittelständischen Rohrleitungsbau- und Sanierungsunternehmen ausgeführt wird. Es existieren für die unterschiedlichen Sanierungsaufgaben und Anforderungen zahlreiche moderne Verfahren, mit denen Eingriffe in den Baugrund auf das notwendige Maß begrenzt und Betriebsunterbrechungen minimiert werden können.
Es stehen moderne Werkstoffe und Bauteile für die Sanierung zur Verfügung. Das Aufgabenfeld hat eine Vielzahl von innovativen Verfahren entstehen lassen, mit denen z. B. undichte und nicht mehr standsichere Rohrleitungen und Kanäle ausgekleidet werden können oder mit denen sich kleinere Schäden schnell reparieren lassen.
Hinzu kommt: Durch die Tätigkeit der Fachverbände – z. B. DVGW, DWA, GSTT, BEW, RSV – sind zahlreiche Standards und Vorschriften entwickelt worden, die heute als allgemein anerkannte Regeln der Technik von Betreibern und Auftraggebern sowie Planern und bauausführenden Unternehmen beachtet werden. „Sicherheit der Netze und Wirtschaftlichkeit der Sanierungsmaßnahmen sind damit sichergestellt – zum Wohle von uns allen“, ist Körkemeyer überzeugt.
Sich der Verantwortung stellen
Wie man den Spagat zwischen technischen Anforderungen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen meistern kann, schildert Dipl.-Ing. Peter Sczepanski, Verbandsvorsteher des Märkischen Abwasser- und Wasserzweckverband (MAWV), Königs Wusterhausen. Ein Gesamtgebiet von insgesamt 708 km2 und rund 110.000 Kunden machen den MAWV zum zweitgrößten von insgesamt rund 90 Verbänden, die in der Region Brandenburg für die Bewirtschaftung von Wasser verantwortlich sind.
Der Verbandsvorsteher sieht im Erhalt der wasserwirtschaftlichen Anlagen eine große Herausforderung. Insbesondere dem Gebührenzahler aber auch der nachfolgenden Generation gegenüber gelte es, Trinkwassernetze und Abwasserkanäle zu erhalten, im besten Fall zu verbessern und für weitere Jahrzehnte zu ertüchtigen. Neben Wert und Funktionserhalt und Verbesserung der Rohrleitungssysteme erwartete die Gesellschaft, schnell, umweltschonend und bürgerfreundlich, aber auch wirtschaftlich zu sanieren. Das wiederum setze ein im wahren Sinn des Wortes funktionierendes Netzwerk voraus.
Qualität bei Material, Planung- und Bauüberwachung
„Bereits der Auftraggeber bzw. Betreiber muss eine Sanierung wollen und das Planungsbüro entsprechend beauftragen“, ist Sczepanski überzeugt. „Und die Auftraggeber müssen über Sanierungstechnologien, Anwendungsgrenzen und Möglichkeiten Bescheid wissen.“ Überhaupt sei das Wissen über den Zustand der Rohrleitungssysteme entscheidend: Jede Aufgrabung müsse genutzt werden, um den Zustand der Rohrleitung zu erfassen. Ebenso seien die Rohrsysteme entsprechend der Regelwerke sorgfältig zu inspizieren. „Dieses bestenfalls in Datenbanken erfasste Wissen ist bei der Erarbeitung der Wirtschaftspläne auszuwerten und daraus sind Sanierungsmaßnahmen abzuleiten“, so der Verbandsvorsteher weiter.
„Im Idealfall gibt es eine konsistente Rehabilitationsstrategie, die sich an Parametern – Zustand, Alter, Material, Schadensereignissen und mehr – orientiert. Zu guter Letzt reicht das Wissen des erfahrenen Rohrnetzmeisters heute nicht mehr aus, wenn Rohrleitungen mindestens 50 oder sogar 100 Jahre betrieben werden sollen. Das ausschlaggebende Kriterium bei der Sanierung ist die Qualität. Material, Planung und Bauüberwachung und schließlich zertifizierte Fachfirmen sind die Mosaiksteine, um am Ende des Tages das Qualitätsziel zu erreichen.
Koordination durch Assetmanagement
Welchen Weg eine größere Kommune wie die Freie Hansestadt Bremen beim Umgang mit der Kanalinfrastruktur geht, erläutert Dipl.-Ing Jörg Broll-Bickhardt, Technischer Geschäftsführer der hanseWasser Bremen GmbH. Das Abwasserunternehmen betreibt als Partner der Freien Hansestadt Bremen mit rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das 2.300 Kilometer lange Bremer Kanalnetz und sichert auf zwei Großkläranlagen in Bremen-Seehausen und Bremen-Farge einen wirtschaftlichen und umweltgerechten Reinigungsprozess für jährlich rund 50 Millionen Kubikmeter Abwasser aus Bremen, den Nachbargemeinden sowie für Industrie- und Gewerbekunden.
Aufgrund der umfangreichen Klimaschutzaktivitäten reinigt die Kläranlage in Bremen-Seehausen die Abwässer seit 2014 klimaneutral. Seit 2015 ist das gesamte Unternehmen hanseWasser klimaneutral. „Alle notwendigen Aktivitäten zum Betrieb des Kanalnetzes und der Abwasserwerke werden durch das strategische und operative Assetmanagement der hanseWasser koordiniert und umgesetzt“, so der Technische Geschäftsführer.
Funktionsfähiges Kanalnetz Voraussetzung
Eine wichtige Grundlage hierfür ist die Inspektion des Kanalnetzes. Die Inspektion hat die Feststellung und Bewertung des Zustandes zum Ziel. Grundsätzlich muss das Kanalnetz funktionsfähig, dicht und standsicher sein. In der Regel erfolgt dies durch eine optische Inspektion nach entsprechender vorheriger Reinigung. Dabei werden sowohl Haltungen als auch Anschlusskanäle und Schächte inspiziert. Dies sollte je nach Zustand in Intervallen von 10 bis 20 Jahren wiederholt werden. Laut Broll-Bickhardt wird das Kanalnetz in Bremen bereits zum zweiten Mal inspiziert.
In Deutschland sind dagegen von dem rund 576.000 km langen öffentlichen Kanalnetz bisher nur etwa 65 % inspiziert worden (DWA 2015). „Dies hängt u. a. mit den diesbezüglich unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern zusammen“, erläutet Broll-Bickhardt. Insgesamt wird für Deutschland ein kurz- und mittelfristiger Sanierungsbedarf von knapp 20 % mit zunehmender Tendenz festgestellt.
Hierfür ist die umfassende Kenntnis über das Gesamtsystem (Stamm-, Betriebs-, Kostenund Zustandsdaten) Voraussetzung. In Bremen wurde deshalb eine gutachterliche Überprüfung des Zustandes der öffentlichen Abwasserwasseranlagen durchgeführt.
Zielgerichtete Strategien nötig
Für die Sanierung des Kanalnetzes werden in Deutschland mehrere Milliarden € pro Jahr eingesetzt, davon in Bremen ca. 17 Mio. €. „Deshalb ist es notwendig, zielgerichtete Sanierungsstrategien zu entwickeln“, so der Technischer Geschäftsführer weiter. Wichtig dabei sei die Festlegung des Sanierungszieles, z. B. ein bestimmter Substanzwert, dessen Erreichung durch Wirkungsanalysen z. B. mit Hilfe eines Alterungsmodells prognostiziert werden kann. „Durch ein Monitoring der Wirkungen wird die Umsetzung überwacht und gesteuert. Eine besondere Herausforderung für die Fachwelt besteht dabei in der Definition des Begriffes „Substanz“.
Für das Bremer Kanalnetz wurde in 2016 eine derartige Wirkungsanalyse mit dem Alterungsmodell „Status Kanal“ durchgeführt.“ Bei der Sanierung wird zwischen den Sanierungsarten Erneuerung, Renovierung und Reparatur unterschieden, wobei in den letzten Jahren in Bremen nach Aussage von Broll-Bickardt eine Zunahme der Renovierung durch Schlauchliner festzustellen ist.
Der Vorteil dieser Form der Renovierung liege in dem relativ geringen Eingriff in andere Infrastrukturen und deren Nutzung – vor allem des Verkehrs. Herausforderungen bestehen allerdings bei der Hydraulik insbesondere auch während der Bauphase und der notwendigen aufwendigen Vermessung durch 3D-Laserscanverfahren.
Beispiele wie diese machen deutlich, dass geeignete Werkzeuge und Erfahrungen notwendig sind, um langfristige Szenarien und Visionen für die Bewirtschaftung der Netze zu erarbeiten und abzustimmen. Politik, Wirtschaft, Institutionen und Fachverbände arbeiten an Konzepten für den effizienten und nachhaltigen Umgang mit vorhandenem Anlagevermögen wie etwa den infrastrukturellen Einrichtungen.
Auch Kommunen entwickeln Konzepte zu einer zukunftsorientierten Nachhaltigkeitsstrategie, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Gesichtspunkte umfassen und von Technikern und Kaufleuten im Schulterschluss vorangetrieben werden. „Ziel muss es sein, die Abwassergebühren zielgerichtet zu reinvestieren, um die Substanz der Netze zu bewahren“, ist Wegener überzeugt. „Möglich ist das mit innovativen Bau und Sanierungstechniken sowie einer langfristig ausgerichteten Netzbewirtschaftung, die zwischen technischen Erfordernissen und wirtschaftlichen Möglichkeiten abwägt.“
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