Stuttgarter Runde: Experten für Kanalsanierung tagten auch 2017 wieder
10.08.2017
Die jährliche Fachveranstaltung „Stuttgarter Runde“ wurde bereits zum siebten Mal in Folge vom DWA Landesverband Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart durchgeführt. 130 Experten aus Kommunen, Ingenieur-Büros, Firmen, Institutionen und Behörden sowie 26 Fachaussteller trafen sich dabei zum Erfahrungsaustausch.
Über den Zustand der öffentlichen Kanalisation in Baden-Württemberg berichtete Dipl.-Ing. Joachim Eberlein vom dortigen Umweltministerium. Die Kommunen sind gemäß der Eigenkontrollverordnung des Landes verpflichtet, die öffentlichen Kanäle regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls nach wasserwirtschaftlicher Dringlichkeit zu sanieren. Dies ist für den Schutz der Umwelt von wesentlicher Bedeutung.
Eine Erhebung unter den Kommunen ergab, dass die Erstinspektion bei 96 Prozent der gemeldeten Mischwasserkanäle und Schmutzwasserkanäle im Trennsystem vorgenommen wurde. 76 Prozent der Städte und Gemeinden haben auch die vorgeschriebene Wiederholungsprüfung durchgeführt. Der dabei festgestellte Sanierungsbedarf ist zum Teil erheblich. Die insgesamt sanierungsbedürftige Kanallänge beträgt 12.600 km mit geschätzten Gesamtkosten von 3,3 Mrd. Euro.
Sanierung privater Grundstücksentwässerungsanlagen
Private Grundstücksentwässerungsanlagen wurden jedoch selten überprüft. Schätzungen zufolge handelt es sich hierbei um ca. 150.000 km private Abwasserkanäle, von denen 50 bis 60 Prozent sanierungsbedürftig sind. Der Erlass einer Rechtsverordnung zur Inspektion dieser Anlagen ist derzeit zurück gestellt - insbesondere deshalb, weil momentan keine Erfahrungen für eine taugliche Umsetzungsstrategie vorhanden sind. Die kontrovers geführten Diskussionen in Nordrhein-Westfalen und Hessen lassen ein schrittweises und wohlüberlegtes Vorgehen ratsam erscheinen.
Das Land plant daher laut Eberlein in konzeptioneller Abstimmung mit der DWA für die zweite Jahreshälfte 2017 ein Pilotprojekt, um Erkenntnisse für eine Umsetzung zu gewinnen. Dabei soll in ausgewählten Gemeinden die Koordination von Sanierungsmaßnahmen fachlich begleitet und unterstützt werden. Die so gewonnen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die weiteren Schritte.
GFK-Rohre als neue Sanierungsvariante unter Bahnlinien
Von der Sonderlösung zur Kanalsanierung eines maroden Abwasserhauptsammlers unter der mehrgleisigen Bahnlinie Stuttgart-Ulm berichtete Dipl.-Ing. Uwe Heinemann von der Stadtentwässerung Esslingen. Im Jahr 2012 wurde festgestellt, dass der 100 Jahre alte Kanal aus minderwertigen Beton keine ausreichende Resttragfähigkeit mehr hatte. Als Sofortmaßnahme zur statischen Sicherung wurden Stahlhalbschalen eingebracht, um die Sanierung der begehbaren Mischsystem-Freispiegelkanäle zu ermöglichen.
Die Verfahrensentscheidung fiel für ein Lining mit Kurzrohren aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff (GFK), um den anspruchsvollen statischen Vorgaben Rechnung zu tragen. Einer der drei Sanierungsabschnitte quert die genannte Bahnstrecke. Deshalb mussten nicht nur die Zugverkehrslasten, sondern auch die Vorschriften des Eisenbahnbundesamtes (EBA) berücksichtigt werden. Weil diese den Rohrwerkstoff GFK grundsätzlich ausschließen, musste hierfür eine Einzelfallzustimmung erwirkt werden.
In Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber, Gutachter, Hersteller und EBA bzw. DB Netz AG wurden die statistischen Grundlagen abgestimmt und das Design der GFK-Kurzrohre festgelegt. Es musste ein Dauerschwingnachweis geführt und eine Verformungsbegrenzung eingehalten werden. Die Rohre wurden entsprechend der statischen und geometrischen Vorgaben gefertigt und Anfang 2016 eingebaut. Die je drei Meter langen und 1,5 Tonnen schweren Rohre wurden mit einem eigens konstruierten Einfahrwagen eingebracht. Nach Verfüllung des Ringraums erfolgte der Anschluss der ein- und abgehenden Kanäle an einen neu gesetzten GFK-Schacht DN 2500.
Diese maßgefertigte Spezialkonstruktion ist nur auf GFK-Basis wirtschaftlich darstellbar. Von Vorteil ist zudem, dass nun das komplette Hauptsammlersystem in der Straße aus einem einheitlichen und dauerhaft hoch belastbaren Material besteht. Dieses Beispiel aus der Praxis zeigt, dass nun auch GFK-Rohre unter Bahnlinien als neue und wirtschaftliche Sanierungsvariante in Frage kommen.
Empfehlungen für TV-Abnahmebefahrungen
Sein umfangreiches Wissen über Mängel und Lösungsmöglichkeiten bei der Abnahmebefahrung gab Dipl.-Ing. Wilfried Günzel, Sachverständiger für Kanalinspektion und grabenlose Kanalsanierung, anhand zahlreicher Beispiele an die Teilnehmer der „Stuttgarter Runde“ weiter. Seine Empfehlung: Abnahmebefahrungen durch TV-Inspektion und Abnahmebegehungen durch Inaugenscheinnahme bei Großprofilen sollten immer nach Abschluss aller Kanalsanierungsarbeiten erfolgen und zusätzlich vor Ablauf der Gewährleistungsfrist.
Die TV-Befahrung soll dabei grundsätzlich von einer externen TV-Firma durchgeführt werden und nicht von der Sanierungsfirma. Weiterhin ist es laut Günzel wichtig, dass die Befahrung des Kanals im wasserfreien Zustand erfolgt. Die optischen Problemzonen einer TV-Befahrung - Schacht-, Zulaufeinbindung und Oberflächenstruktur des Trägermaterials - sollten immer langsam abgeschwenkt und Mängel im Gesamtbild wiedergegeben werden. Zudem darf es nicht zu einer Überblendung heller Rohrmaterialien kommen.
Vier-Augen-Prinzip bei der Zustandsbewertung
Beim Eigenbetrieb Stadtentwässerung Stuttgart (SES) wird die optische Zustandserfassung der Entwässerungskanäle nach dem Kodiersystem der DIN EN 13508-2 unter Berücksichtigung des Merkblattes DWA M 149-2 erfasst. Die Zustandsklassifizierung und -beurteilung der Haltungen erfolgt EDV-basiert durch das Klassifizierungsmodul des Kanalinformationssystems (KIS). Die Zustandsklassifizierung und -beurteilung erfolgt nach Merkblatt DWA M 149-Teil 3, Beurteilung nach optischer Inspektion. Bei der Sanierungsplanung wurde laut Martin Schartmann von der SES festgestellt, dass die stichprobenartig durchgeführte sachliche Prüfung der Zustandsdaten nicht ausreichend ist: Fehlbeschreibungen der Befunde und somit die nicht korrekte Zuordnung der Kodierung ergaben oftmals eine EDV-basierte Zustandsbewertung der Haltungen, die nicht der Einschätzung des Ingenieurs entsprach.
Für das Jahr 2012 wurden deshalb 1921 Haltungen in den Zustandsklassen 0 bis 2 ingenieurmäßig bewertet. Die Zustandsklasse hat sich dadurch bei 394 Haltungen bzw. 20,5 Prozent verändert. Die SES hat sich deshalb entschieden, die vorliegenden Inspektionsergebnisse mit den dazugehörenden Kodierungen grundsätzlich ingenieurmäßig zu bewerten.
Umfrage: Stuttgarter Runde empfehlenswert
Insgesamt berichteten acht Experten und sechs Aussteller über ihre Erfahrungen und Konzepte in der Stuttgarter Runde 2017. Die Themen entsprachen nach einer Umfrage unter den Teilnehmern zum überwiegenden Teil den Erwartungen und waren für knapp 90 Prozent relevant für die tägliche Praxis. Die angegliederte Fachausstellung wurde von mehr als 95 Prozent der Befragten besucht. Das Fazit: 93 Prozent der befragten Teilnehmer würden die Veranstaltung weiterempfehlen.
Die nächste Stuttgarter Runde für Experten der Kanalsanierung findet am 21. März 2018 statt.
Weitere News und Artikel
25.09.2023
News
Welche Gesetze erleichtern den Bau von Wasserfern- und Verbundleitungen?
Der Bedarf an Wasserfern- und Verbundleitungen dürfte aufgrund der Folgen des Klimawandels zukünftig erheblich ansteigen. Die Auswirkungen der Trockenphasen auf die Wasserversorgung sind bereits an vielen Stellen in Deutschland sichtbar und werden noch ansteigen. Das macht einen erheblichen Aus- und …
22.09.2023
News
Betontrennmittelemulsionen auf Basis nachwachsender Rohstoffe
MC-Bauchemie hat mit der Ortolan Bio 800er-Reihe eine neue Produktfamilie auf den Markt gebracht. Die Betontrennmittelemulsionen Ortolan Bio 800 und Ortolan Bio 880 wurden speziell für glatte Sichtbetone entwickelt und überzeugen durch besonders umweltfreundliche Eigenschaften.
20.09.2023
Fachartikel
Energiesparend: Pumpen sollten Herzschlag folgen
Andreas Rothe Communications and Events Institute of Science and Technology Austria
18.09.2023
News
BRAWO® SYSTEMS verlängert und erweitert seine DIBt Zulassung für den erdverlegten Bereich
BRAWO® SYSTEMS hat das vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) vorgegebene umfangreiche Prüfprogramm erfolgreich absolviert und seine Zulassung für den erdverlegten Bereich erweitert.
15.09.2023
News
Marschengräben – Ökologisch ausgerichtete Gewässerunterhaltung und aktuelle Entwicklungen
Die DWA hat das Merkblatt DWA-M 622-2 „Marschengräben – Ökologie und Unterhaltung – Teil 2: Ökologisch ausgerichtete Gewässerunterhaltung und aktuelle Entwicklungen“ veröffentlicht.
13.09.2023
News
Ruhrverband mit dem DWA-Klimapreis ausgezeichnet
Der Ruhrverband hat den 3. Platz beim erstmals ausgeschriebenen Klimapreis 2023 der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) gewonnen.
11.09.2023
News
Flächenbündig ohne Höhen und Tiefen
Stolperfallen und gefährliches Absacken durch den richtigen Einbau von Schachtabdeckungen vermeiden
08.09.2023
News
Gütegemeinschaft Entwässerungstechnik e. V. (GET) Kompakt Info 95
Wassergefährdende Stoffe dürfen nicht in die Umwelt gelangen. Deshalb müssen Leichtflüssigkeitsabscheideranlagen zum Schutz gegen Austrag von Leichtflüssigkeiten eine Überhöhung gegenüber dem tiefsten Zulauf sowie gegenüber der Rückstauebene aufweisen. Ein Fachkundiger für Abscheideranlagen gibt Tipps, was zu tun ist.
06.09.2023
News
DIRINGER & SCHEIDEL (D&S) übernimmt Druckrohr- und Kanalsanierungssparte der RTi Austria GmbH in die neu gegründete DIRINGER & SCHEIDEL AUSTRIA GMBH
Mit der Unterzeichnung des Kaufvertrags hat die DIRINGER& SCHEIDEL Rohrsanierung GmbH & Co. KG aus Mannheim, Deutschland Teile der traditionsreichen RTi Austria GmbH mit Sitz in Pucking, Österreich übernommen. Es handelt sich dabei um die grabenlose Druckrohr- und Kanalsanierungssparte, deren …
31.08.2023
News
Erstellung eines Arbeitsberichts „Plant Wide Control“ – Vernetzte Automatisierungslösungen auf Kläranlagen
Die DWA plant die Erstellung eines Arbeitsberichts „Plant Wide Control“ – Vernetzte Automatisierungslösungen auf Kläranlagen.
30.08.2023
News
Kanalgipfel 2023: Wasserwirtschaft in der Region - Stand und Perspektiven
Die Entwässerungssysteme unserer Städte sind ein wesentlicher Bestandteil des kommunalen Anlagevermögens. Die große Zukunftsaufgabe, vor der viele Kommunen stehen, besteht in einer fundierten technischen und wirtschaftlichen Bewertung dieser langlebigen Anlagen. Der Kanalgipfel bietet eine Hilfestellung für eine detaillierte und konsistente …
28.08.2023
News
Zusammenschluss des Betonwerk Neu-Ulm mit der ACO Gruppe
Am 30.06.2023 findet der Zusammenschluss des Betonwerk Neu-Ulm mit der ACO Gruppe statt. Die ACO Ahlmann SE & Co. KG tritt als Gesellschafterin mit 100% der Anteile in das Betonwerk Neu-Ulm ein. Das Betonwerk selbst bleibt weiterhin eigenständig.
Kontakt
DWA Landesverband Baden- Württemberg
Cornelia Haag
Rennstraße 8
70499 Stuttgart
Deutschland
Telefon:
+49 711 896631-190
Fax:
+49 711 896631-111