Wirtschaftlich und nachhaltig ausschreiben
28.06.2023
Nachhaltigkeitsaspekte spielen bei der Auswahl von Werkstoffen für die Entwässerung eine immer größere Rolle, auch wenn es diesbezüglich (noch) keine verbindlichen Vorgaben des Bundes oder der Länder gibt. Doch wie findet man einen nachhaltigen und gleichzeitig wirtschaftlichen Werkstoff? Welche Kriterien sind hierbei zu berücksichtigen? Wer liefert verlässliche Informationen? Fragen über Fragen, die es bei der Materialauswahl zu beantworten gilt.
Gemäß einer aktuellen Aufstellung des Statistischen Bundesamts berücksichtigen mehr als 84 % der öffentlichen Auftraggeber lediglich den Preis als Vergabekriterium. Gleichzeitig sind Anforderungen an Umweltwirkungen auf dem Vormarsch. Fehlende Vorgaben erschweren es jedoch öffentlichen Netzbetreibern, geeignete Kriterien auszuwählen, die einen nachhaltigen Werkstoff ausmachen. Während für die einen der reine CO2-Ausstoß bei der Produktion ausschlaggebend ist, spielen für die anderen die Regionalität oder die Zusammensetzung des Werkstoffs eine entscheidende Rolle. Wieder andere machen Nachhaltigkeit an Umweltsiegeln fest oder beziehen soziale Aspekte in die Definition mit ein. Es ist daher nicht möglich, die Nachhaltigkeit eines Werkstoffes nur anhand eines einzigen Kriteriums zu bewerten. Aus diesem Grund beleuchtet der vorliegende Beitrag verschiedene Nachhaltigkeitskriterien am Beispiel des in der Entwässerungswirtschaft am meisten eingesetzten Rohrwerkstoffes Beton. Dabei werden folgende Kriterien berücksichtigt:
- CO2-Fußabdruck und EPD
- Regionalität
- Lebensdauer und Sanierbarkeit
- Recyclingquote und Kreislaufwirtschaft
- Einsatz- und Optimierungsmöglichkeiten
-
Gesetzliche Vorgaben
Analyse der Ökobilanz: CO2-Fußabdruck und EPD
Die Treibhausgasemissionen eines Produktes (angegeben in kg CO2-Äquivalent (CO2eq)) sowie weitere Umweltwirkungen werden in den sogenannten Umweltproduktdeklarationen (EPDs) angegeben, die z.B. in der Datenbank „Ökobaudat“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen veröffentlicht werden. Bei der Analyse der Ökobilanz berücksichtigen EPDs alle Lebenszyklusphasen von der Rohstoffgewinnung bis zum recycelten Produkt, sofern für die jeweilige Phase Daten angegeben werden können. Die Ermittlung der Werte erfolgt nach einem standardisierten Verfahren und ermöglicht so die Vergleichbarkeit verschiedener Rohrwerkstoffe.
Die rheinland-pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau hat auf Basis dieser offiziellen Werte ein Vergleichstool entwickelt, das den CO2-Fußabdruck verschiedener Rohrwerkstoffe anhand bestehender EPDs gegenüberstellt. Unter www.klima-rechner.de erhalten Interessierte nach Auswahl von Nennweite und Werkstoff eine grafische und tabellarische Übersicht der wichtigsten Umweltkennwerte. Die Werkstoffe Beton und Stahlbeton schneiden hierbei sehr gut ab und belegen jeweils Spitzenplätze bei CO2eq-Ausstoß und Primärenergiebedarf. Damit wird der Irrglaube widerlegt, dass schwere Bauteile einen größeren CO2-Fußabdruck haben als leichte. Hier ist sogar das Gegenteil der Fall: Trotz ihres hohen Gewichts weisen Kanalrohrsysteme aus Beton und Stahlbeton einen geringeren CO2-Fußabdruck auf als leichtere Alternativsysteme.
Auf Basis des Klima-Rechners hat der FBS (Bundesfachverband Betonkanalsysteme) ein Klima-Rad entwickelt, das den CO2eq-Ausstoß für eine 80 m lange Haltung überschlägig und anschaulich darstellt. Das Klima-Rad kann auf der Homepage des FBS unter www.fbs-beton.de/klima-rad kostenfrei bestellt werden.
Umweltschutz durch Regionalität
„Produkte aus der Region!“ – was im Lebensmittelbereich immer mehr an Bedeutung gewinnt, gilt in der Betonbranche schon seit vielen Jahrzehnten. Die Hauptbestandteile von Beton, Kies bzw. Sand, Zement und Wasser, stammen in der Regel aus der unmittelbaren Umgebung des Rohrherstellers. Deutschlandweit gibt es mehr als 60 Produktionsstätten für Betonrohre und -schächte, meist in der Nähe einer Kiesgrube und eines Zementwerkes. Dadurch ist eine flächendeckende Versorgung mit Rohstoffen gewährleistet und Importe aus Übersee entfallen.
Die dezentrale Versorgungssituation ermöglicht kurze Transportwege zur Baustelle und sorgt so für eine Reduktion der CO2-Emissionen bzw. für eine Kompensation des in der Regel höheren Transportgewichts der Betonbauteile. Gleichzeitig tragen die FBS-Mitglieder zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland bei. Dabei erfüllen sie höchste soziale, ökologische und ökonomische Anforderungen (Arbeitsbedingungen, Mindestlohn, Umweltschutz, Lieferketten etc.).
Nicht nur die Rohstoffgewinnung, sondern auch die Zusammensetzung der Rohstoffe bietet ökologische Vorteile. Denn Kanalsysteme aus Beton und Stahlbeton bestehen aus natürlichen Ausgangsstoffen und stellen somit keine Belastung für den umgebenden Boden dar. Auch der im Betrieb anfallende Abrieb enthält keine künstlichen Bestandteile wie z.B. Mikroplastik und kann daher unbehandelt in den Vorfluter eingeleitet werden.
Lebensdauer und Sanierbarkeit
Die Lebensdauer eines Bauteils kann als Inbegriff von Nachhaltigkeit angesehen werden. Denn ein Produkt, das lange hält, muss erst später erneuert werden. Kanalbauteile aus Beton bewähren sich seit über 150 Jahren im praktischen Einsatz. Viele Entwässerungssysteme aus Beton haben eine Lebensdauer von 100 Jahren und mehr. Diese nachgewiesene Produktqualität ist umso überzeugender, wenn man bedenkt, dass diese Rohre kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hergestellt wurden. Produktionsmethoden und Betontechnologie haben sich seitdem stetig verbessert, so dass heutigen Betonkanalsystemen eine noch viel längere Lebensdauer prognostiziert werden kann. Große Wasserwirtschaftsverbände rechnen beispielsweise mit einer Nutzungsdauer von 100 bis 150 Jahren.
Darüber hinaus bieten Kanalsysteme aus Beton und Stahlbeton den Vorteil, dass sie am Ende ihrer Lebensdauer einfach recycelt, ggf. sogar zuvor saniert werden können. Aufgrund ihrer Formstabilität und Materialeigenschaften sind sie für gängige Sanierungsverfahren geeignet.
Recyclingquote und Kreislaufwirtschaft
Betonbauteile erreichen bereits heute eine Recyclingquote von über 90 Prozent. Damit ist Beton ein gefragter Werkstoff in der Kreislaufwirtschaft. Die Betonbranche verfügt über ein funktionierendes Recyclingsystem, so dass die Produkte am Ende ihrer Lebensdauer nicht wie spezielle Kunststoffe deponiert oder thermisch verwertet, also „verbrannt“ werden müssen. In aktuellen Forschungsprojekten werden neue Recyclingverfahren entwickelt, um diese Vorreiterrolle beim Recycling weiter auszubauen. Der FBS wird in Kürze ein Projekt gemeinsam mit einem europäischen Hersteller umsetzen, welches nochmals einen Meilenstein im Recycling von Beton darstellen soll.
Darüber hinaus besitzen Betonbauteile die Fähigkeit zur Rekarbonatisierung, das heißt, sie nehmen im Laufe ihres Lebenszyklus bis zu 43 Prozent des bei der Herstellung freigesetzten CO2 wieder auf und speichern es [Fengming Xi, Steven J. Davit et al.: Substantial global carbon uptake by cement carbonation. In: Nature Geoscience, Nov. 2016].
Einsatz- und Optimierungsmöglichkeiten
Ein weiterer Vorteil von Beton im Hinblick auf die Nachhaltigkeit liegt in der großen Formenvielfalt und nahezu unbegrenzten Formbarkeit des Werkstoffs. Je nach Einsatzzweck bietet die Betonindustrie optimale Standardlösungen (z.B. Durchmesser- und Querschnittsvielfalt mit Kreis-, Ei-, Maul- und Rechteckprofilen von DN 300 bis DN 4000) oder individuelle Sonderlösungen an. Damit wird gewährleistet, dass das gewünschte Kanalsystem mit möglichst wenigen Bauteilen realisiert werden kann. Alternative Lösungen aus Standardbauteilen erfordern ggf. zusätzliche Bauteile, um die gewünschte Konstruktion zu erreichen, was unweigerlich zu einer höheren CO2-Belastung führt.
Gesetzliche Vorgaben
Im Zeichen des „European Green Deal“ werden derzeit auf nationaler und internationaler Ebene zahlreiche Gesetze auf den Weg gebracht, die die Klimaneutralität bis 2045 vorbereiten. Auf Landes- und Bundesebene gibt es schon heute Vorgaben, die bei Ausschreibungen die Umweltauswirkungen von Produkten berücksichtigen. Auch einzelne Städte und Gemeinden haben sich bei Ausschreibungen bereits individuelle Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Alle Initiativen haben eines gemeinsam: Sie zeigen, dass der Einfluss von Nachhaltigkeitsaspekten in den kommenden Jahren drastisch zunehmen wird und es sinnvoll ist, sich bereits heute damit auseinanderzusetzen.
Fazit
Unternehmen, Behörden, Kommunen und Netzbetreiber werden in den kommenden Jahren im Tief- und Kanalbau mit zahlreichen neuen Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit konfrontiert. Während aktuell noch wirtschaftliche Vergabekriterien dominieren, werden umweltrelevante Anforderungen weiter an Gewichtung zunehmen. Die Werkstoffe Beton und Stahlbeton werden mit ihrer Regionalität, Langlebigkeit, Recyclingfähigkeit und ihrem geringen CO2-Fußabdruck schon heute den Anforderungen an nachhaltige Vergabekriterien gerecht. Klimafreundlich und wirtschaftlich ausschreiben ist daher schon heute mit Beton möglich.
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Geschäftsführer FBS
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