Ein Jahrhundertprojekt geht in die nächste Runde
01.08.2023
Gütegesicherter Bau eines Stauraumkanals in Nürnberg
Bereits seit einigen Jahren laufen in Nürnberg die umfangreichen Arbeiten im Rahmen des Projektes „Generalsanierung Siedlungen Süd“. Ziel ist es, dass bestehende Kanalnetz in den vier betroffenen Stadtteilen Gartenstadt, Falkenheim, Kettelersiedlung und Neulandsiedlung hydraulisch zu entlasten. Hierzu werden insgesamt 7,3 Kilometer Kanäle inklusive dreier Stauraumkanäle gebaut – 5,1 Kilometer im Rohrvortrieb und 2,2 Kilometer in offener Bauweise. Nachdem der Stauraumkanal im Bauabschnitt BA5 aus Dringlichkeitsgründen bereits zwischen 2017 und 2019 umgesetzt worden ist, wird aktuell der nächste Stauraumkanal (BA1) errichtet. Auch hier kommt aufgrund der großen Tiefenlage wieder der Rohrvortrieb zum Einsatz. Unter der Federführung des Eigenbetriebes Stadtentwässerung und Umweltanalytik (SUN) der Stadt Nürnberg wird diese Baumaßnahme von Sonntag Baugesellschaft mbH & Co. KG, Niederlassung Bingen, durchgeführt. Mit dem Bau des rund ein Kilometer langen Stauraumkanals aus Stahlbetonrohren DN 2600 wurde 2022 begonnen. Im Herbst 2024 sollen die Arbeiten an dem Bauabschnitt abgeschlossen sein und der Stauraumkanal in Betrieb genommen werden. Für die Vergabe der Vortriebsarbeiten wurde seitens des SUN von den Bietern ein Qualifikationsnachweis gefordert. Dieser konnte gemäß Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 961 von der Sonntag Baugesellschaft erbracht werden.
Eine eigene Kleinstadt
Das Gebiet, welches die „Siedlungen Süd“ umfasst, ist rund 365 Hektar groß. Derzeit leben hier schätzungsweise 14.000 Menschen, was der Größe einer Kleinstadt entspricht. Bebaut wurde das Gebiet sukzessive ab 1908 zunächst als klassische Gartenstadt mit offener und viel Grün durchzogener Bebauung. Nach den beiden Weltkriegen stand die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum in Form von sogenannte Behelfssiedlungen im Fokus. Mit dieser schnellen Wohnraumentwicklung konnte der Bau der notwendigen Infrastruktur vielfach nicht Schritt halten. „Die später errichtete Kanalisation war primär auf die Entsorgung des Schmutzwassers ausgelegt, da das Regenwasser vor Ort genutzt oder versickert werden sollte. Bedingt durch die bauliche Verdichtung und damit einhergehenden Versiegelung der Flächen, zeigten sich jedoch frühzeitig Unzulänglichkeiten an diesem Entwässerungskonzept“, erläutert Dipl.-Ing. (FH) Miriam Liß, Projektleiterin beim SUN. Bereits Ende der 1980er Jahre habe man erste hydraulische Untersuchungen des Gebietes durchgeführt und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Netz in weiten Teilen hydraulisch überlastet sei. Die Generalsanierung musste aber zunächst zeitlich nach hinten verschoben werden. „Bei starken Regenfällen kam es in den Siedlungen Süd jedoch immer wieder zu Rückstau und zur Überflutung der Straßen. Zudem weist ein Teil der Kanalisation auch altersbedingte Schäden auf“, so Liß weiter. Anfang der 2000er Jahre betrachtete die SUN daher das Gebiet erneut und erstellte eine Entwässerungsstudie, die die hydraulischen Engpässe identifizierte. Liß: „Um bei Regenereignissen das Niederschlagswasser zwischenzuspeichern und die Kanalisation zu entlasten, werden insgesamt drei Stauraumkanäle im Nebenschluss mit je ungefähr einem Kilometer Länge errichtet.“
Erschwerte Bedingungen
Einer dieser drei Stauraumkanäle wird aktuell im Bereich der Minervastraße vom Finkenbrunn bis zur Einmündung des Wacholderwegs im Rohrvortrieb mit Teilschnittverfahren hergestellt. Oberbauleiter Dipl.-Ing. (FH) Christian Trittenbach, Sonntag Baugesellschaft: „Die Startbaugrube befindet sich ungefähr in der Mitte des Stauraumkanals. Von dort aus, haben wir den ersten Vortrieb mit einer Länge von 470 Metern bereits abgeschlossen. Seit Mitte März 2023 läuft der rund 560 Meter lange zweite Vortrieb in die entgegengesetzte Richtung.“ Vorgepresst werden die drei Meter langen Stahlbetonrohre DN 2600 dabei mit maximal 650 bis 700 Tonnen Vortriebskraft rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb. Der Abbau der Ortsbrust erfolgt mittels rotierender Schräme. Das Grundwasser an der Ortsbrust wird dabei mittels Druckluft im Baugrund gehalten. Der Vorteil der Vortriebsvariante mit sogenanntem offenem Schild: Der Austausch der Abbauwerkzeuge kann einfacher erfolgen. „Der anstehende Boden in Nürnberg wechselt in seiner Beschaffenheit sehr stark. So kann es vorkommen, dass innerhalb einer Schicht auch mal zehn Zähne der Schräme getauscht werden müssen,“ so Trittenbach. Manchmal seien es aber auch nur drei. Und weiter: „Bei dem zweiten Vortrieb liegen wir mit elf Metern Tiefe etwas tiefer als beim ersten Vortrieb. Daher beträgt der Druck in der Abbaukammer nun 0,8 bar.“
Information ist die halbe Miete
Bei so einer umfangreichen Maßnahme sei es wichtig, die Anwohner mit ins Boot zu nehmen, wie Reinhard Lang, bei der SUN und zuständig für die örtliche Bauüberwachung, betont: „Gerade das Thema Verkehr und Parkplätze ist immer heikel.“ Mit mehreren Bürgerversammlungen, Informationsflyern und einer eigenen Interseite zu dem Gesamtprojekt „Generalsanierung Siedlungen Süd“ versuche man die Bürger aber immer auf dem Laufenden zu halten. Und Liß ergänzt: „Wir hatten auch schon einen Tag-der-offenen-Tür, bei dem sich ungefähr 60 interessierte Bürger die Baumaßnahme angesehen haben. Das ist sehr gut angekommen.“ Gerade durch die Tatsache, dass der Vortrieb rund um die Uhr und damit auch nachts läuft, sei es, laut Trittenbach, sehr wichtig, auf die Anwohner zuzugehen. Lang: „Wenn wir vor Ort auf der Baustelle sind, versuchen wir die aufkommenden Fragen immer direkt zu beantworten und ernten dabei viel Verständnis.“ Oft habe er schon gehört: Was muss, das muss!
Gütesicherung ist ein wichtiger Baustein
Damit auf den Baustellen der SUN alles möglichst reibungslos verläuft, ist eine Grundvoraussetzung bei der Vergabe ein Qualifikationsnachweis der Bieter. „Diesen hat die Sonntag Baugesellschaft mit dem Gütezeichen VOD der Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 erbracht“, so Dipl.-Ing. Dieter Walter, Prüfingenieur beim Güteschutz Kanalbau. Aktuell führen sechs Firmen dieses Gütezeichen in Deutschland. „Bei diesen Firmen wird kontinuierlich geprüft, ob neben dem qualifizierten Personal auch ausreichende Referenzen zum Erhalt des Gütezeichens VOD vorliegen“, erläutert Walter. In Nürnberg geht man bei der Planung und Durchführung von Projekten einen ganz besonderen Weg. Walter: „Da wird das jeweilige Projekt entsprechend den HOAI-Leistungsphasen von der Grundlagenermittlung bis zur Objektbetreuung von qualifizierten Teams intern bearbeitet.“ Ingenieurbüros werden beispielsweise für komplexe Verkehrsleitplanungen eingebunden. Für das geologische Baugrundgutachten zeichnete sich bei dieser Baumaßnahme die LGA Bautechnik GmbH verantwortlich. Das Prinzip „alles aus einer Hand“ mit kompetenten Partnern wirke sich positiv auf die Qualität des Bauwerks aus.
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