Kläranlage mit Düsenantrieb
06.01.2014
Schwimmende Mikromotoren aus Platin und Eisen befreien Wasser mit Wasserstoffperoxid besonders effizient von organischen Schadstoffen.
Organische Schadstoffe könnten sich künftig auf elegante Weise aus Abwässern entfernen lassen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart haben schwimmende Mikromotoren entwickelt, die organische Substanzen im Wasser abbauen. Die mobilen Mikrokläranlagen bestehen aus einem Metallröhrchen mit einer äußeren Eisen- und einer inneren Platinschicht. Als Treibstoff nutzen sie Wasserstoffperoxid, mit dem das Wasser versetzt wird.
Das Oxidationsmittel bewirkt nicht nur, dass eine Mikromaschine wie eine Unterwasserdüse Fahrt aufnimmt, es reagiert an der Oberfläche des Eisenröhrchens auch mit den Schadstoffen. Viele organische Verunreinigungen lassen sich durch gängige Methoden der Wasseraufbereitung kaum entfernen. Sie in der sogenannten Fenton-Reaktion mit Wasserstoffperoxid an einer Eisenoberfläche zu zersetzen, gilt jedoch als wirkungsvolles Mittel gegen die Substanzen. Wie die Stuttgarter Forscher nun nachwiesen, reinigt ein Schwarm der schwimmenden Mikrokläranlagen das Wasser etwa zwölf Mal schneller als reine Eisenröhrchen, die sich nicht aktiv durch das Wasser bewegen können.
Vielen organischen Schadstoffen lässt sich mit den gängigen Methoden der Wasseraufbereitung kaum beikommen. Mineralöle, Pestizide, Lösungsmittel, organische Farben und halogenierte Verbindungen lassen sich weder mit chlorhaltigen Chemikalien oder Ozon noch durch Ausflockung effizient aus dem Wasser entfernen. Als sehr wirksam gegen die hartnäckigen Stoffe hat sich jedoch die Fenton-Methode erwiesen. Dabei zersetzt Wasserstoffperoxid, das dem Abwasser zugegeben wird, die Substanzen zu Kohlendioxid und Wasser. Die mehrstufige Reaktion wird von Eisen-II-Ionen (Fe2+) katalysiert. Forscher um Samuel Sánchez des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme haben nun eine mobile Variante dieser Abwasserreinigung entwickelt: Sie haben Mikromotoren aus Platin mit einer Reinigungsfunktion ausgestattet, indem sie die winzigen Triebwerke mit Eisen ummantelten. Im Wasser bilden sich auf der Eisenoberfläche die Eisen-II-Ionen, die als Katalysator bei der Schadstoffbeseitigung gebraucht werden.
Die 500 Mikrometer langen schwimmenden Kläranlagen stellten die Forscher mit einer seit wenigen Jahren bekannten Technik her: Sie dampften Eisen in einer 100 bis 200 Nanometer dicken Schicht auf kleine rechteckige Lackflächen, mit denen sie ein Glasplättchen versehen hatten. Anschließend brachten sie eine Platinschicht von einem Nanometer Dicke auf das Eisen auf. Wegen der unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften der Metalle rollte sich die Doppelschicht von selbst auf, als die Forscher den Lack wegätzten. "Auf diese Weise lassen sich die multifunktionalen Röhrchen in großer Stückzahl herstellen", sagt Samuel Sánchez, der am Stuttgarter Max-Planck-Institut eine Forschungsgruppe leitet.
Die Platinschicht wird zum Motor der Röhrchen, weil sie wie das Eisen eine Reaktion des Wasserstoffperoxids katalysiert, wenn auch eine andere. "Wasserstoffperoxid ist sozusagen das Benzin für unsere Mini-U-Boote", erklärt Lluis Soler aus der Forschungsgruppe. Das Oxidationsmittel zersetzt sich an seiner Oberfläche nämlich zu Wasser und Sauerstoff, der kleine Blasen bildet. Wenn die Sauerstoffblasen aus dem Inneren der Röhrchen entweichen, wird das Röhrchen zum Düsentriebwerk: Es setzt sich in Bewegung, weil aus den beiden Öffnungen der Röhrchen unterschiedliche Gasmengen austreten. Sobald das Röhrchen Fahrt aufgenommen hat, strömen die Bläschen nur noch aus einer seiner Öffnungen, sodass der Rückstoß es gemächlich in die entgegengesetzte Richtung schiebt.
Auf die Idee, die winzigen Düsentriebwerke mit einem Eisenmantel zu versehen und so zur schwimmenden Kläranlage zu machen, verfielen die Stuttgarter Forscher, als sie über ein anderes Problem nachdachten. Mit Mikro- und Nanomotoren verbindet sich nämlich die Vision, Medikamente gezielt in kranke Organe, etwa zu Tumorzellen, transportieren. Dort könnten sie sich mit Nanokanülen durch Zellmembranen bohren und Wirkstoffe direkt in Zellen injizieren. Diesem Ziel steht bisher jedoch eine großes Hindernis im Weg: Wasserstoffperoxid und andere Stoffe, welche die bisher entwickelten Motoren für ihren Antrieb brauchen, schaden Lebewesen. Das brachte die Forscher auf den Gedanken, die Mikromotoren dort einzusetzen, wo ihr Treibstoff keinen Schaden anrichtet, sondern sogar nützlich ist.
Da die Eisenschicht zudem magnetisch ist, lassen sich die Röhren theoretisch auch zielgenau an schwer zugängliche Verschmutzungen steuern und nach vollendeter Reinigung wieder vollständig aus der Flüssigkeit entfernen. Und überschüssiges Wasserstoffperoxid bereitet bei der Wasseraufbereitung auch keine Probleme, da es durch Licht zu Wasser und Sauerstoff abgebaut wird, wenn auch ohne Katalysator nur langsam.
"Wir wollten Mikromotoren konstruieren, die eine sinnvolle Anwendung haben", erklärt Sánchez die Motivation der Arbeitsgruppe. Er schränkt allerdings ein, dass die Methode bisher nur im Kleinen funktioniere und der Weg zur industriellen Anwendung noch weit sei. Mit ihrer Arbeit wollen die Stuttgarter Wissenschaftler den Mikromotoren jedoch einen Weg zu künftige Anwendungen in der Umwelttechnik bereiten. Und die könnten Lluis Soler zufolge so aussehen: "Ich könnte mir gut vorstellen, dass Wasser auf diese Weise eines Tages von Farbstoffrückständen aus der Textilindustrie oder Pestiziden aus der Landwirtschaft befreit wird."
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