Sanierung von nicht dauerhaft standsicheren Großprofilen - Teil 1: Zustandserfassung und Sanierungsverfahren

11.07.2017

Die vorwiegend unter öffentlichen Straßen verlegten großen Abwassersammler sind vielfach seit über 100 Jahren in Betrieb. Sie bestehen aus Mauerwerk oder Stampfbeton und weisen häufig derart gravierende Schäden auf, dass die dauerhafte Standsicherheit nicht mehr gewährleistet scheint. Als Alternative zu einer Erneuerung stehen auch für Großprofile verschiedene Renovierungsverfahren zur Verfügung, die deutliche Vorteile hinsichtlich der Investitionskosten, des Umweltschutzes und der urbanen Belastung bieten. Die dabei erreichte Verlängerung der Nutzungsdauer kann, je nach Verfahren, durchaus der einer Erneuerung entsprechen. Voraussetzung ist eine eingehende Untersuchung der tatsächlichen Standsicherheit bzw. Resttragfähigkeit des bestehenden Kanals und eine bedarfsgerechte Wahl und Dimensionierung des Sanierungsverfahrens. Das neue Arbeitsblatt DWA-A 143-2 stellt eine gute Grundlage für die erforderlichen statischen Berechnungen dar, die detailliert in Teil 2 beschrieben werden.

1. Besonderheiten großer Abwassersammler
1.1 Werkstoffe und Profilformen

Bild 1: Geststammsiel im Bau (Hamburg 1872), Quelle: Hamburger Stadtentwässerung

Entsprechend den zu Beginn des letzten Jahrhunderts gültigen Anforderungen und bautechnischen Möglichkeiten wurden die Kanäle häufig gemauert, wobei gelegentlich Natursteine, vorwiegend aber künstlich hergestellte Steine (gebrannte Vollziegel/Klinker) verwendet wurden. In Abhängigkeit von den Abmessungen und den damaligen Belastungen sind die Mauerwerksschalen ein-, zwei- oder sogar dreilagig ausgeführt, wobei sich nicht selten die Wanddicke innerhalb des Querschnitts ändert. Darüber hinaus wurden aber auch schon frühzeitig Kanäle aus Stampfbeton hergestellt, dessen Festigkeit sich heute allerdings sehr unterschiedlich darstellt. Eine Bewehrung im Beton findet sich nur selten und deckt sich meist nicht mit unseren heutigen Anforderungen an einen Stahlbeton.

Die bei kleineren Kanälen vorherrschenden Standard-Profilformen mit Kreis- oder Ei-Querschnitt weichen mit zunehmender Größe der Sammler anderen, betrieblich und statisch günstigeren Profilformen. Die meisten Großprofile können entweder als Maul- oder als Haubenprofil eingeordnet werden. Die individuellen Querschnittsformen treten dabei aber in unterschiedlichen Varianten auf, die beispielsweise mit den Attributen breit, gedrückt, gestreckt oder überhöht näher spezifiziert werden können. Ziel der damaligen Konstrukteure und Statiker war es, die Lastabtragung über ein Druckgewölbe zu realisieren, da von den verwendeten Werkstoffen Zugspannungen nur sehr begrenzt aufgenommen werden konnten. Dieses Tragverhalten setzt eine entsprechende Auflagerung bzw. Gründung des Gewölbebogens mit ausreichender Tragfähigkeit und Steifigkeit des Baugrundes voraus.

Die Sohle des Kanals ist bei vielen Querschnitten als separates Gewölbe ausgebildet, das vom Hauptgewölbe als statisch entkoppelt betrachtet werden muss und (zumindest oberhalb des Grundwasserspiegels) die globale Standsicherheit des Kanals meist nicht beeinflusst.

In den Bild 2 und Bild 3 sind unterschiedliche Querschnittsformen beispielhaft dargestellt.

Bild 2: Historische Querschnittszeichnungen von Großprofilen in Köln (links, Mitte) und Stuttgart (rechts), Quelle: Handbuch der Ingenieurwissenschaften in fünf Teilen

Bild 3: Haubenprofile Dresden (um 1912), Quelle: Büsing, Schumann: Der Portlandzement und seine Anwendung im Bauwesen

1.2 Zustandserfassung
1.2.1 Grundlagen der Zustandserfassung

Bild 4: Altrohrzustände (v. l. n. r.): I, II, III und IIIa, Quelle: S&P Consult GmbH

Die Zustandserfassung für Großprofile erfolgt grundsätzlich in enger Anlehnung an das neu erschienene Arbeitsblatt DWA-A 143-2 (Juli 2015) [2], das die statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserleitungen und -kanälen mit Lining- und Montageverfahren regelt. Obwohl sich dieses Regelwerk vorwiegend auf Rohre und Kanäle mit (kleineren) Kreis- und Eiquerschnitten bezieht, wird die grundsätzliche Vorgehensweise für die Berechnung und Bemessung auch für Großprofile übernommen.

Zur grundsätzlichen Einstufung der Standsicherheit des zu sanierenden Kanals (im DWA-A 143-2 als Altrohr bezeichnet) werden drei grundsätzliche „Altrohrzustände“ unterschieden (Bild 4):

  • Altrohrzustand I: Das Altrohr ist allein tragfähig. In diesem Fall hat der Liner lediglich die Dichtheit des Kanals herzustellen. Da das Altrohr alle von außen wirkenden Lasten alleine abtragen kann, wird der Liner nur durch das Grundwasser belastet, das durch die undichte Kanalwandung sickert und einen Außendruck entsprechend dem Grundwasserstand aufbaut.
  • Altrohrzustand II: Das Altrohr ist nicht allein tragfähig und an vier Stellen im Umfang (Scheitel, Kämpfer und Sohle) längs gerissen. Die dabei entstandenen Viertelschalen haben sich gegeneinander verdreht, wobei der Querschnitt ovalisiert. Die lichte Höhe des Querschnitts hat sich reduziert, dafür ist der Querschnitt aber breiter geworden und hat sich im Kämpferbereich in den Boden gedrückt. Der Boden stützt den Kanal, und es entsteht ein Tragsystem, bestehend aus dem gerissenen Altrohr und dem stützenden Boden, das sogenannte Altrohr-Bodensystem. Ist dieses Altrohr-Bodensystem statisch mit den erforderlichen Sicherheiten standsicher, befindet sich das Altrohr im Altrohrzustand II. In diesem Fall hat der Liner analog zum Altrohrzustand I nur die Dichtheit des Kanals herzustellen. Da das Altrohr alle von außen wirkenden Lasten alleine abtragen kann, wird der Liner lediglich durch das Grundwasser belastet, das durch den undichten Kanal fließt und einen Außendruck aufbaut. Im Gegensatz zum Altrohrzustand I muss ggf. mit einem oval vorgeformten Liner gerechnet werden.
  • Altrohrzustand III: Dieser Altrohrzustand entspricht dem Altrohrzustand II mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Standsicherheit des Altrohr-Bodensystems nicht mehr nachweisbar ist. In diesem Fall hat der Liner nicht nur Grundwasserlasten zu tragen, sondern muss sich zumindest teilweise an der Aufnahme aller Einwirkungen wie Erdlasten, Verkehrslasten, Auflasten beteiligen. Im Vergleich zu den Altrohrzuständen I und II sind die Einwirkungen auf den Liner im Altrohrzustand III in der Regel um ein Vielfaches größer.

Im DWA-A 143-2 wurde ein weiterer Altrohrzustand kreiert, der als Altrohrzustand IIIa bezeichnet wird, aber nur in den informativen Anhang des Regelwerks aufgenommen wurde. Im Gegensatz zum bestehenden Altrohrzustand III wird dabei davon ausgegangen, dass auch die Viertelschalen zwischen den Gelenken (Rissen) des Altrohres nicht intakt bleiben und zerbrechen, so dass jegliche stützende Wirkung des Altrohres entfällt. Großprofile, die diesem Altrohrzustand IIIa zugeordnet werden müssen, sind allenfalls in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung besonderer Maßnahmen sanierbar und werden deshalb nachfolgend nicht weiter berücksichtigt.

Tabelle 1 zeigt die im DWA-A 143-2 definierten Kriterien zur Abgrenzung zwischen den Altrohrzuständen II und III. Für Großprofile können die Angaben dieser Tabelle allenfalls als erste Richtwerte herangezogen werden. Stattdessen sind genauere und insbesondere individuelle Untersuchungen des Querschnitts erforderlich und gerechtfertigt, da einerseits das Gefährdungspotential deutlich größer ist als bei kleinen Rohrleitungen und anderseits ein hohes Einsparpotential für die Ausführung der Sanierung besteht.

Tabelle 1: Kriterien zur Einordnung eines Kanals in den Altrohrzustand III in Anlehnung an DWA-A 143-2

Kriterium Grenzwert
Gelenkringverformung größer als 6 %
Überdeckung über Scheitel kleiner als die Querschnittsbreite
Laständerung (z. B. Erhöhung der Auflast) ja
Risse werden größer ja
Hohlraumbildung im Boden durch Infiltration ja

1.2.2 Historische Recherche, Begehung und Monitoring

Der erste Schritt der individuellen Zustandserfassung ist die Auswertung eventuell noch vorhandener Unterlagen zu dem zu untersuchenden Querschnitt. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass in den meisten Fällen keine Pläne mehr auffindbar sind und nicht selten selbst das Baujahr, der Werkstoff und die Querschnittsgeometrie vollkommen unbekannt sind.

Somit werden die ersten Erkenntnisse erst im Rahmen einer Begehung des Sammlers über die gesamte Länge mit

  • einer Bestimmung des Werkstoffs und
  • einer Dokumentation der statisch relevanten Schäden (Risse, Korrosion, freiliegende Bewehrung, …)

gewonnen.

Danach erfolgt eine erste Einschätzung der Standsicherheit insbesondere im Hinblick auf eine eventuelle akute Einsturzgefahr, die Sofortmaßnahmen wie die Sperrung des (Schwer-)Verkehrs erfordern kann.

Bild 5: Längsriss im Ortbetonkanal, Quelle: S&P Consult GmbH

Bild 6: Breiter Längsriss im Scheitel eines Ortbetonkanals, Quelle: S&P Consult GmbH

Bild 7: Erheblicher Längsriss im Scheitel und in der Sohle, stark deformierter Querschnitt, Quelle: S&P Consult GmbH

Bild 5 zeigt exemplarisch einen statisch relevanten Längsriss in einem Betonkanal, der keine akute Gefahr für die Standsicherheit des Kanals bedeutet. Ob die dauerhafte Standsicherheit ohne statische Ertüchtigung gegeben ist, müssen weitere Untersuchungen und insbesondere eine statische Berechnung zeigen. Bild 6 zeigt einen deutlich breiteren Längsriss, der bereits eine kurzfristige Standsicherheitsbeurteilung erfordert.

In Bild 7 ist der Längsriss im Scheitel des Mauerwerks so stark ausgeprägt, dass eine akute Gefahr nicht auszuschließen ist. Hier sind Sofortmaßnahmen erforderlich, zumal sich die Sohle bereits geöffnet hat und der gesamte Querschnitt erheblich deformiert ist.

Im Rahmen der Inaugenscheinnahme können bereits erste Untersuchungen durchgeführt (z. B. die Bestimmung des Bewehrungsgehalts mittels Profometermessungen) oder ein Monitoring mit Gips oder Rissmarken eingeleitet werden.

1.2.3 Bauwerksuntersuchungen

Aufgrund der Vielzahl der häufig auch regional unterschiedlichen Querschnittformen gehört zu einer Zustandserfassung eine Vermessung der Innenkontur, um sie im Rechenmodell mit ausreichender Genauigkeit erfassen zu können. Die Außenkontur des Kanals kann über eine Bestimmung der Wanddicken erfolgen, wenn die historischen Unterlagen keine ausreichenden Rückschlüsse zulassen.

Neben der Geometrie sind für den Nachweis der Standsicherheit des Kanals die Festigkeiten der verwendeten Werkstoffe im heutigen Zustand maßgebend. Zur Bestimmung der Werkstoffkennwerte wird eine ausreichende Anzahl Bohrkerne mittels eines Kernbohrgeräts mit einem Durchmesser von 100 mm (bei Beton) oder 150 mm (bei Mauerwerk) entnommen (Bild 8). Die optische Begutachtung der Bohrkerne liefert bereits erste Erkenntnisse über die Festigkeitseigenschaften der Wandung. Im Rahmen von Laboruntersuchungen werden die Werkstoffparameter bestimmt, die als Eingangswerte für die statische Berechnung dienen.

Bild 8a: Entnommene Bohrkerne: Beton, Quelle: S&P Consult GmbH

Bild 8b: Entnommene Bohrkerne: Mauerwerk, Quelle: S&P Consult GmbH

 
1.2.4 Bodenparameter

Die Standsicherheit von Großprofilen wird in einem entscheidenden Maße von den Eigenschaften des Baugrundes bestimmt. Der Boden muss insbesondere bei bereits gerissenen Kanälen nicht nur für eine sichere (vertikale) Gründung sorgen, sondern er spielt auch eine wichtige Rolle bei der seitlichen (horizontalen) Bettung des Systems. Das Tragwerk besteht nicht ausschließlich aus der Kanalwandung allein, sondern aus dem Zusammenwirken des Mauerwerks oder des Betons mit dem umgebenden Baugrund. Aus diesem Grunde ist für die statische Berechnung die Kenntnis der Bodenparameter unerlässlich. Um verlässliche Werte zu erhalten, muss ein Baugrundlabor oder zumindest ein Fachmann für Geotechnik hinzugezogen werden.

Nach Feldversuchen und Bodenentnahmen werden die für die statische Berechnung relevanten Baugrundparameter in geotechnischen Laborversuchen ermittelt. Neben dem spezifischen Gewicht aller über und neben dem Kanal liegenden Bodenschichten können die beiden nachfolgenden Parameter des Bodens in Kämpferhöhe die Standsicherheit des Kanals erheblich beeinflussen:

  • Reibungswinkel φ‘ zur Definition der Tragfähigkeit der seitlichen Bettung
  • Steifemodul Es zur Definition der Steifigkeit der seitlichen Bettung.

Eventuell anstehendes Grundwasser muss nicht nur mit seinem höchsten, sondern auch mit dem niedrigsten Stand bekannt sein, da sich in der Regel erst bei der Durchführung der Berechnung herausstellt, welche Grundwassersituation für die Bemessung eines für den Altrohrzustand III zu bemessenden Liners maßgebend ist. Die Festlegung der Grundwasserstände erfolgt durch den Baugrundsachverständigen.

1.2.5 Ergebnisse der Zustandserfassung für die Berechnung und Bemessung des Liners

Die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellte Zustandserfassung liefert die folgenden Informationen und Eingangswerte für die statische Berechnung des Kanals:

  • Geometrie des Kanalquerschnitts
  • Altrohrzustand des Kanals
  • Position, Breite und Länge von statisch relevanten Rissen
  • Weitere Schäden (z. B. Wanddickenreduzierung durch Korrosion)
  • Werkstoffkennwerte der Kanalwandung
  • Baugrundkennwerte

Damit kann ein statisches Model auf der Grundlage der Methode der Finiten Elemente gebildet werden. Als Ergebnis erhält man eine recht verlässliche Aussage über die Standsicherheit des Kanals im unsanierten Zustand. Nach einer Sensitivitätsanalyse bezüglich der einzelnen Eingangsparameter wird die Einordnung in den Altrohrzustand II oder III vorgenommen und so die wichtigste Grundlage für die Berechnung und Bemessung des Liners geschaffen.

2. Sanierungsverfahren (Eignung für Großprofile im Zustand III)

Der Fokus wird auf Renovierungsverfahren gelegt. Unter Renovierungsverfahren versteht man die Maßnahmen zur Verbesserung der aktuellen Funktionsfähigkeit von Abwasserleitungen und -kanälen unter vollständiger oder teilweiser Einbeziehung ihrer ursprünglichen Substanz. Grundsätzlich zählen zu den Renovierungsverfahren Beschichtungs- und Auskleidungsverfahren.

Für die statische Ertüchtigung großer, begehbarer Sammler kommen gegenwärtig nur

  • das Schlauchliningverfahren (bis ca. DN 2000),
  • das Einzelrohrlining,
  • das Wickelrohrverfahren mit tragender Ringraumverfüllung und
  • das Spritzbetonverfahren mit statisch wirksamer Bewehrung

zur Anwendung.

2.1 Schlauchlining-Verfahren

Bild 10: Schlauchliner, Quelle: Aarsleff GmbH

Das Schlauchliningverfahren stellt insgesamt gesehen (begehbarer und nichtbegehbarer Bereich) das derzeit am häufigsten angewandte Renovierungsverfahren dar. Im Bereich der Großprofilsanierung liegt allerdings die Nennweitenobergrenze momentan bei ca. DN 2000. Ferner ist die Anwendbarkeit in Abhängigkeit von der Profilform (insbesondere bei Sohlgerinnen) zu prüfen.

Das Grundkonzept aller Schlauchliningverfahren besteht darin, einen mit Reaktionsharz getränkten Schlauch, der für die Länge und die Innenmaße des Altrohres konfektioniert wird, durch die Einsteigschächte (ggf. bei abgenommenen Konus) in den Kanal einzuziehen oder einzukrempeln. Im Kanal wird der Schlauch durch Luft- oder Wasserdruck an die Rohrwandung gepresst und je nach Verfahren zu einem Liner mit definierter Steifigkeit und Festigkeit ausgehärtet. Die Anforderungen an einen renovierten Kanal entsprechen denjenigen, die auch an einen neuen Kanal gestellt werden. Der sanierte Kanal muss dicht und betriebssicher sein, eine ausreichende hydraulische Leistungsfähigkeit besitzen, gegen Abrieb und Hochdruckreinigung resistent sein sowie die statischen Einwirkungen dauerhaft aufnehmen können.

Die Unterschiede der einzelnen Schlauchliningverfahren liegen im Wesentlichen in den zum Einsatz kommenden Materialien (Trägermaterial GFK oder Synthesefaser, Harze), dem Einbau (Verfahren der Schlauchinstallation) und dem Aushärtungsverfahren (Warmwasser, Licht, Kalthärtung).

2.2 Einzelrohrlining (Kurzrohrlining)

Bild 9: GFK-Kurzrohrlining, Quelle: HOBAS Rohre GmbH

Beim Einzelrohrlining werden werkseitig hergestellte Rohre über Baugruben in den zu sanierenden Streckenabschnitt eingebracht. Die Verbindung der einzelnen Rohre untereinander erfolgt bei der Großprofilsanierung i.d.R. in der Haltung. Der entstandene Ringraum wird anschließend verfüllt. Das Verfahren kann bei allen Altrohrzuständen sowie bei den meisten Querschnittsformen (auch z. B. Maulprofil mit Sohlgerinne) eingesetzt werden. Einschränkungen hinsichtlich der Anwendbarkeit ergeben sich u. U. bei sehr weichen Böden in der Bettungszone sowie bei sehr großen Sammlern (Transportproblem der vorgefertigten Rohre). Der Kanal und die Bettung müssen mindestens vorübergehend ausreichend standsicher sein (Arbeiten im Kanal). Die zu sanierende Haltung muss frei von Abflusshindernissen sein und für die Dauer der Arbeiten außer Betrieb gesetzt werden. Bei starker Grundwasserinfiltration ist eine Vorabdichtung erforderlich.

Das Verfahren ist an keine speziellen Rohrwerkstoffe gebunden. Es werden meist Rohre aus GFK verwendet, da sie weitestgehend an die unterschiedlichen Querschnittsformen anpassbar sind. Die Rohrverbindungen werden mit Muffen oder Überschiebkupplungen, als Klebeverbindungen oder auch als Überlaminatverbindungen (ggf. Kombinationen) realisiert.

Die Rohre werden in die zu sanierende Haltung über spezielle Transportgeräte, sogenannte Trolleys, auf die die Rohre aufgelegt werden, eingefahren. Danach werden die Rohre mit Abstandshaltern fixiert und gegen die während der Ringraumverfüllung wirkenden Kräfte (insbesondere Auftrieb) gesichert. Die Ausführung dieser Arbeiten erfolgt von Hand z. B. durch Hinterstopfen mit schnellbindenden Mörteln oder Weichholzkeilen, durch spezielle Auflagersättel oder Abstandhalter.

Die Ringraumverfüllung soll u. a. folgendes erreichen:

  • Lagesicherung des Liningrohres
  • Schaffung einer definierten Bettung des Liningrohres
  • Vermeidung von Wassertransport durch den Ringraum
  • Vermeidung von Bodeneintrag durch Fehlstellen im Altrohr
  • Vermeidung von Gasansammlungen im Ringraum
  • Gleichmäßige Übertragung äußerer Lasten.

Weitere mit der Ringraumverfüllung verbundene Vorteile sind:

  • Verhinderung des Einsturzes des defekten Kanals
  • Auftriebssicherung der Rohrleitung
  • Kompensierung unterschiedlicher temperaturbedingter Längenänderungen
  • Verfüllung vorhandener Hohlräume auch außerhalb des Kanales.

Die Verfüllung des Ringraumes kann auf zwei Arten durchgeführt werden:

  • Druckloses Verfüllen unter Ausnutzung des natürlichen Gefälles der Kanalhaltung (Verfüllung vom Hochpunkt)
  • Verfüllen unter Druck (Verfüllung vom Tiefpunkt).

Im Rahmen der Großprofilsanierung erfolgt die Ringraumverfüllung in aller Regel mehrlagig.

Die Abschlussarbeiten umfassen neben den abschließenden Prüfungen:

  • Schachtanbindung
  • Anpassung des Inliners an das Schachtgerinne
  • Wiederherstellung der Einbindung von Anschlusskanälen und Hausanschlüssen.
2.3 Wickelrohrverfahren mit tragender Ringraumverfüllung

Bild 11: SPR-Wickelrohrvorgang, Quelle: Sekisui GmbH

Der einzige Vertreter des Wickelrohrverfahrens mit tragender Ringraumverfüllung ist das aus Japan stammende ‚Sewage Pipe Renewal‘-Verfahren oder SPR-Verfahren. Es ist charakterisiert durch das Wickeln eines Liningrohres aus PVC-Stegprofilen mit Stahlverstärkung innerhalb der Sanierungsstrecke. Das PVC-Stegprofil wird von einer Rolle abgewickelt und über einen Einstiegschacht einer selbstfahrenden Wickelmaschine zugeführt, die sich entlang eines der Kontur des auszukleidenden Kanals angepassten, geschlossenen Rahmens bewegt.

Das SPR-Verfahren ist einsetzbar für die Sanierung von Freispiegelleitungen in den Nennweiten DN 800 bis DN 5500. Der Liner kann sich vielen Altrohrquerschnitten, wie z. B. Eiprofilformen, Rechteckformen oder Maulprofilen, anpassen. Es können auch gebogene Haltungen saniert werden, deren Kurvenradius der fünffachen Nennweite entspricht. Sanierung ist auch bei kontrolliertem Trockenwetterfluss möglich. Hausanschlussleitungen können komplett im Betrieb bleiben. Das Verfahren benötigt wenig Platz auf der Baustelle.

Das SPR-Wickelrohrprofil wird durch einen Standardschacht zur Wickelmaschine geführt. Die zerlegbare Wickelmaschine, die ebenfalls über einen Schacht eingebaut wird, formt das SPR-Profil zu einem Kunststoffliningrohr, das zum einen als Schalung während der Installation, und zum anderen später als innerer Schutz für das mineralische Rohr dient. Während des Wickelvorgangs wird mithilfe von mineralischen Abstandhaltern die erforderliche Wanddicke des späteren ‚Rohr im Rohr‘ gewährleistet.

Damit das SPR-Liningrohr während der Ringraumverfüllung den Außendruck des Verfüllwerkstoffs aufnehmen kann, werden bei größeren Querschnitten verstellbare und verspannbare Stützrahmen als Aussteifungssystem installiert.

Der definierte Ringraum zwischen SPR-Liner und Altrohr wird mithilfe eines hochfließfähigen und hochfesten Verfüllwerkstoffs verfüllt. Durch die Verfüllung entsteht ein mineralisches ‚Rohr im Rohr‘, das eine hohe Steifigkeit hat und allein für die Lastabtragung herangezogen wird. Das PVC-U-Liningrohr trägt nicht mit, schützt aber das tragende Rohr gegen chemischen und mechanischen Angriff von innen.

2.4 Spritzbeton mit statisch wirksamer Bewehrung

Bild 12: Bewehrung der Spritzbetonschale, Quelle: S&P Consult GmbH

Nach DIN 18551 ist Spritzbeton ein „Beton, der in einer geschlossenen, überdruckfesten Schlauch- oder Rohrleitung zur Einbaustelle gefördert und dort durch Spritzen aufgetragen und dabei verdichtet wird“. Spritzbeton unterscheidet sich in der Zusammensetzung prinzipiell nicht vom üblichen Ortbeton. Der Unterschied liegt im Fördern, Einbringen und Verdichten, d. h. in der Verarbeitung, die in einem einzigen Arbeitsgang, dem Spritzen, zusammengefasst ist. Schalung und Rüttler entfallen.

Spritzbeton mit einer Dicke größer 5 cm, die i.d.R. bei der Sanierung von Großprofilen gegeben ist, muss bewehrt werden. Die Bewehrung kann ein- oder zweilagig verlegt werden. Bei zweilagiger Bewehrung ist der Spritzvorgang zuerst bis zur ersten Bewehrungslage und danach bis über die zweite Bewehrungslage auszuführen. Die Bewehrung wird durch Anker mit dem Altkanal verbunden.

Die beim Spritzvorgang freiwerdende hohe Anwurfenergie bewirkt neben der Verdichtung auch einen guten Haftverbund zum Untergrund.

Bild 13: Spritzvorgang, Quelle: S&P Consult GmbH

In Abhängigkeit von der Art der Ausgangsmischung unterscheidet man generell zwischen Trockenspritzverfahren und Nassspritzverfahren. Beim Trockenspritzverfahren wird das Bereitstellungsgemisch, bestehend aus Zement, Zuschlag und ggf. pulverförmigen Zusätzen, trocken der Förderleitung zugeführt und im Dünnstrom pneumatisch zur Spritzdüse gefördert, wo das Zugabewasser, ggf. mit flüssigen Betonzusatzmitteln, beigemengt wird. Beim Nassspritzverfahren wird das Bereitstellungsgemisch, bestehend aus Zement, Zuschlag, Zugabewasser und ggf. Zusätzen, in nasser Form der Förderleitung zugeführt und entweder im Dünnstrom oder im Dichtstrom gefördert. In der Praxis überwiegt das Trockenspritzverfahren, da es hinsichtlich der Vorhaltung der Ausgangsmischung und bei Arbeitsunterbrechungen unproblematischer ist. Beim Verlassen der Spritzdüse verfügt das Gemisch über eine hohe kinetische Energie, die beim Aufprall auf den Untergrund die Verdichtung des Spritzbetons oder des Spritzmörtels bewirkt. Aufgrund dieser hohen Energie, mit der das Gemisch auf den Untergrund auftrifft, prallt ein Teil wieder zurück. Dieser sogenannte Rückprall besteht überwiegend aus grobem Zuschlag, der mit Zementleim bzw. -mörtel umhüllt ist, so dass die Zusammensetzung des aufgespritzten Betons von jener des Bereitstellungsgemisches abweicht. Der Zementgehalt dieser Mischung ist deshalb so festzulegen, dass der Festbeton die geforderten Eigenschaften erreicht. Zu Beginn des Spritzens fällt eine größere Rückprallmenge an, da zunächst auf dem Untergrund ein plastisches Polster zur Aufnahme der gröberen Zuschläge entstehen muss. Die Rückprallmenge ist von zahlreichen Einflussparametern abhängig, wie z. B.

  • Zusammensetzung des Bereitstellungsgemisches,
  • Spritzverfahren,
  • Örtliche Verhältnisse an der Auftragsfläche,
  • Düsenführung,
  • Spritzrichtung,
  • Spritzwinkel,
  • Düsenabstand,
  • Arbeitsdruck,
  • Fördertechnik oder
  • Auftreffgeschwindigkeit

und beträgt ca. 20 bis 30 %. Bei optimaler Einstellung aller Einflussparameter kann der Rückprallanteil beim Trockenspritzverfahren auf ca. 15 bis 20 % beim Spritzen auf eine senkrechte Auftragsfläche reduziert werden. Der Rückprallanteil beim Nassspritzverfahren im Dünnstrom liegt bei ca. 12 bis 14 % und beim Nassspritzen im Dichtstrom bei ca. 6 bis 7 %. Es ist somit bei Betrachtung ausschließlich verfahrenstechnischer Parameter das wirtschaftlich günstigste Verfahren.

Im 2. Teil dieses Fachbeitrags werden Verfahren zur statischen Berechnung und Bemessung der Sanierungsverfahren vorgestellt.

Literatur

[1] Stein, D.; Stein, R.: Instandhaltung von Kanalisationen, 4. Auflage, Band 1, Prof. Dr.-Ing. Stein&Partner GmbH, Bochum 2014

[2] DWA-Arbeitsblatt A 143-2 „Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden, Teil 2: Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserleitungen und -kanälen mit Lining- und Montageverfahren“ (2015-07)

[3] ATV-M 127-2 „Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserkanälen und -leitungen mit Lining- und Montageverfahren“ (2000-01)

[4] DWA-Merkblatt M 144-3 „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen (ZTV) für die Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden; Teil 3: Renovierung mit Schlauchliningverfahren (vor Ort härtendes Schlauchlining) für Abwasserkanäle“ (2012-11)

[5] Doll, H.: Der Schlauchliner als statisch tragendes Element im Altrohr, bi-Umwelt, Sonderausgabe März 2014

[6] Beckmann, D.; Kohler, J.: Altrohrzustand III und Grundwasser: Nachweiskonzept für Liner in nicht dauerhaft standsicheren Kanälen, 3R 11-12/2013

Autoren:

Dr.-Ing. DIETMAR BECKMANN
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(Erstveröffentlichung in: 3R, Ausgabe 01-02/2016)

 

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