Optimierung des Kanalbetriebes auf Basis haltungsbezogener Substanzprognosen

11.11.2004

Betrieb, Unterhalt und Sanierung der unterirdischen Entwässerungssysteme gehören zu den komplexesten kommunalen Aufgabengebieten. Zum einen besitzen diese Systeme in Abhängigkeit der Stadtgröße eine gewaltige Gesamtlänge und zum anderen spiegeln sie aufgrund ihrer Altersstruktur alle Entwicklungsetappen wider, so dass man heute insgesamt sehr heterogene Netze mit einer Vielfalt von Querschnittsformen und -abmessungen, Rohrwerkstoffen, Rohrverbindungen, Bettungsarten, Konstruktionsprinzipien, Bauwerken, Leitungsarten, Entwässerungsverfahren vorfindet.

Die sich daraus ergebenen Wechselwirkungen und Zusammenhänge für die einzelne Haltung und das gesamte Netz zu erfassen, um darauf aufbauend optimierte Kosten- und Investitionsstrategien für Reinigungs-, Inspektions- und Sanierungsmaßnahmen abzuleiten, gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Netzbetreiber. Um diese Aufgaben qualifiziert lösen zu können, müssen Zustands- und Substanzerfassung, -bewertung und -prognose aufeinander abgestimmt werden, um einen nachhaltigen und ganzheitlichen Ansatz zu ermöglichen, der neben dem aktuellen Zustand der einzelnen Netzelemente auch die Substanz als Maß des verbleibenden Abnutzungsvorrats sowie die Zustands- und Substanzentwicklung berücksichtigt.

Zudem ist es notwendig, die Beurteilung von Zustand und Substanz auf der Basis der aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse durchzuführen, um eine überproportionale Berücksichtigung von Haltungen im Sanierungsplan zu vermeiden, deren hohe Sanierungspriorität auf zu undifferenzierten Bewertungsansätzen basiert.

Nachfolgend wird ein entsprechender Ansatz vorgestellt, der sich aktuell in Deutschland in der Entwicklungs- und Erprobungsphase befindet.

STAND DER TECHNIK

Die gebräuchlichen Systeme zur Zustandsklassifizierung orientieren sich überwiegend an den bundesministeriellen "Arbeitshilfen Abwasser" bzw. an der ATV-M 149 [2]. Die Zustandsklasse einer Haltung, als Maßstab für die Sanierungspriorität, wird dabei im wesentlichen durch die Schadensklasse des schwersten Einzelschadens bestimmt und beschreibt folglich einen lokal begrenzten Haltungszustand. Aus diesem Umstand resultiert das erste Kernproblem der gegenwärtigen Sanierungsplanung:

1. Marginale Berücksichtigung der Substanz als Maß des vorhandenen Abnutzungsvorrats der betrachteten Haltung.

Da der noch vorhandene Abnutzungsvorrat aber ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl des optimalen Sanierungsverfahrens ist, kommt es in der Folge oft zu unverhältnismäßig teuren Sanierungsentscheidungen.

Ein weiterer Problempunkt resultiert aus der Definition von festen Übergangsgrenzen für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schadensklasse. So sind die Detailinformationen wie z.B. Rissbreiten, die bei der Inspektion gewonnen werden, nicht mit ihrem eigentlichen Maß interessant, sondern nur hinsichtlich der Relation zu den definierten Klassengrenzen. Dabei ist der numerische Unterschied zwischen zwei gleichartigen Schäden unterschiedlicher Schadensklassen unter Umständen wesentlich geringer als der numerische Unterschied zwischen zwei gleichartigen Schäden innerhalb der gleichen Klasse, woraus das zweite wesentliche Problem der gegenwärtigen Sanierungsplanung durch:

2. Undifferenzierte Schadensklassifizierung und Informationsverlust infolge starrer Schadensklassengrenzen

entsteht. In der Folge werden Haltungen in den Sanierungsplan aufgenommen, die unter Umständen noch über eine erhebliche Restnutzungsdauer verfügen, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine nicht akzeptable Sanierungsentscheidung darstellt. Eng verknüpft mit diesem Problem bzw. Teil dieses Problems ist auch die:

3. Undifferenzierte Schadensklassifizierung durch fehlende oder undifferenzierte Berücksichtigung systemischer und/oder lokaler Randbedingungen.

So ist es bei der klassischen Schadensklassifikation völlig unerheblich welchen Nenndurchmesser oder welche Tiefenlage die betrachtete Haltung aufweist. Die Schadensklasse wird in der Regel ausschließlich aufgrund der Schadensart, -ausprägung, und -ausmaß festgelegt. Einzig das Rohrmaterial der Haltung sowie die Informationen zur Undichtigkeit werden unter Umständen bei der Schadensklassifizierung berücksichtigt. Die resultierenden Folgen sind suboptimale Sanierungsentscheidungen, die bei der Vielzahl der anstehenden Sanierungsmaßnahmen ein erhebliches Kostenpotential aufweisen.

Während die bereits erwähnten Probleme primär die Praxis der gegenwärtigen Haltungs-beurteilung adressieren, ist durch die:

4. Fehlende oder undifferenzierte langfristige Prognose der Zustands- und Substanzentwicklung

die Beurteilung der Bestandsentwicklung nicht oder nur eingeschränkt möglich. Eine unzureichende Beurteilung des gegenwärtigen Zustandes führt zu Fehlentscheidungen im operativen Planungsprozess, fehlende Prognosen über die Bestandsentwicklung verhindern eine strategische Planung. Erst eine langfristige und vorausschauende Planung ermöglicht es aber, Investitionen über längere Zeiträume effektiv zu verteilen und eine nachhaltige Bestandsentwicklung und -umgestaltung zu erreichen.

Die Effektivität der Planung bzw. Sanierungsstrategien hängt dabei von der Präzision der Voraussage zukünftiger Entwicklungen ab, die Sicherheit der Planung von der Robustheit der entwickelten Strategien. Je robuster eine Strategie ist, desto weniger ist sie anfällig gegenüber Abweichungen der prognostizierten von der tatsächlich eingetretenen Entwicklung. Gleichzeitig nimmt aber ihre Effektivität ab, so dass es in der Regel zu einem Abwägungsprozess zwischen der Effizienz und der Robustheit der Strategien kommt.

Unabhängig von den vorgenannten Problemen besteht das Problem der:

5. Vernachlässigung oder Nichtexistenz eines Qualitätsmanagements in der Datenhaltung zur Gewährleistung ordnungsgemäßer Datenstrukturen und konsistenter/ plausibler Daten,

was in der Folge zu fehlerhaften Analysen, sowohl der Grund- und Ordnungs- als auch Zustandsdaten und damit zu mängelbehafteten Aussagen innerhalb der Sanierungsplanung führt.

STATUS KANAL

Unter dem Einfluss der Schwierigkeiten des derzeitigen Vorgehens bei der Sanierungsplanung auf der einen und neuer Forschungsergebnisse auf der anderen Seite wird gegenwärtig, mit der Förderung des BMWA, ein Managementtool für Entwässerungssysteme (siehe Abbildung 1) entwickelt, welches die bestehenden Probleme aufgreift und mit dem Einsatz modernster analytischer Verfahren lösen soll.

Es wird aus insgesamt 7 Modulen bestehen, welche die verschiedenen Problemfelder innerhalb der Sanierungsplanung adressieren: Plausibilitätsprüfung, Zustands- und Substanzklassifizierung, Prioritätenklassifizierung, Alterungsmodell, Prognosemodell, Wirtschaftlichkeitsanalyse (Szenarienbildung) und Planungsmanagement.

Nachfolgend werden die Ansätze der Zustands-, Substanz- und Prioritätenklassifizierung sowie die Alterungs- und Prognosemodelle näher erläutert, ihre besonderen Unterscheidungsmerkmale gegenüber zur Zeit in Europa eingesetzten Systeme vorgestellt und analysiert, inwieweit sie die Defizite der bisherigen Vorgehensweise beheben.

NEUE ANSÄTZE ZUR ZUSTANDS- UND SUBSTANZKLASSIFIZIERUNG

Präzisierung der Schadensklassifizierung durch unscharfe Klassengrenzen
Die derzeit übliche Zuordnung von Schadensklassen anhand fester Grenzwerte führt durch die damit verbundene binäre Logik (Grenzwertüberschreitung ja/nein) zu einem Aufstieg in die nächst höhere Schadensklasse und damit zu einer sprunghaften Zustandsverschlechterung, wenn der definierte Klassengrenzwertes überschritten wird, obwohl der Schaden selbst unter Umständen nur marginal größer als der eines ähnlichen Schadens der niedrigeren Schadensklasse ist.

Mit der Ablösung der Binärlogik durch die Fuzzy-Logik werden diese harten Zustandssprünge durch kontinuierliche, weiche Zustandsübergänge ersetzt. Diese Zustandsübergänge sind charakterisiert durch den Zugehörigkeitsgrad des entsprechenden Elementes zu den jeweils aneinandergrenzenden Zustandsklassen. So kann der Zugehörigkeitsgrad eines Elements zu einer Zustandsklasse in Form kontinuierlicher Zugehörigkeitsfunktionen stufenlos von 0 (keine Zugehörigkeit) bis 1 (volle Zugehörigkeit) beschrieben werden. Die in den bestehenden Systemen verwendeten Grenzwerte werden dabei nicht verworfen, sondern als Variablen für die individuellen Zugehörigkeitsfunktionen verwendet und symbolisieren die 100%ige Zugehörigkeit zu dieser Klasse. Es werden anfangs also keine neuen Werte definiert, sondern die empirischen Grenzwertdefinitionen weiter verwendet. Eine Anpassung dieser Variablen an unternehmensspezifische Erfordernisse ist aber jederzeit möglich und unter Umständen auch erforderlich.

In Abbildung 2 ist dieses Vorgehen exemplarisch für die Klassifizierung von Längsrissen dargestellt, wobei die Klassengrenzwerte nach Arbeitshilfen Abwasser als Eingangsvariablen für die Zugehörigkeitsfunktionen dienen. Ein Längsriss mit der Rissbreite 2 gehört nach der gegenwärtigen und der Fuzzy-Klassifizierung zu 100 % zu Zustandsklasse 3. Während aber ein Längsriss mit der Rissbreite 1,5 nach der gegenwärtigen Klassifizierung zu 100 % zu Zustandsklasse 2 gehört, ordnet die Fuzzy-Klassifizierung einen Anteil von 35 % der Zustandsklasse 2 und den wesentlich größeren Anteil von 65 % der Zustandsklasse 3 zu.

Durch diese weichen Zustandsübergänge in Form von Zugehörigkeitsgraden werden die vorliegenden Inspektionsdaten mit ihrem wahren numerischen Wert berücksichtigt, ohne das Konzept der Zustandsklassen als solches aufzugeben. Die Klassifizierung der Einzelschäden wird durch die Erweiterung des Zustandsklassenkonzeptes um die fuzzy-logik-basierte Klassifizierung also wesentlich präziser.
Präzisierung der Schadensklassifizierung durch Einführung neuer Klassifizierungsansätze mit Berücksichtigung lokaler Randbedingungen
In den gegenwärtig verwendeten Klassifizierungsmodellen werden vorliegende Randbedingungen nur in einem geringen Umfang berücksichtigt. So haben beispielsweise Überdeckungshöhe, Rohrquerschnitt, -nennweite und Material keinen Einfluss auf die vergebene Schadensklasse. Ein Längsriss mit der Rissbreite 2 hat aber auf einen Rohrquerschnitt geringer Nennweite und Überdeckungshöhe einen eklatant höheren Einfluss auf die Standsicherheit und damit Schwere des Schadens als der gleiche Schaden auf einen Rohrquerschnitt großer Nennweite und Überdeckungshöhe.

Aus diesem Grund werden in "Status Kanal" für Schadensgruppen, bei denen in den gegenwärtigen Modellen eine kritischere Beurteilung der Schwere des Schadens im Kontext der Randbedingungen unterbleibt, differenzierte Klassifizierungsmodelle entwickelt. Als besonders dringlich erscheint der Entwurf neuer Klassifizierungsansätze für statisch relevante Schäden, da durch die damit einhergehende Gefahr des völligen Funktionsverlustes sowie der Gefährdung des darüber liegenden Geländes durch einen Einsturz oft eine Sanierungsentscheidung gefällt wird, die bei eingehender Betrachtung der Reststandsicherheit unter Umständen anders ausgefallen wäre. An dieser Stelle sollen daher die Ansätze für eine neue Klassifizierung von Längsrissen und Korrosionsschäden betrachtet werden.

Basierend auf gewonnenen Ergebnissen aus Tragsicherheitsuntersuchungen von korrodierten und längsgerissenen Rohren nach [4] erfolgt die Entwicklung der Klassifizierungsmodelle in Anlehnung an die probabilistische Sicherheitstheorie nach [3]. Dabei ersetzten diese, auf bekannten statischen Theorien basierenden Ansätze keine statische Berechnung der jeweiligen Haltung im Einzelfall.
Klassifizierung von Korrosionsschäden
Das neue Modell zur Klassifizierung von korrodierten Abwasserleitungen bildet gegenwärtig ausschließlich Betonkanäle ab, da diese primär von der Korrosion betroffen sind. Andere Rohrmaterialien korrodieren zwar auch, sind aber zum einen mit einem sehr geringen Anteil (Stahl, Grauguss) und zum anderen mit einer großen Nennweite (Mauerwerk) im Bestand vertreten.

Die Beurteilung der Standsicherheit der Betonrohre erfolgt über den Vergleich der vorhandenen Sicherheit mit dem nach ATV geforderten Sicherheitsbeiwert gamma von 2,2. Über die Ermittlung von Schnittkraftbeiwerten, den resultierenden Schnittkräften und Spannungen werden Tragsicherheitsdiagramme für die korrodierten Betonrohre in Abhängigkeit von der Wanddicke und variierenden Belastungsannahmen erstellt. Dabei wird die mögliche Versagensart des Bruches betrachtet.

Abbildung 3 illustriert die Standsicherheit, charakterisiert durch den Sicherheitsbeiwert g in Abhängigkeit von Überdeckungshöhe und Restwanddicke, für ein Betonrohr KW DN 400. Dabei ist zu beachten, dass der Sicherheitsbeiwert bei der Verlegung für ältere Rohre bei 1,5 lag. Um auf der Basis der Standsicherheitsbeiwerte eine Klassifizierung zu erreichen, werden Werte für den Übergang in die nächste Schadensklasse definiert, die wahlweise als Klassenübergangsgrenzwerte für eine herkömmliche Klassifizierung oder als Variablen für die individuellen Zugehörigkeitsfunktionen der Fuzzy-Logik-Klassifikation verwendet werden können.
Klassifizierung von Längsrissen
Das neue Modell zur Klassifizierung von Längsrissen in Abwasserleitungen bildet gegenwärtig ausschließlich Betonkanäle und Steinzeugkanäle ab, da diese die wesentlichen Anteile innerhalb der Kanalnetze ausmachen.

Der Nachweis der Tragsicherheit eines längsgerissenen Rohres erfolgt in Anlehnung an ATV-M 127. Durch umfangreiche statische Untersuchungen an durch Erddruck und Verkehr belasteten Rohr-Boden-Systemen werden die Tragsicherheitsreserven des statischen Systems unter der Variation der Randbedingungen Rohrnennweite und -werkstoff sowie der Belastungen ermittelt. Dabei werden die möglichen Versagensarten Durchschlagsversagen und Bettungsversagen untersucht.
Abbildung 4 veranschaulicht die Standsicherheit, charakterisiert durch den Sicherheitsbeiwert gamma in Abhängigkeit von Überdeckungshöhe und Rissbreite, für ein Betonrohr KW DN 400. Die Umsetzung der Standsicherheitsbeiwerte in eine Klassifizierung erfolgt analog zu der Vorgehensweise bei der Korrosionsklassifizierung. In Abbildung 5 ist der Ablauf der neuen Rissklassifikation unter Nutzung der Fuzzy-Logik dargestellt. Deutlich wird, dass die Rissbreite, welche bisher das Primär- und ein rein ordinales Kriterium bei der Klassifikation darstellte, jetzt bei der Klassifizierung anhand seiner statischen Relevanz berücksichtigt wird. In dieser Standsicherheitsuntersuchung ist die Rissbreite nur ein Kriterium, das um die Kriterien aus den lokalen Randbedingungen ergänzt wird (vergl. [8]und[4]).
Einführung einer Substanzklassifizierung
Die derzeit übliche Beschränkung der Zustandsklassifizierung auf die Sanierungspriorität vernachlässigt die wirtschaftlich bedeutsame Beurteilung des Substanzwerts bzw. des Abnutzungsvorrats. Die Substanz ist ein maßgebliches Kriterium bei der Auswahl des zu verwendenden Sanierungsverfahrens. Sie hilft bei der Klärung der Frage, wie ökonomisch sinnvoll ein potentielles Sanierungsverfahren im Hinblick auf die noch zu erwartende Restnutzungsdauer der untersuchten Haltung ist.

Zur Ermittlung der Substanz einer Haltung wird eine schadensartabhängige Schadensverteilung vorgenommen, d.h. jede Schadensart erhält eine zugehörige individuelle Schadenslänge. Ein Riss mit einer gemessenen Länge ≤ 2,0 m wird in diesem Fall generell als Schaden mit der Länge 2,0 m behandelt. Die Begründung liegt in der allgemein kürzesten lieferbaren Rohrlänge von 2,0 m und der Tatsache, dass ein Riss aus statischen Gründen in der Regel zumindest durch Austausch des betroffenen Rohrstücks saniert wird. Der Einfluss der Schadensarten ist somit bereits in der Schadensverteilung berücksichtigt.

Abbildung 6 zeigt die schadensartabhängige Schadensverteilung einer Haltung von 42 m Länge, bei der mehrere Schäden unterschiedlicher Schwere vorliegen. Zu Verdeutlichung des Prinzips ist an dieser Stelle von einer herkömmlichen Klassifizierung mit harten Schadensklassengrenzen ausgegangen worden. Bei Anwendung der behandelten Fuzzy-Klassifizierung wären, entsprechend der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Schadensklassen, Zwischenwerte entstanden.
Die gewogene Schadensdichte (GSD)
Die gewogene Schadensdichte gibt Aufschluss über die Schwere (Schadensklasse) und das Ausmaß (Schadenslänge) von Schäden innerhalb einer Haltung. Sie wird ausschließlich aus Anteilen der beschädigten Teilstücke einer Haltung ermittelt. Dazu werden aus der Schadensverteilung die Schadensklassen als Anteile an der Gesamtschadenslänge ermittelt.

Die gewogene Schadensdichte ergibt sich aus dem Medianwert (50 % - Quantil) und der Standardabweichung der kumulierten Schadensklassenanteile.

Nachfolgend werden über Zugehörigkeitsfunktionen die Anteile der gewogenen Schadensdichte an den einzelnen unscharfen Mengen eines GSD-Fuzzy-Sets ermittelt.
Schadenskonzentration (SK)
Die Schadenskonzentration gibt Aufschluss über die Verteilung der Schäden innerhalb einer Haltung. Für die Schadenskonzentration sind die Länge und Station der Schäden, nicht aber die Schadensklasse, relevant. Dazu werden aus der Schadensverteilung die Schadenslängen als Anteile an der Gesamtschadenslänge ermittelt.

Die Schadenskonzentration ergibt sich aus dem Produkt eines, aus den kumulierten Schadenslängenanteilen gewonnenen, beidseitig begrenzten Prognoseintervalls mit der Gesamtschadenslänge, bezogen auf die Haltungslänge.

Eine niedrige Schadenskonzentration symbolisiert eine lokal begrenzte Sanierungsbedürftigkeit einer Haltung, eine hohe Schadenskonzentration hingegen die Sanierungsbedürftigkeit der gesamten Haltung. Über entsprechende Zugehörigkeitsfunktionen werden die Anteile der Schadenskonzentration an den einzelnen unscharfen Mengen eines SK-Fuzzy-Sets ermittelt.
Substanzwertermittlung
Der Substanzwert einer Haltung ermittelt sich mit dem algebraischen Produkt aus den Zugehörigkeiten der gewogenen Schadensdichte und der Schadenskonzentration unter Nutzung einer Interferenztabelle.

In Abbildung 8 wird der Zusammenhang von gewogener Schadensdichte und Schadenskonzentration visualisiert. Deutlich wird, dass es zu Kompensationseffekten bei der Substanzwertermittlung kommt. "Schlechte" Werte bei der gewogenen Schadensdichte können also zum Teil durch "gute" Werte bei der Schadenskonzentration ausgeglichen werden und umgekehrt. Gute bzw. schlechte Substanz ist durch ähnliche Extremwerte bei Schadenskonzentration und gewogener Schadensdichte gekennzeichnet.
Erweiterter Ansatz einer Prioritätenklassifizierung
Die Prioritätenklassifizierung soll in "Status Kanal" mittels Fuzzy-Logik, unter Berücksichtigung baulicher Zustände, zeitlicher Veränderungen der Schäden, externer Einflüsse und ökonomischer Gewichtung in bezug auf Substanzwert und Rentabilität, erfolgen.

Während die herkömmliche Priorisierung von Sanierungsmaßnahmen primär auf dem schwersten Einzelschaden basiert und Haltungssubstanz sowie die entsprechenden Randbedingungen marginal und relativ pauschal berücksichtigt werden, stützt sich Status Kanal bei der Priorisierung einerseits auf den baulichen Zustand, ermittelt aus Haltungsklasse und Substanz, sowie andererseits auf die Relevanz der Haltung und ihres Zustandes für die Umwelt, ermittelt aus statischen, funktionellen und ökologischen Randbedingungen sowie der Haltungsbedeutung. Dabei werden die Beziehungen, die zwischen den Schäden und den lokalen Randbedingungen einer Haltung bestehen, eingehend und angemessen berücksichtigt.

In Abbildung 9 wird als Beispiel der Entscheidungsraum visualisiert, der aus den Randbedingungen Grundwasserstand und Abwasser-Medientyp bei einer aufgrund des Schadensbildes der Haltung potentiellen Ex- oder Infiltration resultiert und der in die Priorisierung der Haltung eingeht. Diese Entscheidungsräume existieren für alle Randbedingungen sowohl im Kontext zum Schadensbild der Haltung als auch unabhängig davon.

Die Randbedingungen sollen in "Status Kanal" in statische, funktionelle und umweltrelevante Randbedingungen sowie in die Haltungsbedeutung unterteilt werden. Letztere ist entkoppelt vom Schadensbild der Haltung, die anderen Randbedingungen werden im Kontext zum Schadensbild der Haltung betrachtet werden.

Da sowohl die Substanz als auch der Haltungszustand veränderliche Größen über die Zeit darstellen, fließen in die Prioritätenklassifizierung zudem Prognosen über die Zustands- und Substanzentwicklung ein.
Ansätze zur kurz- und langfristigen Prognose
Aktuell erfolgen Alterungsprognosen nur auf Basis des Haltungszustandes und damit basierend auf dem schlimmsten Einzelschaden. Diese Prognosen können jedoch aufgrund ihrer begrenzten Aussagekraft für die gesamte Haltung lediglich zur Festlegung des nächsten Inspektionszeitpunktes genutzt werden.

Demgegenüber wird "Status Kanal" eine kurzfristige und eine langfristige Prognosestrategie zur Zustands- und Substanzfortschreibung der Haltungen verwenden. Ziel der Prognosen ist es, mit den bekannten Zustands- und Substanzdaten die wahrscheinliche Zustands- und Substanzentwicklung zu bestimmen und damit einen Weg zu finden, die Erreichung und Wahrung eines definierten Maßes an Funktionserfüllung über einen bestimmten Zeitraum sicherzustellen.

Grundlage sowohl der kurz- als auch der langfristigen Prognose bilden zeitkontinuierliche Markov-Ketten. Mit Markov-Ketten ist es möglich, das Verhalten von Systemen durch Auflisten aller möglichen Zustände, in denen sich das System befinden kann, zu beschreiben. Zu jedem festen Zeitpunkt befinde sich das System in genau einem dieser Zustände. Nebenbei seien Übergangswahrscheinlichkeiten bzw. Übergangsraten zwischen diesen Zuständen gegeben. Ein solches System heißt Markov-Prozess, wenn die weitere Entwicklung des Systems nur von dem Zustand abhängt, in dem sich das System augenblicklich befindet, nicht aber von früheren Zuständen. In Abbildung 10 wird dieser Sachverhalt entsprechend dargestellt.
Für die kurzfristige Prognose des Zustands mittels zeitdiskreten Markov-Ketten werden von "Status Kanal" die Zeiten, welche die Haltung in einem gegebenen Zustand verbringt, nicht explizit betrachtet, da nicht die Verweildauer innerhalb einer Zustands- oder Substanzklasse interessant ist, sondern die Wahrscheinlichkeit des Übergangs in die nächste Klasse und somit die Zustandsentwicklung. Auf dieser Grundlage ist es möglich, Inspektionspläne aufzustellen, bei denen genau die Haltungen berücksichtigt werden, bei denen ein Übergang in eine entsprechend höhere Klasse unmittelbar bevorsteht oder zeitnah stattgefunden hat. Auf diese Weise werden Haltungen bei der Inspektionsplanung ausgeschlossen, bei denen im Ergebnis keine neuen Aussagen zu erwarten sind, was letztendlich zu einer wesentlichen Effizienzsteigerung im Mitteleinsatz bei den Inspektionen führt.

Bei der langfristigen Prognose von Zustand und Substanz mittels zeitdiskreten Markov-Ketten und einem Kohortenüberlebensmodell wird von "Status Kanal" die Alterung der Netzelemente mit der damit verbundenen Zustandsverschlechterung und aufgrund der Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Klassen die Wahrscheinlichkeiten des Aufenthaltes in einer bestimmten Klasse zu einem definierten Zeitpunkt in der Zukunft ermittelt (vergl. [6] und [7]).
Die daraus gewonnenen Aussagen finden bei der langfristigen Sanierungsplanung Verwendung. Aus den Wahrscheinlichkeiten des Aufenthaltes in den jeweiligen Substanz- und Zustandsklassen lassen sich Interventionsklassen bilden, die für die jeweiligen Haltungen das Risiko eines Versagens bzw. das Ende der akzeptierten Nutzungsdauer beschreiben. Bei der Einbeziehung von substanz- und zustandsabhängigen Kostendaten ist es möglich, den kostenoptimalen Interventionszeitpunkt zu ermitteln.

FAZIT

"Status Kanal" als lernendes und kalibrierbares System ermöglicht die Bestimmung idealer Inspektions-, Reinigungs- und Sanierungszeitpunkte sowie optimaler Sanierungsverfahren auf der Basis eines erweiterten Haltungsbeurteilungskonzeptes und der umfangreichen Berücksichtigung von Randbedingungen.

Durch die Einführung der unscharfen Fuzzy-Logik werden die getroffenen Aussagen präzisiert. Demgegenüber werden bei der binären Klassifizierungslogik und den scharfen Klassengrenzen Informationen vernachlässigt, welche maßgebend für eine differenzierte Haltungsbeurteilung sind. Daraus resultieren unter Umständen vorfristige und unangepasste Sanierungsmaßnahmen, die das zur Verfügung stehende Budget überproportional belasten.

Die differenzierte Haltungsbeurteilung berücksichtigt, im Gegensatz zur klassischen Haltungsbeurteilung, Randbedingungen bei der Beurteilung des Einzelschadens und zusätzlich die Haltungssubstanz. Dadurch wird die Entwicklung optimaler Strategien für den Betrieb und Unterhalt des Kanalsystems möglich, welche sich in verschiedenen Szenarien unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Blickwinkeln bewerten lassen.

Letztendlich führt die kombinierte Betrachtung physikalischer und statistischer Alterungsprozesse, investitionstheoretischer Grundlagen und der Gebührenkalkulation unter Kenntnis sowohl der technischen als auch der wirtschaftlichen Nutzungsdauer aller Haltungen zu bedarfsoptimierten und nachhaltigen Investitionsentscheidungen.

LITERATUR

[1] ATV-M 143 Teil 2: Optische Inspektion -Inspektion, Instandsetzung, Sanierung und Erneuerung von Abwasserkanälen und -leitungen. (04/99)

[2] ATV-M 149: Zustandserfassung, -klassifizierung und -bewertung von Entwässe-rungssystemen außerhalb von Gebäuden. (04/99)

[3] ATV-A 127: Statische Berechnung von Abwasserkanälen und -leitungen. (08/00)

4] Dohmann, M. (Hrsg.); Stein, D.; Kentgens, S.; Bornmann, A.: "Feststellung und Bewertung von Schäden an Abwasserkanälen und -leitungen unter besonderer Berücksichtigung der Standsicherheit und Funktionsfähigkeit der Kanäle". Wassergefährdung durch undichte Kanäle ? Erfassung und Bewertung, Springer Verlag, Berlin 1999.

[5] Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum; Ingenieurbüro Dr.-Ing. K. Hochstrate, Karlsbad: Entwicklung und Erprobung eines Verfahrens zur Zustandsprognose und Ermittlung der Zustandsentwicklung für Abwasserkanäle und -leitungen. Forschungsprojekt 2000.

[6] Kleiner, Y.: Optimal scheduling of rehabilitation and inspection/condition assessment in large buried pipes, National Research Council of Canada, 2001.

7] Baur, R. und Hörold, S.: Verbesserte Inspektionsplanung durch Alterungsprognose für Kanaltypen. KA - Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall, 48, 7, S. 937ff.

[8] Lühr, H.-P.: Undichte Kanalisationen als Ursache von Boden- und Grundwasserbelastungen ? Entwicklung eines Bewertungsrahmens. Zeitschrift für angewandte Umweltforschung. Sonderheft 1/1988 S. 13ff.

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