Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)

Schadensanalyse

In Kanalisationen sowie in Bauwerken der Ortsentwässerung können, wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, eine Vielzahl von Schäden aufgrund unterschiedlichster Ursachen auftreten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Schadensfolgen im wesentlichen vom Schadensumfang, dem jeweiligen Rohrwerkstoff und den örtlichen Randbedingungen bestimmt werden.

Einen zusammenfassenden Überblick über die Hauptschadensgruppen, ihre Ursachen und Folgen vermittelt (Tabelle 2.9-1) .

Tabelle 2.9-1: 
Übersicht über mögliche Schäden, Schadensursachen und Schadensfolgen in Kanalisationen in Anlehnung an ATV-M 143 Teil 1 [ATVM143-1:1989]
Nr. Schäden Mögliche Schadensursachen Mögliche Schadensfolgen in Abhängigkeit vom Schadensumfang
1 1.1 Undichtigkeiten        
1.1.1 Rohrverbindungen bzw. Bauteil- oder Bauwerksfugen 1.2.1 Nichtbeachtung von DIN 1986, DIN EN 1610, DIN 19550, ATV-A139, Werkstoffnormen oder Regelwerken und Richtlinien bei 1.3.1 Austritt von Abwasser (Exfiltration)
    1.2.1.1 Planung 1.3.1.1 Schadstoffeintrag in Grundwasser und Boden
1.2.1.2 Werkstoff- oder Bauteilauswahl 1.3.1.2 Schädigende Auswirkungen auf Leitungen, Bauwerke oder Straßenoberbau
1.2.1.3 Bauausführung 1.3.1.3 Änderung der Bettungsbedingungen mit Folgeschäden wie Lageabweichungen (3.1), Verformung (6.1), Risse (7.1), Rohrbruch (8.1) oder Einsturz (9.1)
1.2.1.4 Betrieb    
1.1.2 Rohr- oder Bauwerkswandungen 1.2.2 Werkstoffalterung 1.3.2 Eindringen von Grundwasser (Infiltration) und Boden
        1.3.2.1 Erhöhung des Fremdwasseranteils, dadurch Erhöhung der Schadstofffracht in den Vorfluter, der Kosten für Abwassertransport und Abwasserreinigung sowie der Abwasserabgabe
1.3.2.2 Erhöhung des Wartungsaufwandes
1.3.2.3 Hydraulische Mehrbelastung, ggf. Überlastung der Kanäle, Pumpwerke oder Kläranlagen
1.3.2.4 Absenkung des Grundwasserspiegels verbunden mit Schäden an der Bebauung und am Bewuchs
1.3.2.5 Verfestigte Ablagerungen (2.1.1), Inkrustationen (2.1.2)
1.3.2.6 wie 1.3.1.3
1.3.2.7 Hohlraumbildung, verbunden mit Setzungen und/ oder Einstürzen
1.1.3 Anschlüsse an Rohre, Schächte oder Bauwerke 1.2.3 Als Folge von
  • Lageabweichungen (3.1)
  • Mechanischem Verschleiß (4.1)
  • Korrosion (5.1)
  • Verformung (6.1)
  • Risse (7.1)
  • Rohrbruch (8.1)
  • Einsturz (9.1)
1.3.3 Wurzeleinwuchs (2.1.4)
2 2.1 Abflußhindernisse        
2.1.1 Rohrverbindungen bzw. Bauteil- oder Bauwerksfugen 2.2.1 Nichtbeachtung von EN 1610, DIN 1986 Teil 3, ATV-A 115, ATV-A 139 2.3.1 Austritt von Abwasser (Exfiltration)
    2.2.1.1 Fehlerhafte Planung (z.B. Leitungsgefälle)    
2.2.1.2 Fehlerhafte Bauausführung
2.2.1.3 Ungenügende Reinigung
2.2.1.4 Einleitung ablagerungs- und/ oder abbindefähiger Stoffe
2.2.1.5 Nicht wurzelfeste Dichtstoffe oder Rohrverbindungen
2.1.2 Inkrustrationen 2.2.2 Betriebsfremde Einflüsse 2.3.2 Verstopfungen
2.1.3 Einragende Abflußhindernisse 2.2.3 Als Folge von Undichtigkeiten (1.1) 2.3.3 Erhöhung des Wartungsaufwandes
2.1.4 Wurzeleinwuchs        
3 3.1 Lageabweichungen        
3.1.1 Vertikalrichtung (z.B. Versatz) 3.2.1 Fehlerhafte Planung (1.2.1.1) und Bauausführung (1.2.1.3) 3.3.1 Abreißen von Anschlußleitungen
3.1.2 Horizontalrichtung 3.2.2 Hydrogeologische Veränderungen 3.3.2 Verlust der Funktionsfähigkeit durch Gegengefälle
3.1.3 Axialrichtung 3.2.3 Belastungsänderungen 3.3.3 Erhöhung des Wartungsaufwandes
    3.2.4 Setzungen 3.3.4 Undichtigkeiten (1.1)
3.2.5 Bergsenkungen un Erdbeben 3.3.5 Abflußhindernisse (2.1)
3.2.6 Als Folge von Undichtigkeiten (1.1) 3.3.6 Risse (7.1)
    3.3.4 Rohrbruch (8.1)
4 4.1 Mechanischer Verschleiß        
    4.2.1 Ungeeignete Werkstoffe und Bauteile 4.3.1 Reduzierung der Wanddicke (Verringerung der Tragfähigkeit und Dichtigkeit (1.1))
4.2.2 Feststofftransport (Abrieb) 4.3.2 Erhöhung der Wandrauheit mit z.B. Reduzierung der hydraulischen Leistungsfähigkeit
4.2.3 Kavitation    
4.2.4 ungeeignete Reinigungsverfahren oder -geräte
5 5.1 Korrosion        
5.1.1 Außenkorrosion 5.2.1.1 Nichtbeachtung der Grenzwerte nach Normen und Richtlinien (z.B. DIN 4030 für Beton bzw. zementgebundene Werkstoffe oder DVGW GW 9 für Eisen und Stahl) bei Boden- und Grundwasseraggressivität 5.3.1.1 Reduzierung der Wanddicke (Verringerung der Tragfähigkeit und Dichtigkeit (1.1))
    5.2.1.2 In den Boden oder in das Grundwasser eingeleitete aggressive Substanzen 5.3.1.2 Undichtigkeiten (1.1)
5.2.1.3 Elektrochemische Einwirkungen (metallische Werkstoffe) 5.3.1.3 Verformung (6.1)
5.2.1.4 Korrosion bei zusätzlicher mechanischer Beanspruchung (metallische Werkstoffe und Kunststoffe) 5.3.1.4 Risse (7.1)
5.2.1.5 Fehlender, unsachgemäß hergestellter oder beschädigter Korrosionsschutz 5.3.1.5 Rohrbruch (8.1)
5.2.1.6 Bildung galvanischer Elemente (Kontaktkorrosion bei metallischen Werkstoffen) 5.3.1.6 Einsturz (9.1)
5.1.2 Innenkorrosion 5.2.2.1 Nichtbeachtung von EN 1610, DIN 1986 Teil 3, ATV-A 115E, ATV-M 168 5.3.2.1 Reduzierung der Wanddicke (Verringerung der Tragfähigkeit und Dichtigkeit (1.1))
    5.2.2.2 Nichtbeachtung der Grenzwerte nach Normen und Richtlinien (z.B. DIN 4030 für Beton bzw. zementgebundene Werkstoffe) 5.3.2.2 Erhöhung der Wandrauheit mit z.B. Reduzierung der hydraulischen Leistungsfähigkeit
5.2.2.3 Bildung von aggressivem Abwasser durch verschiedene eingeleitete Substanzen; Beeinflussung auch durch Betriebsbedingungen 5.3.2.3 Undichtigkeit (1.1)
5.2.2.4 Biogene Säure-Korrosion in teilgefüllten Kanälen und Bauwerken aus zementgebundenen und sonstigen säureempfindlichen Werkstoffen 5.3.2.4 Verformung (6.1)
5.2.2.5 wie 5.2.1.4 5.3.2.5 Risse (7.1)
5.2.2.6 wie 5.2.1.5 5.3.2.6 Rohrbruch (8.1)
    5.3.2.7 Einsturz (9.1)
6 6.1 Verformungen        
  bei statisch biegeweichen Rohren über den zulässigen Wert 6.2.1 Nichtbeachtung von EN 1610, ATV-A 127E z.B. durch 6.3.1 Reduzierung der hydraulischen Leistungsfähigkeit
6.2.1.1 Fehlende oder fehlerhafte statische Berechnung    
6.2.1.2 Einbau ungeeigneter oder fehlerhafter Rohre
6.2.1.3 Abweichung der Last- und/oder Auflagerbedingungen von den Berechnungsannahmen
6.2.1.4 Unsachgemäßes Verlegen und/oder Einbetten; mangelhafte Ringraumverfüllung bei geschlossener Bauweise
6.2.1.5 Unsachgemäßer Einsatz von Verdichtungsgeräten
6.2.1.6 Unsachgemäße Beseitigung des Verbaus
6.2.1.7 Temperatureinwirkungen
6.2.2 Als Folge von Undichtigkeiten (1.1), Mechanischem Verschleiß (4.1) oder Korrosion (5.1) 6.3.2 Verstopfungen
    6.3.3 Erhöhung des Wartungsaufwandes
6.3.4 Rißgefahr bei Formstücken an den Stellen, die durch angeformte Abzweige, Knicke usw. steifer sind als das unversteifte Rohr
6.3.5 Beulgefahr bei sehr großen Verformungen
6.3.6 Spannungsrißkorrosion
6.3.7 Undichtigkeiten (1.1)
6.3.8 Risse (7.1)
6.3.9 Rohrbruch (8.1)
6.3.10 Einsturz (9.1)
7 7.1 Risse        
    7.2.1 Nichtbeachtung von EN 1610, ATV-A 127E 7.3.1 Undichtigkeiten (1.1)
7.2.2 Beschädigung der Rohre beim Transport, Lagern, Verlegen, Einbetten, Überschütten oder Verdichten    
7.2.3 Kriegseinwirkungen
7.1.1 Längsrisse 7.2.1.1 Linienlagerung 7.3.1.1 Rohrbruch (8.1)
    7.2.1.2 Als Folge von Undichtigkeiten (1.1), Lageabweichungen (3.1), Mechanischem Verschleiß (4.1), Korrosion (5.1) oder Verformung (6.1) 7.3.1.2 Einsturz (9.1)
7.2.1 Querrisse 7.2.2.1 Unzulässige Einwirkung von Einzellasten (Punktlagerung, Reiten der Muffen, Steine in der Leitungszone)    
    7.2.2.2 Nicht gelenkig ausgebildeter Bauwerksanschluß
7.2.2.3 Als Folge von Undichtigkeiten (1.1), Lageabweichungen (3.1), Mechanischem Verschleiß (4.1), Korrosion (5.1) oder Verformung (6.1)
7.1.3 Risse von einem Punkt ausgehend, Scherbenbildung 7.2.3.1 Unzulässige Einwirkung von Einzellasten (Punktlagerung, Reiten der Muffen, Steine in der Leitungszone) 7.3.3.1 Rohrbruch (8.1)
        7.3.3.2 Einsturz (9.1)
8 8.1 Rohrbruch        
  (Fehlen von Teilen der Rohrwandung infolge von Rissen) 8.2.1 Als Folge von Undichtigkeiten (1.1), Mechanischem Verschleiß (4.1), Korrosion (5.1), Rissen (7.1) 8.3.1 Undichtigkeiten (1.1)
    8.3.2 Einsturz (9.1)
9 9.1 Einsturz        
    9.2.1 Als Folge von Undichtigkeiten (1.1), Mechanischem Verschleiß (4.1), Korrosion (5.1), Verformung (6.1), Rissen (7.1), Rohrbruch (8.1) 9.3.1 Extremschaden

Seitdem in der Bundesrepublik Deutschland die undichten Kanalisationen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt sind, besitzt die Beantwortung der Frage nach dem eigentlichen Schadensausmaß eine große ökonomische, ökologische und juristische Relevanz. Nach ersten Schätzungen [Kedin87] [Kedin90] [LAWA93b] beträgt der Anteil der schadhaften öffentlichen Kanalisationen allein auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik rund 22 %, auf dem Gebiet der neuen Bundesländer ca. 55 %.

Private Grundstücksentwässerungsleitungen sind hierbei noch nicht berücksichtigt, obwohl hier nach ersten Untersuchungen ein noch höheres Schadenspotential vermutet werden kann.

Eine erste fundierte Antwort bezüglich des Schadensumfanges und der Schadensverteilung zumindest für die Abwasserkanäle der Bundesrepublik Deutschland-West gibt eine im Jahre 1992 durchgeführte Analyse der Ergebnisse optischer Inneninspektionen kommunaler Abwasserkanäle aus Beton- und Steinzeugrohren der Nennweiten 200 ≤ DN ≤ 800 [Stein93a] . Die Einschränkung auf diese beiden Werkstoffe war notwendig, da alle weiteren in Kanalisationen noch üblichen Rohrwerkstoffe wie zB., Asbestzement (Faserzement), Mauerwerk, Kunststoff und Gußeisen in den untersuchten Kanalnetzbereichen von insgesamt 350 km Länge nur sehr gering vertreten waren, so daß sie in der Auswertung nicht berücksichtigt werden konnten.

Insgesamt wurden 45 unterschiedliche Schadensarten erfaßt und in Anlehnung an das ATV-M 143 Teil 2 [ATVM143-2:1999] zu folgenden sechs Schadensgruppen zusammengefaßt:

  • Abflußhindernisse
  • Lageabweichungen
  • Schäden an Rohrverbindungen
  • Schäden an Seitenzuläufen
  • Risse (Längsrisse, Querrisse, Scherbenbildung, Rohrbruch,Einsturz)
  • Innenkorrosion.

Die mit Hilfe der indirekten optischen Inneninspektion nicht erfaßbaren Schäden, wie z.B. Außenkorrosion oder nicht sichtbare Undichtigkeiten in Rohrverbindungen und Rohrwandungen, konnten zwangsläufig nicht berücksichtigt werden. Zur Feststellung dieser Schäden sind quantitative Meß- und Prüfverfahren einzusetzen (z.B. Dichtheitsprüfungen), die jedoch noch nicht zum gegenwärtigen Standardinspektionsprogramm gehören.

Daß diese Schäden einen beträchtlichen Umfang annehmen können, zeigt z.B. die Untersuchung eines Kanalnetzbereiches in Nürnberg-Erlenstegen (Tabelle 2.9-1) . Basierend auf diesen Ergebnissen kann man davon ausgehen, daß z.B. die früher zur Abdichtung der Rohrverbindungen in Abwasserkanälen aus Beton- und Steinzeugrohren eingesetzten Dichtstoffe, wie Ton, Zementmörtel, Gußasphalt und kaltverarbeitete Dichtstoffe, nicht mehr den heutigen Anforderungen genügen und in einem nicht unerheblichen Maße zu Undichtigkeiten beitragen.

Die Schadenshäufigkeit ist demnach höher als die allein durch die optische Inspektion ermittelte. Bei der ausgewerteten Kanallänge von 308,6 km wurden 17.893 Einzelschäden gezählt. Dies entspricht einer durchschnittlichen Schadenshäufigkeit von 58 Schäden/km. Berechnet man die Schadenshäufigkeiten für die einzelnen Rohrwerkstoffe, so ergibt sich für Steinzeugrohre bei einer Länge von 167,2 km und 6.894 Einzelschäden eine Schadenshäufigkeit von 41,2 Schäden/km und für Betonrohre bei einer Länge von 141,5 km und 10.999 Einzelschäden eine Schadenshäufigkeit von 77,8 Schäden/km, wobei die relativ große Schadensdiskrepanz im wesentlichen aus nicht werkstoffbedingten Schäden resultiert.

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Bild 2.9-1: 

Auf Schadensgruppen bezogene Schadenshäufigkeit von Abwasserkanälen aus Beton- und Steinzeugrohren 200≤DN≤800 [Stein93a]

Einen Überblick über die Schadenshäufigkeit an Abwasserkanälen aus Beton- und Steinzeugrohren - sowohl für beide Rohrwerkstoffe gemeinsam (global) als auch getrennt - vermittelt (Bild 2.9-1) .

Die Schadensgruppe Abflußhindernisse (Abschnitt 2.3.1) ist in den Abwasserkanälen aus Betonrohren mit 7,6 Schäden/km (9,8 %) und in den Abwasserkanälen aus Steinzeug mit 3,9 (9,5 %) Schäden/km anzutreffen. Neben den verfestigten Ablagerungen stellen in den untersuchten Kanalnetzbereichen Wurzeleinwüchse mit 3,3 Schäden/km (5,7 %) den größten Schadensanteil in der Schadensgruppe der Abflußhindernisse. Abwasserkanäle aus Betonrohren sind dabei mit 3,8 Schäden/km (4,8 %) und aus Steinzeugrohren mit 2,9 Schäden/km (7 %) beteiligt.

Obwohl Lageabweichungen (Abschnitt 2.4.1) auch als Folgeschäden von Undichtigkeiten und Rissen auftreten können (z.B. durch Einschwemmen von Bodenpartikeln aus dem Auflagerbereich stellen sich ungleichmäßige Setzungen ein), sind sie meistens auf Fehler bei der Herstellung des Auflagers oder bei der Rohrverlegung zurückzuführen. Der prozentuale Anteil dieser Schadensgruppe am Gesamtschadensumfang ist bei den Beton- und Steinzeugrohren mit je etwa 20 % identisch.

Der Anteil der Schäden an Rohrverbindungen am Gesamtschadensumfang beträgt 5,9 Schäden/km (10,1 %). Diese sind bei den Betonrohren häufiger anzutreffen (8,8 Schäden/km) als bei den Steinzeugrohren (3,4 Schäden/km). Hier wirkt sich vermutlich die Tatsache aus, daß Steinzeugrohre bereits früher mit Elastomerdichtungen und integrierten Dichtungen versehen wurden als Betonrohre. Mehr als ein Drittel aller Schäden (34,4 %) bei Abwasserkanälen aus Beton- und Steinzeugrohren betreffen Schäden an den Seitenzuläufen (Abschnitt 1.9.1) .

Bei Abwasserkanälen aus Betonrohren beträgt die Schadenshäufigkeit 29,3 Schäden/km (37,7 %). Hier wurden und werden gegen jede Regel teilweise noch heute die Anschlußkanäle durch Aufstemmen des Kanals eingebunden. Bei dieser Vorgehensweise ist es nicht möglich, eine dauerhafte, wasserdichte und gelenkige Verbindung herzustellen. Zusätzlich besteht die Gefahr, daß das Kanalrohr selbst unkontrolliert in Form von Rissen, Scherben und Rohrbruch beschädigt wird.

Bei Kanälen aus Steinzeugrohren ist diese Schadensgruppe sowohl absolut mit 12,1 Schäden/km als auch prozentual mit ca. 30 % des Gesamtschadensumfang deutlich geringer vertreten. Ein Hauptgrund hierfür dürfte die Verwendung entsprechender Formstücke sein, die das Aufstemmen der Kanäle erübrigen.

Der Anteil der Schadensgruppe Risse (Abschnitt 2.8) beträgt 13,1 Schäden/km (22,7 %).

Bei globaler Betrachtung sind nur sehr geringe Unterschiede zwischen den Beton- und Steinzeugrohren (13 bzw. 13,3 Schäden/km) festzustellen.

Für die Steinzeugrohre stellen die Risse jedoch die häufigste Schadensursache dar. Ihr prozentualer Anteil am Gesamtschadensumfang der Steinzeugrohre ist mit 32,2 % doppelt so hoch wie bei den Betonrohren (16,7 %). Hier wirkt sich vermutlich die gegenüber Betonrohren geringere Schlagfestigkeit der Steinzeugrohre und die damit verbundene erhöhte Rißgefahr beim Handling der Rohre beim Transport und Verlegen sowie bei der Verdichtung der Leitungszone aus.

Die Innenkorrosion (Abschnitt 2.6.1) wurde in insgesamt 570 Fällen festgestellt. Dies entspricht einem Anteil von 3,2 % (1,85 Schäden/km) am Gesamtschadensumfang. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß es sich bei dem Schadensbild Korrosion um einen Streckenschaden handelt.

Rund 75 % dieser Schäden erstrecken sich über die jeweilige gesamte Haltungslänge und die restlichen 25 % auf kürzere Abschnitte, z.B. dem Bereich nach einem Anschluß bis zum Haltungsende und auf einzelne Rohrverbindungen. Punktuell begrenzte Korrosion tritt in den ausgewerteten Untersuchungsberichten nicht auf.

Unter Vernachlässigung der 25 % der Schadensfälle, die sich auf kürzere Haltungsabschnitte oder einzelne Rohrverbindungen beziehen, ergibt sich bei der durchschnittlichen Haltungslänge von 32 m somit ein Anteil von 15,7 % korrodierter Betonrohre in den untersuchten Mischwassersystemen.

Von den 570 festgestellten Innenkorrosionsschäden befinden sich 63 im Scheitel-Kämpferbereich und lediglich 2 im Sohlenbereich, während bei den restlichen Innenkorrosionsschäden die gesamte Rohrinnenfläche betroffen ist. Die 63 Schäden im Gasraum der Betonkanäle lassen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Biogenen Schwefelsäure-Korrosion zuordnen. Innenkorrosion im Sohlenbereich, d.h. im benetzten Bereich, die ausschließlich auf stark aggressive Abwässer zurückzuführen ist, ist dagegen extrem selten anzutreffen.

Nahezu 90 % aller Korrosionsschäden in Abwasserkanälen aus Betonrohren lassen sich ohne Kenntnis der

  • Abwasserzusammensetzung,
  • Abwasserbeschaffenheit,
  • Kanalatmosphäre,
  • Bauwerkssituation,
  • Baustoffeigenschaften und
  • Abflußverhältnisse

nicht eindeutig zuordnen.

Als Ursachen der Korrosion können in diesem Fall

  • aggressives Abwasser mit häufiger Vollfüllung des Kanals,
  • aggressives Abwasser in Kombination mit Zersetzung des Zementsteines im Gasraum durch nicht biogen verursachte Korrosionsvorgänge mit gelegentlicher Vollfüllung des Kanals und
  • die Kombination von Biogener Schwefelsäure-Korrosion und aggressivem Abwasser

in Frage kommen [Stein93a] .

Innenkorrosion in Abwasserkanälen aus Beton ist bundesweit kein einheitliches Problem. So weisen 40 % der untersuchten Mischwassersysteme überhaupt keine Korrosion auf (s.a. Rieger [Riege95] ).

Bei 30 % der Mischwassersysteme beträgt der Anteil der korrodierten Betonrohre 0 bis 16 %, bei den restlichen 30 % beläuft sich der Anteil auf > 16 %. Das Maximum erreichte dabei eine nordrhein-westfälische Mittelstadt (Einwohnerzahl 20.000 bis 100.000) mit einem Anteil von rund 61 % an korrodierten Betonrohren im untersuchten Mischwassersystem.

Es zeigt sich, daß die Korrosionshäufigkeit sehr stark durch lokale Gegebenheiten geprägt ist. Rund 71 % der in dieser Untersuchung erfaßten Korrosionsschadensfälle konzentrierten sich auf drei Untersuchungsgebiete:

  • Kleinstadt (Saarland): Ländliche Gemeinde ohne nennenswerte Industrie, hoher Anteil an Kleinkläranlagen
  • Kleinstadt (Hessen): Chemisch-pharmazeutische Industrie
  • Mittelstadt (NRW): Mischsiedlung.

Damit wird deutlich, daß die Innenkorrosion in einzelnen Kommunen eine große Bedeutung besitzt und dort zur Hauptschadensart zählen kann.

Über das genaue Ausmaß und den Materialabtrag der einzelnen Korrosionsschäden sowie die daraus resultierenden Tragfähigkeitsverluste der betroffenen Kanalhaltungen geben die Inspektionsdaten keine Auskunft, da hierfür ergänzend zur optischen Inspektion in Zukunft auch quantitative Untersuchungen notwendig sind (Abschnitt 2.6.1) .

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Bild 2.9-2: 

Schadenshäufigkeit in Abhängigkeit der Kommunengröße [Stein93a]

Bezogen auf die Kommunengröße (Bild 2.9-2) ergeben sich erhebliche Differenzen zwischen den Schadens- häufigkeiten der Kleinstädte (77,9 Schäden/km), der Mittelstädte (42,5 Schäden/km) sowie der Großstädte (47,5 Schäden/km).

Noch deutlicher wird dieser Sachverhalt bei alleiniger Betrachtung der Mischwasserkanäle aus Betonrohren. Hier ist die Schadenshäufigkeit in den Kleinstädten mit 138,6 Schäden/km im Vergleich zu der durchschnittlichen Schadenshäufigkeit von 77,9 Schäden/km extrem hoch.

Die häufigsten und in der (Tabelle 2.9-3) berücksichtigten Einzelschäden in Mischwasserkanälen aus Betonrohren sind hier die nichtfachgerecht eingebauten Stutzen (44,7 Schäden/km) und die klaffenden Muffen (27,4 Schäden/km). Diese beiden Einzelschäden machen zusammen mehr als die Hälfte der durchschnittlichen Gesamtschadenshäufigkeit aus. Beide Schäden sind auf Fehler bei der Bauausführung bzw. Bauüberwachung und nicht auf charakteristische Mängel des jeweiligen Rohrwerkstoffes zurückzuführen.

Tabelle 2.9-2: 

Häufigkeiten ausgewählter Schäden in Mischwasserkanälen aus Betonrohren in Abhängigkeit der Kommunengröße [Stein93a]

Kleinstädte Mittelstädte Großstädte
Nicht fachgerecht
eingebaute Stutzen
(Schäden⁄km)
44,7 14,7 10,01
Klaffende Muffen
(Schäden⁄km)
27,4 1,5 2,27
Prozentualer Anteil am
Gesamtschadenumfang [%]
51,9 34,4 20,8

Bei Abwasserkanälen aus Steinzeugrohren ist diese Abhängigkeit von der Kommunengröße nicht erkennbar. Die höchste Schadenshäufigkeit ergibt sich hier mit 63,8 Schäden/km für die Großstädte, während die Kleinstädte mit 51,4 Schäden/km geringer betroffen sind.

Die o.a. Ergebnisse werden durch die Untersuchung von Matthes [Matth92] bestätigt, der das Datenmaterial von 10 Kleinstädten mit weniger als 20.000 Einwohnern aus dem Rhein-Main-Gebiet ausgewertet hat. Insgesamt verzeichnet er 4.020 Einzelschäden auf 56,383 km Kanallänge.

Dies entspricht einer durchschnittlichen Schadenshäufigkeit von 73,1 Schäden/km. Dieser Wert ist nahezu identisch mit der in der o.a. Untersuchung ermittelten durchschnittlichen Schadenshäufigkeit der Kleinstädte mit 77,9 Schäden/km. Die von Matthes [Matth92] ermittelte Schadenshäufigkeit für Betonrohre beträgt 89,9 Schäden/km und für Steinzeugrohre 49,3 Schäden/km.

Der häufigste Schaden bei Abwasserkanälen aus Betonrohren ist auch bei Matthes [Matth92] der nichtfachgerecht eingebaute Stutzen bzw. die nicht fachgerechte Einbindung von Anschlußkanälen. Die Schadenshäufigkeit von 59,7 Schäden/km ist allerdings gegenüber 46,3 Schäden/km höher. Im Untersuchungsgebiet von Matthes sind 58,3 % aller Anschlüsse an Betonrohre nicht fachgerecht hergestellt. Bei den Steinzeugrohren beträgt der Anteil der nichtfachgerecht ausgeführten Anschlüsse jedoch nur 17,7 %.

Die Hauptschadensgruppe der Steinzeugrohre bilden auch nach Matthes [Matth92] die Risse. Er gibt eine Schadenshäufigkeit von 13,7 Schäden/km an, die vergleichbar ist mit dem o.a. Wert von 11,6 Schäden/km. In den Betonrohren ist in diesem Untersuchungsgebiet der Anteil an Korrosionsschäden dagegen mit 2,42 Schäden/km um die Hälfte geringer als in der o.a. Untersuchung.

Aus der Gegenüberstellung der beiden Untersuchungen wird deutlich, daß durchaus lokal und regional geprägte Unterschiede bezüglich der Häufigkeit bestimmter Schäden, wie z.B. Innenkorrosion in Beton- und Steinzeugrohren oder klaffende Muffen in Bergsenkungsgebieten, existieren. Daß diese Unterschiede sehr groß sein können, zeigt die Auswertung der Mittelstädte, bei der die Schadenshäufigkeit zwischen den Werten 5 Schäden/km und 225 Schäden/km streut [Stein93a] .

Basierend auf den o.a. Untersuchungsergebnissen lassen sich zur Schadensvermeidung folgende Schlußfolgerungen ziehen:

Der eindeutig festgestellte Einfluß der Kommunengröße auf die Schadenshäufigkeit von Abwasserkanälen aus Betonrohren und hier insbesondere auf die verlegebedingten Schäden bestätigt eindeutig die Forderung nach höherer Qualifikation bei der Planung, Ausschreibung und Ausführung von Kanalisationen insbesondere in Kleinstädten und ländlichen Gemeinden, wo im Gegensatz zu den Mittel- und Großstädten die personelle Mindestausstattung zur Wahrnehmung der Überwachungsfunktion in der Regel fehlt. Generell kann festgestellt werden, daß die eindeutig oder überwiegend verlegebedingten Schäden vor allem durch folgende Maßnahmen vermeidbar sind:

  • Konsequente Einhaltung und Beachtung der einschlägigen Normen und Regelwerke, z.B. DIN EN 752 [DINEN752:1995] , DIN 4033 [DIN4033:1979] , DIN 1986 [DIN1986:1978] , DIN 19550 [DIN19550] , ATV-A 139 [ATVA139:1988] , DIN EN 1610 [DINEN1610:1997] .
  • Beauftragung für Kanalbaumaßnahmen, einschließlich der privaten Anschlußkanäle nur an solche Fachbetriebe, welche die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nachweisen. Die Anforderungen der vom Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e. V. herausgegebenen RAL-Güte- und Prüfbestimmungen GZ 961 sind zu erfüllen. Die Anforderungen sind erfüllt, wenn das Unternehmen im Besitz des entsprechenden RAL-Gütezeichens Kanalbau ist. Ersatzweise sind die Anforderungen erfüllt, wenn das Unternehmen einen entsprechenden Nachweis gemäß Abschnitt 4.1 RAL-GZ 961 vorliegt und mit Beginn der Arbeiten eine Fremdüberwachung gemäß Abschnitt 4.3 RAL-GZ p61 besteht [Thymi96] . In den Ausschreibungsunterlagen einiger Kommunen, z.B. Berlin, Stuttgart, Pforzheim, ist bereits verbindlich festgelegt, daß mit der Bauausführung nur solche Fachbetriebe beauftragt werden, die das RAL-Gütezeichen "Kanalbau" führen.
  • Konsequente Bauüberwachung und Abnahme einschließlich der Durchführung einer Dichtheitsprüfung an öffentlichen und privaten Kanalisationen sowohl für Neubau- als auch für Änderungsmaßnahmen. Dies beinhaltet auch die Wiedereinführung der Bauabnahme für Grundstückentwässerungsanlagen in den Landesbauordnungen.
  • Generelle Aufwertung der Dichtheitsprüfung nach DIN 18306 Abs. 4.2.7. durch Umwandlung der Nebenleistung zu einer Hauptleistung.
  • Verwendung von Rohren mit integrierter Dichtung, die einen einfachen und sicheren Einbau ermöglichen, zur Vermeidung undichter Rohrverbindungen.

Dem Problem der nicht fachgerecht hergestellten Seitenzuläufe bzw. Einbindung der Anschlußkanäle ist ein besonderes Augenmerk zu widmen.

Diese Schäden lassen sich durch folgende Maßnahmen vermeiden:

  • Verwendung von Kernbohrgeräten bei der nachträglichen Herstellung von Anschlußöffnungen gemäß ATV-A 139 [ATVA139:1988] (Abschnitt 1.9.1) .
  • Entwicklung und Herstellung von Formstücken für Betonrohre, die kompatibel zu allen beim Bau von Anschlußkanälen eingesetzten Werkstoffen sind (ist bereits realisiert worden, (Abschnitt 1.9.1) )
  • Einbindung von Anschlußkanälen außerhalb der Kanäle in Einsteigschächte (indirekter Anschluß an den Kanal) (Abschnitt 1.9.1) .

Korrosion ist bei Beachtung der einschlägigen Normen und Regelwerke vermeidbar. So läßt sich z.B. der Angriffsgrad der Biogenen Schwefelsäure-Korrosion durch planerische, bauliche und betriebliche Maßnahmen vermeiden oder erheblich vermindern [Ehner80] (Abschnitt 1.10) . Bei unvermeidbarem sehr starkem Angriffsgrad nach DIN 4030 [DIN4030:1991] wird durch Schutzmaßnahmen für Baustoffe aus korrosionsgefährdeten Werkstoffen die Korrosion verhindert (Abschnitt 1.7.7.3) .

Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)