"Heißes Pflaster" für die Schlauchlining-Sanierung vor der hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden

16.02.2009

Die Landeshauptstadt Wiesbaden unterhält ca. 800 km öffentliche Kanalisation. Im Innenstadtbereich wurden davon in 2008 rund 4,3 km grabenlos saniert. Die buchstäblich "heißeste Phase" dieses Sanierungsprogramms fand in den Herbstferien unmittelbar vor der hessischen Staatskanzlei statt. Dort wurden 192 Meter Mischwasserkanal mit Eiprofilen der Nennweiten 250/375 und 400/600 durch Schlauchlining unter extremen Umfeld-Bedingungen saniert. Grundwasserbildung durch heiße Thermalquellen sorgt hier für eine Bodentemperatur zwischen 50 und 60° C und schließt eine Sanierung durch thermisch härtende Schlauchliner-Verfahren aus. Bei der Durchführung des innerstädtischen Sanierungsprogramms kam die Swietelsky-Faber Gmbh, Alzey, mit lichthärtenden Glasfaser-Linern zum Zuge.

Schon die Römer wussten Komfort und Heilwirkung der Thermal-Quellen zu schätzen, deren Wasser im Bereich der heutigen Wiesbadener Innenstadt aus bis zu 2000 Meter Tiefe aufsteigen und für ein Grundwasser der besonderen Art sorgen. Nicht nur, dass es hier einen Meter unter der Erdoberfläche noch bis zu 55 °C heiß ist, hat das Grundwasser außerdem einen ungewöhnlich hohen Gehalt an Kohlensäure und Mineralsalzen. Chlorid, Kalzium und Natrium finden sich hier in Konzentrationen, die um Zehnerpotenzen über den Gehalten in handelsüblichem Mineralwasser liegen; hinzu kommen neben Kalium, Ammonium, Eisen und Magnesium noch Mangan, Strontium und Lithium. Was für Heilung suchende Kurgäste ein Segen ist, stellt sich aus der Sicht der Stadtentwässerung als Belastung dar: In dieser Umgebung verlegte Rohrwerkstoffe sind einem einzigartigen Material-Stress ausgesetzt. In den durch Hitze und Innenkorrosion angegriffenen Rohren bilden sich quasi im Gegenzug starke Sinterablagerungen ausgefällter Mineralien. So entstehen in den Kanälen extrem harte Krusten, die den Rohr-Querschnitt erheblich einengen können.
Zu diesen betriebstechnischen Schwierigkeiten der Abwasserkanäle in Wiesbadens Innenstadt kommt ein rechtlich, ökologisch und ökonomisch hoch sensibles Umfeld. Große Teile der Innenstadt und die Trasse des Kanals liegen in der Heilquellen-Schutzzone, die qualitativ der Wasserschutzzone II entspricht. Hier sind geschädigte Mischwasserkanäle schon von daher ein unbedingter Sanierungsfall. Zu den Anliegern gehören neben dem Sitz des hessischen Ministerpräsidenten unter anderem einige Hotels sowie exquisite Geschäfte und Restaurationen. In den Planungen der von den Entsorgungsbetrieben der Landeshauptstadt Wiebaden mit einem Sanierungskonzept beauftragten Unger Ingenieure GmbH, Darmstadt, hatten die Kanäle im Sanierungsabschnitt Kranzplatz / Schellenbergpassage daher allerhöchste Bedeutung.
Angesichts der ungewöhnlichen Randbedingungen gingen die Planer bei der Verfahrensauswahl hier besonders akribisch vor. Eine offene Erneuerung des 1888 erbauten Kanals musste dringend vermieden werden. Da die Bauzeiten und der Baustellenaufwand unbedingt minimiert werden sollten, führte technologisch kein Weg am Schlauchlining vorbei. Aber: Mit welchem System? Auch hier gaben die Randbedingungen bereits eine Grundsatzentscheidung vor: Bei Bodentemperaturen von über 55° C sind thermisch härtende Verfahrenstechniken in ihrer Anwendung problematisch und kamen nicht in Frage.
Bei der Verfahrens- und Werkstoffauswahl orientierten sich die Planer im weiteren auch an den Vorgaben der DIN 13380 "Allgemeine Anforderungen an Bauteile für die Renovierung und Reparatur von Abwasserleitungen und -kanälen außerhalb von Gebäuden" - um allerdings sehr bald festzustellen, dass die vor Ort herrschenden Bedingungen weit jenseits aller im technischen Regelwerk vorgesehenen Sachverhalte lagen.
Für die wesentlichen Faktoren
  • Temperaturverhalten
  • Widerstandsfähigkeit gegen Korrosion
  • Widerstandsfähigkeit gegen Abrieb und
  • Langzeitverhalten

musste man daher eigene, über die Vorgaben der Norm deutlich hinaus gehende Anforderungen definieren. Die Beanspruchung der Abwasserkanäle innerhalb des Thermalgebiets ist eher vergleichbar mit Ansprüchen aus der Industrie, und das nicht nur in punkto thermischer Belastungen. Hinzu kommt die hohe Neigung des Wassers, bei Luftkontakt Feststoffe als Sinter auszufällen. Zu deren regelmäßiger Entfernung und damit zur Vermeidung mittelfristig sehr fester und starker Ablagerung in den durch Korrosion und Verschleiß schon rauen Betonkanälen sind Kanalreinigungen in deutlich verkürzten Zeiträumen erforderlich. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Planung waren die sehr speziellen Arbeits- und Einsatzbedingungen für Mensch, Material und Gerätschaften im Untergrund. In Abwägung aller Aspekte entschied man sich dafür, eine Sanierung mit lichthärtenden GFK-Linern auszuschreiben. Der Darstellung erweiterter Anforderungen galt bei der Erstellung der Leistungstexte besonderes Augenmerk. Für das Leistungspaket erhielt letztlich die Swietelsky-Faber GmbH, Niederlassung Alzey, den Zuschlag.
Strikt einzuhaltender Terminrahmen für die Bauausführung der 192 Meter Schlauchlining vor der hessischen Staatskanzlei waren die zweiwöchigen Herbstferien. Bevor man mit dem eigentlichen Schlauchlining beginnen konnte, standen aber einige wichtige Vorarbeiten an. Einerseits musste eine Wasserhaltung eingerichtet werden, deren Pumpen der zu erwartenden Abwasserfracht nicht nur quantitativ gewachsen waren, sondern vor allem ihre extremen Temperaturen und Inhaltsstoffe vertragen mussten. Das galt im übrigen auch für die nicht abstellbaren Zuläufe aus umliegenden Quellfassungen in den zu sanierenden Mischwasserkanal, für die jeweils geeignete Wasserhaltungen aufzubauen und sicher zu betreiben waren. Reservepumpen mussten dabei zur Sicherheit bereit gehalten werden.
Grundvoraussetzung für die eigentliche Sanierung war natürlich, dass die starken mineralischen Sinterablagerungen in den Eiprofilen restlos entfernt werden mussten. Schnell zeigte sich, dass Fräsroboter sich an der Materie die "Zähne", sprich: Fräswerkzeuge, ausbissen. Eine Entfernung mit dieser Technik hätte Wochen gedauert. Daher tüftelten die Projektbeteiligten eine kreative Lösung aus. Diese beruhte grundlegend auf der Einsicht, dass die Ablagerungen strukturell einen geschichteten Aufbau zeigen der sich zwar nur schwer fräsen, dafür aber zerspalten lässt. Also befestigte man auf dem schwenkbaren Kopf eines Sika- Sanierungsroboters eine Hochdruck-Spüllanze, welche die Inkrustationen mit einem fokussierten Wasserstrahl bei bis zu 1400 bar Druck unter Beobachtung und Steuerung via TV-Monitor zielgerichtet zerkleinerte. 30 bis 40 Meter Tagesleistung waren das Resultat dieses konstruktiven "Geniestreichs". Das gelöste und zertrümmerte Spülgut wurde von einer konventionellen HD-Spüldüse an den nächsten Schacht abgezogen und entsorgt.
Pünktlich zu Beginn der Herbstferien konnte man die erste Installation im gereinigten Kanal in Angriff nehmen. Bei Schlauchlining mit lichthärtenden GFK-Linern besteht der Liner aus einem Glasfaserlaminat, das mit einem photo-reaktiven Harz getränkt ist.
In diesem Einsatzfall wurde angesichts der extremen Randbedingungen ein Vinylester-Harzsystem gewählt. Der werkseitig konfektionierte Liner wurde in lichtdichter Verpackung just in time zur Baustelle gefahren und dort über den Kontrollschacht in die Haltung eingezogen. Das bedeutete in diesem Falle härteste Belastungen für den Mitarbeiter, der mit voller Arbeitsschutzausrüstung im Schacht arbeiten und unter Anderem den reibungslosen Durchgang des Schlauchs beim Einzug in den Kanal sicherstellen musste. Trotz der zusätzlichen, externen Kanalbelüftungsanlagen konnte eine Dampfbildung bei Temperaturen bis über 50°C im Schachtbauwerk nicht vollständig vermieden werden.
Einbauvorgang:
Der in ganzer Länge eingezogene Liner wird beiderseits in den Schächten druckdicht geschlossen und dann pneumatisch im Rohr aufgestellt. Schließlich zieht eine Winde einen UV-Lampenzug durch den Liner, dessen integrierte Frontkamera abschließend kontrolliert, ob der Liner korrekt, das heißt faltenfrei und formschlüssig, im Kanal anliegt.
Ist das der Fall, gibt es grünes Licht für den eigentlichen Härtungsvorgang, der am Gegenschacht beginnt. Die UV-Lampen werden gezündet, dann wir der Lampenzug in exakt definierter gleichmäßiger Geschwindigkeit zum Ausgangsschacht zurückgezogen. Die auf seinem Weg emittierte UV-Strahlung führt zur vollständigen Aushärtung des photoreaktiven Harzes. Der bis jetzt flexible Schlauch wird zum selbsttragenden Schlauchliner, der praktisch unmittelbar nach Ende des Härtungsvorganges einsatzfähig ist. Zur betrieblichen Wiederherstellung angeschlossener Leitungen müssen die vorhandenen Stutzen wieder aufgefräst werden.
Davon gab es im diesem Sanierungsabschnitt insgesamt 25 Stück, die später von Swietelsky-Faber per Roboter durch Verpressung mit einem Epoxydharz-System abgedichtet wurden.
Zur Sanierung der Anschlussstutzen wurde der bei der vorhandenen Rohrgeometrie bereits bewehrte und bei verschiedenen Stutzenlagen am Rohrumfang flexibel arbeitende Sika-Roboter eingesetzt. Im Umgang mit den eingesetzten Harzen war hier, Temperatur bedingt und bei schlechter Sicht durch Dampfbildungen, wiederum das besondere Fingerspitzengefühl und die Erfahrung der Operateure gefragt. Trotz der schwierigen Bedingungen konnten hier technisch und optisch ansprechende Ergebnisse erzielt werden.
Trotz der ungewöhnlich harten Randbedingungen konnten alle Installationen exakt im vorgegeben Zeitfenster reibungslos durchgeführt werden, und dass zu dem bei einem exzellenten Resultat. Die unter Aufsicht des bauleitenden Büros Unger Ingenieure entnommenen Proben für die Fremdüberwachung kamen mit hervorragenden Resultaten aus dem Prüflabor des IKT Instituts für Unterirdische Infrastruktur zurück.
Nach einhelliger Auffassung aller Beteiligter und des Auftraggebers kann sich dieses Sanierungsergebnis sehen lassen – vor allem angesichts der ungewöhnlich problematischen Ausgangs- und Randbedingungen in diesem Kanalsanierungs-Fall.

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