CargoCap - unterirdischer Gütertransport im Ballungsraum

08.09.2006

Die Leistungsfähigkeit und das Entwicklungspotenzial eines Wirtschaftsstandorts werden selbst im Zeitalter der Telekommunikation maßgeblich durch das Leistungsvermögen der traditionellen Transportsysteme – Straße, Schiene, Luft und Wasser – bestimmt. In der Bundesrepublik Deutschland hat insbesondere der Verkehrsweg Straße seine Leistungsgrenzen erreicht, sodass durch Verkehrsengpässe und Verzögerungen gravierende Kosten und Friktionen auftreten. Die direkten Folgen von Staus und Verspätungen kosten die deutsche Wirtschaft nach Angaben des ADAC schon heute 100 Mrd. EUR jährlich.

Besonders betroffen von dieser zunehmend negativen Entwicklung sind Ballungsgebiete, die im Allgemeinen bereits eine hohe Bebauungsdichte und einen hohen Anteil an Verkehrsflächen besitzen. Ihre traditionell gewachsene Verkehrsinfrastruktur kann den steigenden Anforderungen an die Verkehrsleistung aufgrund von Flächennutzungskonkurrenzen, finanziellen Engpässen der öffentlichen Hand oder mangelnder Akzeptanz in der Bevölkerung nur unvollkommen beziehungsweise gar nicht angepasst werden.
Diese Konfliktsituation zwischen erforderlicher Mobilität und örtlichen Restriktionen wird sich weiter verschärfen, da die Anzahl der Kraftfahrzeuge wesentlich schneller wächst als das Straßennetz. Hierzu tragen insbesondere die Entwicklungen der Wirtschaftsunternehmen zur Just-in-Time- und Just-in-Case-Produktionsweise bei, die eine zuverlässige und leistungsfähige Produktionslogistik mit weitverzweigten, flexiblen und kostengünstigen Verkehrssystemen erfordern, die in der Lage sind, die notwendigen Mengen an Gütern sicher in einer bestimmten Zeit von einem Ort zum anderen zu transportieren.
Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist ein sich täglich wiederholendes Verkehrschaos mit unterschiedlicher Ausdehnung. Dies führt zur sinkenden Leistungsfähigkeit der betroffenen Regionen mit entsprechender Auswirkung auf die Standortattraktivität für Bevölkerung und Unternehmen.
In Anbetracht dieser Ausweglosigkeit wurde im Jahr 1998 der interdisziplinäre Forschungsverbund "Transport- und Versorgungssysteme unter der Erde" an der Ruhr-Universität Bochum mit Unterstützung des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen initiiert. Seine Aufgabe bestand darin, nach einer neuen, effizienten, umweltgerechten, kurzfristig realisierbaren und nachhaltigen Transportalternative zu suchen. Das Ergebnis ist das innovative Konzept CargoCap (Bild 1) (STEIN/SCHÖSSER, 2002).
Konzept CargoCap

CargoCap ist die fünfte Alternative des Gütertransports zu den konventionellen Systemen Straße, Schiene, Wasser und Luft. Mit CargoCap werden Güter in Ballungsräumen durch unterirdische Fahrrohrleitungen schnell, zuverlässig und zeitgenau transportiert. Es ist als eigenständiges, leistungsfähiges und problemlos erweiterbares System konzipiert, das betriebliche Rentabilitätsanforderungen erfüllt. CargoCap lässt sich technisch und rechtlich ohne Verletzung von Bürgerinteressen schnell realisieren und problemlos in die traditionellen Verkehrssysteme und Logistikkonzepte implementieren.
Der Transportvorgang erfolgt durch individuell angetriebene, computergesteuerte Transport einheiten (Caps), die über ein Fassungsvermögen von je zwei Euro-Paletten nach CCG 1 (B x T x H = 800 x 1 200 x 1 050 mm) verfügen (Bild 2). Der Einsatz der Euro-Palette als genormter und in der Praxis bewährter Lastträger garantiert eine leichte Implementierung von CargoCap in bestehende Materialflussketten und konventionelle Verkehrssysteme. Durch die Beladung mit nur zwei Euro-Paletten pro Cap wird eine hohe Verteilungsflexibilität der Waren und Güter gewährleistet.
Zu den von CargoCap zu transportierenden Gütern zählen Konsum- und Investitionsgüter, Sammel- und Stückgüter, Produktionsbauteile, Paket- und Expressfracht sowie Nahrungs- und Genussmittel. Etwa zwei Drittel aller in der Bundesrepublik transportierten Waren dieser Art passen ohne weiteres Aufbrechen der Ladung in den CargoCap-Frachtraum.
Die technische und juristische Realisierbarkeit sowie die Wirtschaftlichkeit von CargoCap wurden im Rahmen des Verbundforschungsprojekts an dem regionalen Entwurf einer doppelt geführte Ost-West-Trasse durch das Ruhrgebiet mit einer Gesamtlänge von rund 75 km untersucht. Diese so genannte Ruhrgebietstrasse führt überwiegend unter öffentlichem Straßenraum in direkter Nähe zur staubelasteten Bundesautobahn A 40 von Unna über Dortmund, Bochum, Essen und Oberhausen bis nach Duisburg. Als anschlusswürdige Gebiete wurden Innenstadtbereiche, Gewerbegebiete, Geschäftszentren, Logistikparks, Standorte von Wirtschaftsunternehmen, Flughäfen sowie ausgewählte Standorte des "Kombinierten Verkehrs" identifiziert und berücksichtigt.
Ziel der Ruhrgebietstrasse ist es, Güter per LKW nur bis an den Rand des Ballungsraums zu bringen. Der Transport in Gewerbegebiete und Zentren der Städte findet dann im Untergrund unabhängig und unbeeinflusst von oberirdischen Verkehrsengpässen unter Gewährleistung einer hohen Betriebs- und Verkehrssicherheit sowie eines äußerst geringen Gefahrenpotenzials gegenüber Dritten statt.
Die Ruhrgebietstrasse stellt die so genannte Mindestnetzgröße dar, die bereits einen wirtschaftlich rentablen Betrieb ermöglicht. Jede Netzerweiterung – regional oder innerstädtisch – bringt zusätzliche wirtschaftliche Erfolge, sodass Cargo-Cap als lohnende Investition in die Zukunft bewertet werden kann (KERSTING, 2002; KERSTING et al., 2004).
Darüber hinaus wurden die Möglichkeiten und Potenziale einer Streckenerweiterung in das Rheinland sondiert, um insbesondere die drei Flughäfen Dortmund, Düsseldorf und Köln/Bonn (größter Frachtflughafen in Nordrhein-Westfalen) in das CargoCap-System zu integrieren und damit der Entwicklung im Logistiksektor Rechnung zu tragen (Bild 3).
Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass CargoCap in der Lage ist, die ökonomische Entwicklung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaftsstandorten umweltgerecht und nachhaltig zu unterstützen.
Transporttechnik

Die Caps sind aerodynamisch geformt, wobei Laufräder die Tragfunktion und seitliche Führungsrollen die Spurführung übernehmen. Die dafür notwendigen Elemente der Trag- und Spurführung sind direkt in der Fahrrohrleitung implementiert.
Bei den Caps handelt es sich um Zero-Emission-Fahrzeuge; der Antrieb erfolgt elektrisch über konventionelle Drehstrommotoren, die durch Frequenzumrichter gespeist werden. Weitere Charakteristika sind eine robuste Konstruktion, hohe Betriebssicherheit, geringer Energieverbrauch, niedrige Anschaffungskosten sowie eine lange Lebensdauer bei gleichzeitig geringem Wartungsaufwand.
Ein Bordcomputer übernimmt die individuelle Steuerung der autonom fahrenden Caps, die sich bei erhöhtem Transportbedarf zu dicht fahrenden, nicht mechanisch gekoppelten Verbänden gruppieren. Der minimale Abstand beträgt 2 m und wird über integrierte Überwachungssysteme kontrolliert und geregelt.
Dieser geringe Abstand erforderte in Verbindung mit der individuellen Steuerung der Caps die Entwicklung eines neuartigen Verzweigungssystems, in dem die Weiche selbst das passive Element ist und die Transporteinheit die Ein- und Ausschleusung aus dem Verband ohne Geschwindigkeitsreduzierung aktiv steuert. Auf diese Weise führt die vermeintlich geringe Transportgeschwindigkeit von 36 km/h bei konstantem Transportfluss zu einer erheblichen Verkürzung der Transportzeit gegenüber dem LKW im Ballungsraum.
Im Interesse der schnellen und wirtschaftlichen Realisierbarkeit wurden bei der Konzeption von CargoCap grundsätzlich vorhandene, in der Praxis bewährte Bauteile und Komponenten verwendet. Dabei wurde darauf geachtet, das System gegenüber technischen Innovationen offen zu halten, sodass zukünftige Entwicklungen, zum Beispiel im Bereich der Linearmotor- und Magnetschwebetechnik sowie der berührungslosen Energieübertragung, problemlos übertragen werden können.
Fahrrohrleitungen

Die Verlegung der kreisförmigen Fahrrohrleitungen mit DN/ID 1600 im öffentlichen Straßenraumv neben, unter oder über vorhandenen Infrastruktureinrichtungen wie Ver- und Entsorgungsleitungen, Strom- und Telekommunikationskabel, U-Bahn- oder Straßentunnel und anderen Tiefbauwerken ist mittels der Verfahren des grabenlosen Leitungsbaus nach dem Prinzip des Rohrvortriebs (STEIN, 2003) ohne Beeinträchtigung der umliegenden Strukturen geplant (Bild 4).
Beim Rohrvortrieb werden von einem Startschacht aus mithilfe einer Hauptpressstation vorgefertigte Vortriebsrohre durch den Baugrund bis in einen Zielschacht vorgetrieben. Der anstehende Boden oder Fels wird an der Ortsbrust mechanisch abgebaut und durch den vorgetriebenen Rohrstrang nach über Tage abgefördert. Eine steuerbare Schildmaschine, die dem ersten Rohr vorgeschaltet ist, ermöglicht den genauen Vortrieb in gerader oder gekrümmter Linienführung.
Im Sinn eines wirtschaftlichen Vortriebs wird generell das Erreichen einer großen Vortriebslänge von einem Startschacht aus angestrebt, da insbesondere die Herstellung von Schachtbauwerken einen erheblichen Kostenfaktor bei der Verlegung von Leitungen darstellt.
Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung von Langstreckenvortrieben sind:
  • Reduktion der Vortriebswiderstände, insbesondere der Mantelreibung, durch kontinuierliche, effiziente Stützung und Schmierung des Ringspalts zwischen Vortriebsrohr und Bohrlochwand (Überschnitt),
  • Einsatz von Zwischenpressstationen zur Unterteilung des Rohrstrangs in separate Vortriebsabschnitte und damit Reduzierung der erforderlichen Vortriebskraft,
  • Zugänglichkeit der Ortsbrust zum Werkzeugwechsel beziehungsweise zur Hindernisbeseitigung,
  • Präzise Vortriebsvermessung zur ständigen Positions- und Lagebestimmung der Vortriebsmaschine zur Einhaltung der Soll-Lage des endgültigen Leitungsbauwerks.
Moderne Vortriebsmaschinen genügen diesen Anforderungen und erreichen bereits jetzt beeindruckende Leistungen hinsichtlich der Vortriebslänge und der auffahrbaren Radien bei gekrümmter Linienführung. Im Zusammenhang mit CargoCap sind mittelfristig jedoch Weiterentwicklungen erforderlich, die es ermöglichen, Standardvortriebslängen ≥ 2 000 m und Kurvenradien ≥ 40 m zu realisieren.
Da für die grabenlose Verlegung der Fahrrohrleitungen im öffentlichen Straßenraum mithilfe des Rohrvortriebs weder ein Planfeststellungsbeschluss noch eine Plangenehmigung erforderlich sind, kann in der Regel auf die bestehende Bauplanung zurückgegriffen werden. Ein Baugenehmigungsverfahren ist für die Fahrrohrleitung nicht erforderlich, da ein Ausnahmetatbestand gegeben ist, der die Anwendung der Landesbauordnung ausschließt. Lediglich für die einzelnen Stationen bleibt es bei der bauordnungsrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit.
Darüber hinaus werden durch die bevorzugte Nutzung des öffentlichen Straßenraums langwierige privatrechtliche Verhandlungen mit Grundstückseigentümern vermieden, sodass eine schnelle Implementierung von CargoCap in die bestehende Infrastruktur möglich ist.
Modellstrecke

Die zurzeit verfolgten Meilensteine im Projekt CargoCap stellen der Bau und Betrieb einer Modellstrecke im Maßstab 1 : 2 dar, mit deren Hilfe alle Funktionen des CargoCap-Systems in einem voll betriebsfähigen Prüfstand realisiert werden. Sie ermöglicht die Untersuchung der elektro- und maschinenbautechnischen Aspekte, die nur in einem dem Realbetrieb vergleichbaren Versuchsbetrieb möglich sind, und erlaubt darüber hinaus einen Ausblick auf die Eignung des CargoCap-Systems in seinem logistischen Umfeld.
Eine Kernaufgabe ist die Entwicklung einer Steuerungsstrategie sowohl auf der Ebene der Fahrzeuge als auch übergeordnet in Form eines Betriebsleitsystems. Besondere Aufmerksamkeit kommt hierbei der Abstandsregelung der Transporteinheiten im virtuellen Fahrzeugverband und der Aufteilung und Zusammenführung der Verbände zu.
Ein weiteres großes Themengebiet stellt die Erforschung der systemspezifischen fahrdynamischen Eigenschaften dar. CargoCap ist auf den Transport zweier Europaletten ausgelegt, die sich in der heutigen Transportwirtschaft als Standard etabliert haben und daher von einem hohen Aufkommen gekennzeichnet sind. Um die Kosten für die Infrastruktur zu minimieren, ist der Durchmesser des Fahrrohrs im Originalmaßstab mit 1,6 m eng um das Lichtraumprofil des beladenen Fahrzeugs gelegt. Diese im Vergleich zu bekannten Fahrzeug-Tunnel-Paarungen sehr hohe Ausnutzung des Fahrrohrquerschnitts durch das Fahrzeug führt zu bisher weitestgehend unbekannten aerodynamischen Effekten und zusätzlichen Beanspruchungen sowohl für das Fahrzeug als auch das Fahrrohr. Weiterhin steht den bauseitig eingesparten Kosten durch den höheren Luftwiderstand ein höherer Energiebedarf entgegen, den es zunächst zu quantifizieren und anschließend durch konstruktive Maßnahmen zu reduzieren gilt.
Um in der Phase der Inbetriebnahme den direkten Zugriff auf die Fahrzeugprototypen zu jedem Zeitpunkt zu gewährleisten, wird die Modellstrecke oberirdisch und zunächst ohne Rohrleitungen aufgebaut (Bild 5). Nach der erfolgreichen Inbetriebnahme der Fahrzeuge vervollständigt eine Umhausung des Fahrwegs für die Untersuchung der speziellen fahrdynamischen Eigenschaften den Versuchsaufbau.
Neben der bereits abgeschlossenen Festlegung des Streckenlayouts sind sowohl die konstruktive Gestaltung des Fahrwegs und die Entwicklung des Fahrzeugprototyps als auch die Installationsarbeiten in der Halle zur Vorbereitung des Versuchsbetriebs fortgeschritten (Bild 6). Für die Realisierung dieses Vorhabens konnten bereits aus unterschiedlichen Bereichen der Industrie Partner gefunden werden, die das Projekt fördern. Neben der RWE Power AG unterstützt die SEW EURODRIVE, ein namhafter Antriebstechnikhersteller, den Bau der Modellstrecke mit der kostenfreien Bereitstellung der innovativen berührungslosen Energieübertragung, des Kommunikationssystems sowie der kompletten Antriebs- und Steuerungstechnik.
Ausblick

CargoCap ist als weitverzweigtes, effektives Transportsystem im Ruhrgebiet, in anderen Ballungsräumen oder Metropolen in der Lage, die Erreichbarkeit von Produktionsstätten, Handelszentren und letztlich von bisher peripher gelegenen Standorten zu verbessern, indem die Transportqualität für den notwendigen Transportumfang gewährleistet wird. Dabei ist CargoCap nicht nur eine interessante Transportalternative, sondern auch ein wirtschaftlich attraktives, innovatives Investitionsobjekt.
Heute ist es für alle Haushalte, Gewerbe- und Industrieunternehmen eine Selbstverständlichkeit, über Leitungsnetze mit Strom, Wasser, Gas, Fernwärme und Abwasser ver- und entsorgt zu werden. CargoCap bietet die Chance, dass in etwas fernerer Zukunft unterirdische Fahrrohrleitungen nicht nur die Stadtzentren miteinander verbinden, sondern netzwerkartig den gesamten Ballungsraum erschließen könnten. Waren könnten dann in Fahrrohrleitungen mit geringerem Durchmesser direkt zu jedem Haushalt geliefert werden. Die Vision vom lückenlosen elektronischen Einkauf würde auf diese Weise Realität (Bild 7).
Quellennachweis

STEIN, D. ; SCHÖSSER, B (2002): CargoCap – eine Vision wird Realität. Tunnel Nr. 3/2002.
KERSTING, M. (2002): Subterrestrischer Gütertransport in Ballungsgebieten. Ökonomische Rahmenbedingungen und Potentiale. RUFIS Nr. 4/2002.
KERSTIN, M. ; KLEMMER, P. ; STEIN, D. (2004): CargoCap – wirtschaftliche Transportalternative im Ballungsraum. Internationales Verkehrswesen (56), Nr. 11.
STEIN, D. (2003): Grabenloser Leitungsbau. Berlin: Ernst & Sohn.


Erstveröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift geotechnik 29 (2006), Nr. 2, S. 152-156.

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