Das Recht des VOB-Vertrages - Teil 1/18: Wirksame Einbeziehung der VOB

24.05.2005

Mit diesem Beitrag beginnen wir heute eine 18-teilige Reihe zum Recht des VOB-Vertrages, die bereits aus der tis bekannt ist. In loser Folge werden wir in den nächsten Monaten die Reihe auf UNITRACC ergänzen. Jeder Teil beschäftigt sich mit einem Paragraphen der VOB/B. Für unsere Leser bleiben die Beiträge jederzeit  - auch lange Zeit nach der Veröffentlichung - über das UNITRACC Archiv abrufbar. Ein informatives Leservergnügen wünscht Ihnen Ihre UNITRACC Redaktion

Die meisten Bauverträge in der Tiefbaubranche werden nach den Regularien der VOB abgewickelt. Als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) muss die VOB zwischen den Vertragsparteien wirksam einbezogen werden. Gegenüber einem im Baubereich nicht bewanderten Auftraggeber kann dies nur dadurch erfolgen, indem der volle Text der VOB/B in der gültigen Fassung übergeben wird. Zwischen Bauprofis genügt hingegen zur Einbeziehung die bloße Benennung z. B.:„Die VOB ist Vertragsbestandteil” (ständige Rechtsprechung seit BGH, NJW 1994, 2547 und BGH,BauR 1999,1186).Ungeahnte Probleme zeigen sich später dann aber oft, weil neben der VOB auch eine Vielzahl anderer Regelungen einbezogen werden. Zur Verdeutlichung folgender Präzedenzfall des Bundesgerichtshofes (BGH, VII ZR 116/97, Urteil vom 19.03.1998): Ein Auftragnehmer (AN) verlangte von einem Auftraggeber (AG) restlichen Werklohn aus einer Schlussrechnung. Dem Vertrag lagen neben dem Leistungsverzeichnis und den Ausschreibungsunterlagen besondere Vertragsbedingungen, zusätzliche Vertragsbedingungen, ein Verhandlungsprotokoll sowie nachrangig die Regelungen der VOB Teil B und C zu Grunde. Auf die Schlussrechnung des AN hatte der AG ohne zu zahlen mit einer Schlusszahlungsbelehrung i. S. v. § 16 Nr. 3 Abs. 2 und 5 VOB/B reagiert. Der AN hatte nicht binnen 24 Werktagen einen Vorbehalt hiergegen erklärt.
Der BGH prüfte, ob die vor der VOB vorrangig vereinbarten besonderen und zusätzlichen Vertragsbedingungen und das Verhandlungsprotokoll den Kernbereich der VOB/B berührten. Denn der BGH meinte, dass z. B. die Schlusszahlungsklausel gem. § 16 Nr.3 Abs. 2 bis 5 VOB/B nur dann wirksam ist, wurde die VOB/B „als Ganzes“ vereinbart. Werden hingegen vorrangig Regelungen der Vertragsabwicklung zu Grunde gelegt, die VOB-Vorschriften verdrängen, müssen dieselben auf ihre Rechtmäßigkeit kontrolliert werden. Bei einer solchen isolierten Betrachtung ist § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B unwirksam. Denn die Schlusszahlungseinrede für sich führt zu einer unangemessenen Benachteiligung des AN, weil eine Werklohnforderung innerhalb kurzer Zeit aus rein formalen Gründen undurchsetzbar wird. Sie weicht vom Gesetzesrecht ab, wonach eine Werklohnforderung durch Leistung zu tilgen ist und ein AN sie nur dann nicht mehr realisieren kann, wenn sie verjährt oder verwirkt ist, wobei hier mehrjährige Fristen und nicht nur eine 24 Werktages gelten. Abweichend vom Gesetzesrecht muss der AN zudem eine 2-monatige Frist zur Schlussrechnungsprüfung gem. § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B hinnehmen. Außerdem muss er hinnehmen, dass ein Auftraggeber Überzahlungen nach §§ 812 ff. BGB im Rahmen der dafür geltenden langen Verjährungsfrist zurückverlangen kann. Auch wird der Auftragnehmer einseitig dadurch belastet, dass er seinen Vorbehalt begründen muss, während der Auftraggeber seine Abzüge von der Schlussrechnung nicht begründen muss, um formale Rechtsverluste in einem späteren Rechtsstreit zu vermeiden (BGH, 7. Zivilsenat, 19.03.1998, VII ZR 116/97 erschienen in BGHZ 138,176- 179; ZIP 1998, 959-960; DB 1998, 1129; BB 1998,1131;MDR 1998,710-711;NJW 1998, 2053-2054).
Diesem Präzedenzfall lässt sich folgende Lehre entnehmen: Die VOB ist nur dann ein ausgewogenes Vertragswerk, wenn sie im Ganzen und ohne ins Gewicht fallende Änderungen vereinbart ist. Eine Vereinbarung der VOB als Ganzes steht nicht entgegen, wenn „besondere” oder „zusätzliche“ Vertragsbedingungen vereinbart werden, die erforderlich sind, um die Regelungen der VOB auszufüllen, etwa die konkrete Vereinbarung von Vertragsstrafen nach § 11 VOB/B oder die konkrete Vereinbarung von Sicherheiten nach § 17 VOB/B. Auch in § 13 Nr. 4 VOB/B verweist die VOB selbst auf die Möglichkeit zusätzlicher Vereinbarungen: „Ist für die Gewährleistung keine Verjährung im Vertrag vereinbart, so beträgt sie für Bauwerke 4 Jahre …“ Es kann also z. B. ohne Kerneingriff eine Gewährleistungsfrist vereinbart werden, die angemessen ist, entspricht sie im Wesentlichen der gesetzlichen Verjährungsfrist von 5 Jahren (statt 4 Jahre nach VOB). Wird aber das ausgewogene Gefüge der VOB durch abweichende andere AGB oder aber auch Individualvereinbarungen gestört, entfällt die VOB-Privilegierung als Ganzes mit der Folge, dass jede einzelne VOB/B-Vorschrift am strengen Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu prüfen sind.

Oft werden so durch geringe Vorteile bei der Abänderung einzelner Bestimmungen unbewusst wesentlich gewichtigere Vorteile anderer Regelungen der VOB/B aufs Spiel gesetzt. Als Kerneingriffe in die VOB hat die Rechtsprechung bisher z. B. folgende abweichende Klauseln erkannt:

 

  • Ausschluss der Bindung des Auftragnehmers an die Kalkulationsgrundlagen nach § 2 Nr.6 Abs. 2 VOB/B
  • Ausschluss des Anspruches des Auftragnehmers auf Preisänderung nach§ 2 Nr. 3 bis 7 VOB/B oder z. B. erst neue Preisvereinbarung ab 100% Mengenüberschreitung
  • Notwendigkeit der unverzüglichen Ankündigung für Preiserhöhungen bei Überschreitung von 10% des Mengenansatzes
  • Verlangen schriftlicher Ankündigung im Falle von § 2 Nr.5 VOB/B (also den Fall der Änderung des Bauentwurfes) vor der Ausführung
  • Vereinbarung der Haftung des Auftragnehmers trotz Bedenkenanmeldung nach § 4 Nr.3 VOB/B
  • Ausschluss der Schadensersatzansprüche bei zu vertretenden Mängeln nach § 4 Nr. 7 VOB/B, bei zu vertretenden Behinderungen nach § 6 Nr. 6 VOB/B, bei Kündigung nach § 8 Nr. 2 ff. VOB/B und nach § 9 Nr.3 VOB/B
  • Ausschluss des Rechtes auf Vergütung im Falle der Kündigung durch den Auftragnehmer nach § 8 Nr.1 VOB/B
  • Vereinbarung einer dem Gesetz entgegenlaufenden Beweislastumkehr nach Abnahme
  • Abnahme generell erst nach Fertigstellung des Gesamtobjektes oder bei Übergabe an den Käufer
  • Ausschluss der fiktiven Abnahme nach § 12 Nr.5 VOB/B
  • Einengung auf förmliche Abnahme nach § 12 Nr.1 VOB/B ohne angemessene Frist hierzu, nicht dagegen schon bei Verlängerung der Frist zur Abnahme auf Verlangen des Auftragnehmers nach § 12 Nr.1 VOB/B von 12 Werktagen auf 24 Werktage
  • Vereinbarung lediglich der Gewährleistung nach § 13 VOB/B unter Ausschluss der übrigen VOB/B
  • Ausschluss des Kostenvorschussanspruches nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B bzw. des Anspruches auf Schadensersatz nach § 13 Nr.7 VOB/B
  • Eingriff in die Zahlungsmodalitäten nach § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 6 VOB/B insbesondere Vereinbarung von Abschlagszahlungen nicht in voller Höhe nach § 16 Nr. 1 VOB/B (beliebt 90-%- Klausel) oder überhöhte Abschlagszahlungen.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der tis Tiefbau Ingenieurbau Straßenbau
Mehr Informationen unter www.tis-online.info


Autor:
Dr. Uwe Diehr
Rechtsanwalt
Leinen & Derichs Anwaltsozietät
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