Energie und Rohstoffe aus Klärschlamm - Zwei bayerische Leuchtturmprojekte gestartet

22.01.2009

Klärschlämme umweltgerecht, dezentral und wirtschaftlich verwerten – dieses Ziel verfolgen zwei bayerische Pilotprojekte auf unterschiedlichen technologischen Wegen.

In deutschen Kläranlagen fallen laut Bundesumweltministerium jährlich rund 2,3 Millionen Tonnen Klärschlamm (Trockenmasse) an. Der Einsatz dieser teilweise Schadstoff belasteten Reststoffe als Dünger in der Landwirtschaft wird seit Jahren zunehmend kritisch gesehen. In der Schweiz und einigen Bundesländern in Österreich ist das Ausbringen von Klärschlamm bereits verboten – eine Regelung, die auch Bayern und Baden-Württemberg favorisieren.

Als Alternative ist in den vergangenen Jahren besonders die Mitverbrennung in Müllheizkraftwerken, Kohlekraftwerken oder der Zementindustrie ins Spiel gekommen. In Bayern beispielsweise werden aktuell rund 44 Prozent der Klärschlämme thermisch entsorgt. "Vor dem Hintergrund der damit verbundenen hohen Entsorgungskosten und der langfristigen vertraglichen Bindung sind viele Kläranlagenbetreiber an einer wirtschaftlichen, dezentralen Verwertungsalternative interessiert", weiß Dr. Manuela Wimmer, Geschäftsführerin des Umweltclusters Bayern. Der von der Bayerischen Staatregierung kofinanzierte Umweltcluster mit Hauptsitz in Augsburg bündelt das Potenzial der über 2.000 bayerischen Unternehmen im Bereich Umwelttechnologie und unterstützt die Firmen bei der Entwicklung und Vermarktung ihrer Produkte und Verfahren.

Für die dezentrale Klärschlammverwertung wurden in den letzten Jahren mehrere Konzepte entwickelt. Zwei dieser Projekte werden aktuell im Rahmen des Life Programms der Europäischen Union gefördert und umgesetzt. Diese beiden bayerischen Projekte wurden durch das Umweltcluster als Leuchtturmprojekt ausgezeichnet und sollen nachfolgend näher dargestellt werden.
Lotecotec in Mintraching
"Speziell für mittlere Kläranlagengrößen mit 100.000 bis 250.000 Einwohnerwerten fehlten bislang finanzierbare Lösungen. Seit April 2008 arbeitet jedoch in Mintraching bei Regensburg eine Demonstrationsanlage, die einen neuen Weg bei der Klärschlammfrage aufzeigt", freut sich Wimmer. Das Projekt "Low temperature conversion technique", abgekürzt "Lotecotec", erhält sein Aufgabematerial von elf Kläranlagen aus 16 Gemeinden des südöstlichen Landkreises Regenburg. Anlagenbetreiber ist die Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft des Zweckverbandes zur Abwasserbeseitigung (VBA) im Pfattertal.
Niedertemperaturkonvertierung erzeugt Öl, Gas und Kohle
Der angelieferte, entwässerte Klärschlamm wird zunächst von einem Bandtrockner auf einen Trockensubstanzgehalt von 90 % getrocknet. Anschließend geht es in die von der Firma ZWT Wasser- und Abwassertechnik, Bayreuth, gebaute Niedertemperaturkonvertierungsanlage (NTK-Anlage). In einem Konverter setzt eine chemisch-physikalische Umwandlung den Klärschlamm bei 400 °C unter Ausschluss von Sauerstoff zu Öl, Gas und Kohle um. Die Trennung des Gemisches findet im folgenden Kondenser statt. Das Gas und Anteile des Öls werden zur Beheizung der NTK sofort in der Brennkammer verbrannt. Das Überschussöl fließt in Lagertanks und wird in einem separaten Heizkessel für die Erzeugung von Trocknungswärme genutzt.
Viele Verwertungsideen für NTK-Kohle
Abnehmer der NTK-Kohle ist das Tonwerk Venus in Schwarzach, das sie als Zuschlagsstoff unter die Lehme und Tone mischt. Beim Brand der später hoch Wärme dämmenden Ziegel verbrennt die Kohle rückstandslos und sorgt dabei für die Bildung feiner Poren. "Parallel zu den bestehenden Verwertungswegen suchen wir weitere Einsatzmöglichkeiten der NTK-Produkte", erläutert Dr. Stefan Skrypski-Mäntele, der bei ZWT für die Entwicklung des Lotecotec-Verfahrens verantwortlich ist. So untersucht zum Beispiel die Fachhochschule Gießen-Friedberg als wissenschaftlicher Projektpartner, ob aus der NTK-Kohle auch Phosphor zurück gewonnen werden kann. Der Rohstoff ist wegen seiner weltweit schwindenden, natürlichen Vorkommen in den vergangenen Jahren verstärkt in die Aufmerksamkeit der Kreislaufwirtschaft gerückt. Daneben prüfen die Wissenschaftler, ob sich die Kohle auch zur Rauchgasreinigung oder zur Filtration von pharmazeutischen Rückständen aus Abwässern einsetzen lässt.

"Im Moment geben wir die NTK-Kohle kostenlos an das Tonwerk Venus ab und sind dennoch mit Lotecotec unter dem Strich preiswerter als eine thermische Verwertung des Klärschlamms in einer zentralen Müllverbrennungsanlage", bilanziert Skrypski-Mäntele. "Jeder neue Verwertungsweg, der uns zusätzliche Erlöse bringt, erhöht die Wirtschaftlichkeit unseres Verfahrens nur noch."
Fossile Energieträger und tausende Transportkilometer eingespart
Aus den jährlich anvisierten, in Mintraching zu verarbeitenden 5.000 Tonnen Klärschlamm können rund drei Millionen Kilowattstunden an Wärme gewonnen werden. Dies entspricht ziemlich genau der für die Trocknung und die Niedertemperaturkonvertierung erforderlichen Energiemenge. Die dezentrale Verwertung spart überdies alljährlich mindestens 45.000 Lkw-Kilometer für Klärschlammtransporte zu den zentralen Verbrennungsanlagen sowie zusätzlich 1.000 Tonnen CO2-Ausstoß durch den Ersatz fossiler Brennstoffe ein.
Sludge2energy in Straubing
Als die Anlage in Mintraching im April 2008 in Betrieb ging, fand fast zeitgleich auf dem Klärwerk der Stadt Straubing der Spatenstich des Projekts Sludge2energy statt. Die hier geplante dezentrale, thermische Klärschlammverwertung geht einen anderen Weg als das zuvor vorgestellte Projekt der Lotecotec. In diesem Projekt soll neben Wärme auch Strom gewonnen werden. Entwickelt hat das Verfahren der auf die Behandlung von Trinkwasser, Abwasser und Prozesswasser spezialisierte Maschinen- und Anlagenbauer Hans Huber AG, Berching, zusammen mit dem ATZ Entwicklungszentrum aus Sulzbach-Rosenberg. Der Prozess kombiniert die Pebble-Heater-Technologie mit einer Mikrogasturbine. Die geplante jährliche Behandlungskapazität von 3.000 Tonnen Trockensubstanz wird hauptsächlich gedeckt aus dem Klärschlammanfall der Straubinger Kläranlage. Hinzukommen können darüber hinaus stückige kommunale Bioabfälle, wie zum Beispiel Strauchschnitt, Rechengut oder Kompostierreste.
Schüttschicht als Wärmetauscher
Auch hier beginnt das Verfahren mit der Trocknung des Klärschlamms über einen Bandtrockner. Das teilgetrocknete Material wird anschließend in einer Rostfeuerung verbrannt. Das dabei entstehende, heiße Rauchgas strömt abwechselnd in einen von drei Pebble-Heatern. In den zylindrischen Wärmetauschern befindet sich zwischen zwei Rosten eine Schüttschicht aus Aluminiumoxidkugeln. Das Rauchgas gibt seine Wärme an dieses Material ab, wird dabei bereits teilweise entstaubt und verlässt nach einer weiteren Reinigungsstufe die Anlage über den Kamin. Ist der Pebble-Heater aufgeheizt, wird er mit auf etwa 4 bar verdichteter Luft beaufschlagt – ein Vorgang, der mit "Kaltblasen" bezeichnet wird. Beim Durchgang durch die Schüttschicht erhitzt sich die verdichtete Luft auf über 900 °C.
Mikrogasturbine erzeugt Strom und Prozesswärme
Dieses Heißgas wird zu einer Mikrogasturbine geleitet. Ohne weitere Brennstoffzugabe entspannt sich die Luft in der Turbine und kühlt dabei auf etwa 600 °C ab. Da die Aufheiz- und Kaltblasphasen, sowie die Reinigung nur nacheinander durchzuführen sind, sind für eine kontinuierliche Arbeitsweise mindestens drei Pebble-Heater erforderlich, die gegengleich betrieben werden. Die Turbine treibt sowohl den Verdichter als auch einen Generator zur Stromerzeugung an. Die dabei entstehende Abwärme wird über Wärmetauscher zum Trocknen des Klärschlammes genutzt. Der so erzeugte Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist und vom zuständigen Energieversorgungsunternehmen vergütet. Alles in allem soll der gesamte Prozess der Klärschlammverwertung nahezu energieautark ablaufen und die zu entsorgende Abfallmenge auf etwa ein Achtel des ursprünglichen, entwässerten Klärschlamms reduzieren. Auch in Straubing hofft man, aus der anfallenden Asche in Zukunft noch Phosphor zurückgewinnen zu können. Derzeit sind die für das Projekt erforderlichen Hallen und Infrastruktureinrichtungen im Bau. Der weitere Zeitplan sieht vor, dass im Frühsommer 2009 die ersten Anlagenteile eingebaut werden können, bevor die Anlage dann im Herbst in Betrieb gehen kann.
Beide Verfahren als Leuchttürme in Bayern
"Wir stufen sowohl das Sludge2energy-, als auch das Lotecotec-Verfahren als visionär ein", sagt Dr. Manuela Wimmer vom Umweltcluster Bayern. Um den nationalen und internationalen Vorbildcharakter beider Technologien zu unterstreichen, hat sie das Wirtschafts- und Wissenschaftsnetzwerk mit dem Prädikat "Leuchtturmprojekt" ausgezeichnet.
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Am Mittleren Moos 48
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Fax: 08 21/9 99 87 16
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