Erfahrungen mit dem grabenlosen Auswechseln von Erdkabeln

17.04.2007

Grabenlose Leitungsaustauschverfahren gibt es seit vielen Jahren, vorwiegend für Hausanschlüsse und Netzleitungen. Bis auf das Berstverfahren und das Stahlrohraustreiben mit Erdraketen sind diese Verfahren allerdings mit einem hohen Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Inzwischen wurden mit den von Tracto-Technik entwickelten Überbohrverfahren zum grabenlosen Austausch von Erdkabeln viele gute Erfahrungen gesammelt, die eine weitere Verbreitung dieser Technologie empfehlen lassen.

Bei Erdkabelverlegungen besteht seit langem der Wunsch nach grabenlosen Stromkabelaustauschverfahren, zumal aus den 1960er und 1970er Jahren sehr viele Kabel mit defekten Ummantelungen im Erdreich auf den notwendigen Austausch warten. Kabel mit solchen Isolierungsschäden neigen zu Kurzschlüssen, ihr Austausch ist daher unvermeidlich.
In den vergangenen 10 Jahren wurden daher sechs verschiedene Überbohrverfahren für den grabenlosen Altkabel-, aber auch für den Altleitungsaustausch entwickelt. Schon in den 1990er Jahren wurden Überbohrverfahren zur Marktreife gebracht, mit denen sehr vereinzelte Kabelstrecken überbohrt und ausgetauscht werden konnten. Die Überbohreinsätze hatten jedoch aufgrund von engen technischen Grenzen bei vielen Kabelbettungen, aber auch bei bestimmten Böden und Kabelarten auch eng gezogene Anwendungsgrenzen, so dass manche Einsätze nicht ausgereift bzw. nicht erfolgreich waren.
In Anbetracht der Situation, dass kein Überbohrverfahren für Routineeinsätze - gleich unter welchen Rahmenbedingungen - bestand, hat die Energieversorgungsfirma EnBW, Regionaldirektion Neckar-Alb in Kirchheim/Teck, die Firma Tracto-Technik beauftragt, ein routine-einsatzfähiges Überbohrverfahren zu entwickeln. Das Unternehmen nahm sich des Problems an, entwickelte in den letzten Jahren vier Überbohrverfahren und ließ diese samt Vorrichtungen patentrechtlich schützen. Mit dem TT-Überbohrverfahren wurden auf der EnBW-Versuchsbaustelle gute Ergebnisse erzielt. Auf weiteren Baustellen kam das TT-Überbohrverfahren, nach konstruktiven Optimierungsarbeiten, dann zu vielen Routineanwendungen.
Das Know How sitzt, wie so oft, im Detail der Konstruktion und in einem gekonnten Handling des Überbohrwerkzeuges und des Überbohrvorganges. Die Überbohrköpfe unterscheiden sich ganz wesentlich von den Vorläufern aus den 1990er Jahren und sind weder im Aufbau noch in der Wirkungsweise vergleichbar. Moderne Überbohrköpfe sind extrem schlank gebaut, verfügen über andere Schneid- und Düsenvorrichtungen, haben einen anderen geometrischen Innen- und Außenaufbau, zeigen offene oder geschlossene Führungsstruktur, sind aus hochflexiblen Speziallegierungen gefertigt und haben innen Abweisevorrichtungen, die eine Kabelmantelberührung am Altkabel grundsätzlich verhindern. Zudem werden in sehr hoher Arbeitsgeschwindigkeit auch Wurzeln vom Altkabel bzw. von Altleitungen anderer Art getrennt.
Je nach Art der Altkabelbettung und der Altkabeldimension stehen mittlerweile verschiedene Arten von Überbohrköpfen zur Verfügung. Derzeit geschieht das Altkabelüberbohren vorwiegend mit leichten Pendelbewegungen des Überbohrkopfes. Deshalb bedarf das Bohrgestänge eines besonders festen Verbundes. Die derzeit realisierten Überbohrlängen liegen bei ca. 180 m, zum Austausch kamen bislang 10 kV-, 20 kV- und 60 kV-Kabel.
Entwicklungstand und Praxis
Durch das Überbohrverfahren können in langen, wirtschaftlichen Bauabschnitten Altkabel freigebohrt, gezogen und im Bohrungshohlraum des ehemaligen Altkabels ein Neukabel eingezogen werden. Die Technik des Überbohrens im Verbund mit dem Freilösen des anhaftenden Erdreiches und dem Abweisen von möglichen Näherungs-- elementen (z. B. Kabelabdecksteine) ist durch die spezielle Geometrie des Bohrkopfes, seine Material- und Bewegungstechnik und die dezidierte Düsenanordnung technisch gelöst, ebenso die Kabelbettung des Neukabels im Überbohrloch. Das Bentonit der Bohrspülung wird als Bettungsmedium für das Neukabel in der Alttrasse genutzt. Bentonit, ein quellfähiger Ton, hat viele Vorteile für die Kabeleinbettung:
  • gutes Wärmeableitverhalten
  • sehr weiche und sanfte Einbettung durch feinste und plane Partikelstruktur des Tons
  • deutliche Reibungsreduktion (Sand ist geradezu rau gegenüber Bentonit)
  • kraftschlüssige Bettung durch Nachquellen des Bentonits und damit Aufbau einer sanften Verbundwirkung zur gesamten Einbettungsumgebung
Wie Messungen gezeigt haben, ist die Zugbeanspruchung beim Einzug des Neukabels im Abrollmoment von der Kabelrolle am höchsten, während beim kontinuierlichen Einzug im Bohrloch dagegen wesentlich geringere Zugkräfte vorliegen und nur einen recht geringen Bruchteil des Grenzwertes einnehmen.
Anwendungsfelder
Der Einsatz des Überbohrverfahrens dient nicht nur dem Austausch von Erdkabeln. In gleicher Verfahrensweise und Ausführungstechnik können auch überalterte Stahlleitungen (z. B. für Gas und Wasser), weitgehend geradlinige Leitungen aus Blei, alte Telefonleitungen in Strangform, lineare Metallelemente (Seilanker), aber auch festsitzende Bohrgestänge für Bergungszwecke überbohrt und damit vom Erdreichverbund gelöst werden.
Ablauf des Kabelaustausches
Defekte, freigeschaltete Altkabel werden an zwei Stellen in Baugruben getrennt und jeweils ein Stück herausgeschnitten. Auf der HDD-Maschinenseite wird der am Bohrgestänge angeschraubte Überbohrkopf sehr flach und auf Überfahrhöhe zum Altkabel lageparallel über das Kabel gefahren. Danach wird das ca. 30 cm überfahrene Altkabel mittels Kabelschuh oder Ziehstrumpf und einer Seilverbindung zugfest mit der Halterung verbunden. Der Überbohrkopf wird danach unter links-rechts-schwenkenden Bewegungen über das Altkabel gefahren. Aufgrund dieser Schwenkbewegungen wird das besonders fest verbundene Bohrgestänge in einer Geschwindigkeit von ein bis zwei Meter pro Minute über das Altkabel gefahren. Der TT-Überbohrkopf ist so konstruiert, dass er auch einen schlängelnden Lageverlauf des Altkabels nachfahren kann. Das Altkabel bildet die Zwangsführung für den Überbohrkopf, der in gleichmäßigem Abstand um das Altkabel die anhaftende Sandbettung bzw. das anhaftende Erdreich in einem sehr schmalen Ringkranz freischneidet. Nach Überfahrung der abgetrennten Altkabelstrecke wird der Überbohrkopf vom Bohrgestänge abgeschraubt und ein Ziehstrumpf oder Kabelschuh für den Einzug des Neukabels vorbereitet. In der Zwischenzeit kann das freigebohrte Altkabel von der Startseite her mit einer Seilwinde oder einem Bagger gezogen werden. Exakt in den freigewordenen Altkabelverlauf kann mit dem im Bohrloch befindlichen Bohrgestänge nun das neue Kabel lagegleich eingezogen werden. Keinerlei Bestandspläne müssen hierfür neu eingemessen werden, lediglich das neue Kabel wird im Kartenwerk vermerkt. Sowohl die hohe Austauschgeschwindigkeit (ca. 120 m Kabelüberbohrung in ein bis zwei Stunden) als auch die Einsparung von Vermessungskosten machen das Verfahren besonders wirtschaftlich.
Stahlleitungsaustausch
Ähnlich wie beim Kabelaustausch können verschweißte Stahlleitungen auch über Verbindungswülste hinweg überbohrt und so vom Bettungsverbund gelöst werden. Sollten die Leitungen durch Korrosion geschwächt sein, so kann ein dünnes Bohrgestänge eingefahren werden. Über dieses Innengestänge kann die Altleitung dann abrissfrei ausgezogen werden.
Freibohren festsitzender Bohrgestänge
Abseits vom Kabel- und Rohrleitungsaustausch durch HDD-Überbohren kann bei grabenloser Neuverlegung im HDD-Verfahren ein Bohrgestänge im Untergrund festklemmen. Das Gestänge kann durch das TT-Überbohrverfahren unter Nutzung des Klemmgestänges als Führung einfach wieder freigebohrt werden, so dass die Bohrarbeiten schnell fortgesetzt werden können. Sollte sich beim Rohreinzug die Leitung (z. B. durch Holzeinlagerungen oder Trümmerschutt) einklemmen, so kann sie ebenfalls mit der Überbohrtechnik „befreit“ werden. Ein Herausfahren, Überprüfen und ggf. Austauschen dieser Leitungen gebietet sich danach von selbst.
Nachbettung von Leitungen
Viele Leitungen weisen mit den Jahren Bettungsschäden auf, die vor allem durch Einsandung und ungleiche Verdichtung verursacht werden. Sandkörner des Leitungsbettes und Bodenfeinteile aus den Flanken des ehemaligen Leitungsgrabens können migrieren, das heißt sich unterirdisch verlagern und auf diese Weise zu Defiziträumen in der unmittelbaren Leitungsbettung führen.
Leitungen können sich zudem auch absenken, andere Spannungen aufnehmen und hierdurch ungleiche Lastpunkte erfahren. Desweiteren können sich Hohlräume im Außenbereich der Leitung einstellen, die für Druckleitungen Problemzonen schaffen.
Da das TT-Überbohrverfahren für vorhandene Leitungen völlig beschädigungsfrei eingesetzt werden kann, können solche Leitungen überbohrt und im Rückwärtsgang durch gezielten Austritt von nachfestigender Bentonit-Bindemittel- Bohrspülung schlüssig und wirtschaftlich nachgebettet werden.
Anwendungsbeispiele
Die Baustellenfotos auf dieser Doppelseite zeigen Kabelaustauschanwendungen unter einem Fußgängerverbindungsweg in der Wohnsiedlung Buchhalde in Dettingen/ Erms im Landkreis Reutlingen. Hier mussten defekte 10 kV-Erdkabel aus den 1970er Jahren ausgetauscht werden. Dazu wurden Grundodrill 13 X-Bohranlagen eingesetzt, auf denen TT-Überbohrköpfe mit kurzen, gegenläufig gestellten, kantigen TCI-Schneidbits an der austauschbaren Frontscheibe und mit Innenabweisring zum Einsatz kamen. Die Austauschstrecke unter dem Treppenweg bei Dettingen/Erms umfasste 125 m.
Die weiteren Baustellenbilder auf Seite 44 zeigen einen Einsatzfall in Uelzen/Lüneburger Heide (Bilder 8 und 9). Hier musste ein altes ölgekühltes 60kV-Kabel aus dem Boden entfernt werden; ein Leerrohr zur Aufnahme eines 1kV-Kabels und mehrerer Kommunikationsleitungen wurde statt dessen in der alten Kabeltrasse eingezogen. Die alte Leitung befand in 1,20 m Tiefe unter einer Baumallee zwischen Straße und Gehweg, so dass aufgrund des Baumschutzes schon ein offener Austausch nicht in Frage kam. Die gesamte Ausbaustrecke des Altkabels betrug über 1250 m, der nebenstehend gezeigte Teilabschnitt umfasste 275 m Länge. Die jeweilige Überbohrlänge betrug 100 bis 120 m, wobei alle 30 m eine Zwischengrube ausschließlich zum Entfernen des Altkabels angelegt wurde. Aufgrund des hohen Kabelgewichtes (34 kg/m) und wegen des dünnen Kabelmantels (Ölaustrittgefahr durch Mantelüberstreckung) wurden die kurzen Entfernungsabschnitte gewählt. Auf der gesamten Strecke wurde das Altkabel völlig verletzungsfrei entfernt, in großen Containern gesammelt und zur Wiederaufbereitung abtransportiert. Nicht nur die Auftraggeber- und Auftragnehmerseite waren danach vom Verfahren überzeugt, auch die Umweltbehörde war sehr zufrieden (siehe TIS 12/2006, Seite 52/53).
Ein weiteres Beispiel ist eine Anwendung aus Dornstetten im Landkreis Freudenstadt/ Nordschwarzwald (Seite 44, Bild 12): Dornstetten weist im Stadtgebiet viele halbsteile, aber auch steile Hanglagen auf, welche für die Versorgungsleitungen ungünstige Streckenverläufe nötig machen. Als äußere Rahmenbedingungen galt es hier, die kurzen sommerlichen Kindergartenferien des St. Franziskus-Kindergartens zu nutzen, da ein Abschnitt der Austauschstrecke direkt den Spielgrund mit Kletterbauwerken, Sandflächen, Spielgeräten und Rasenflächen unterquerte. Weiterhin sollten die an der Hangkante oberhalb gelegenen privaten Gartengrundstücke mit ihren Blumen- und Gemüsebeeten möglichst nicht beschädigt werden. Die Bahnlinie nach Freudenstadt, hier auf einem hohen Damm gelegen, sollte hingegen keine Entnahme des unterquerenden Altkabels erfahren, eine parallele Neuquerung war hier gewünscht. Die neue dreiadrige 20 kV-Leitung wurde vom Netzbetreiber aufgrund der eingeschränkten Zugänglichkeit in einem Leerrohr gewünscht.
Mit der Bauausführung wurde das im Nordschwarzwald ansässige, erfahrene Bauunternehmen Horst Jäkle aus Loßburg, beauftragt, das seit vielen Jahren Tracto-Technik- Geräte für den grabenlosen Leitungsbau verwendet. Mit einer 15t-Grundodrill-Bohranlage der Firma Jäkle wurde das Altkabel mit einem speziellen Überbohrkopf an einer Trennstelle überfahren und in mehreren Abschnitten zu je 40 bis 45 Meter Länge überbohrt. Die Abschnittswahl ergab sich aus einer Geländekante und einem Verlegeversprung des Altkabels sowie dem Querungsansatz des Bahndammes. Die Grundodrill-Bohranlage hat einen Abschnitt bergaufwärts des Altkabels überbohrt, die anderen Abschnitte (siehe Bild) erfolgten an der besagten Hangkante und quer unter den Gartenflächen. Im Trassenverlauf musste in einem kurzen Abschnitt ein begleitendes Fremdkabel, Entwässerungsleitungen, eine Wasserleitung und ein Blitzableiter berücksichtigt werden. Der Überbohrvorgang des in 60 bis 90 cm Tiefe gelegenen Altkabels geschah problemlos im bewährten Verfahrensablauf.
Vorteile der neuen Verfahrenstechnik
Im Überbohrverfahren steckt ein erhebliches Anwendungspotential. Bislang konnten Bohrgeschwindigkeiten von bis zu drei Metern pro Minute erreicht werden. Noch größere Längen und Durchmesser werden angestrebt, ebenso die Überbohrung von Tonrohr-, Guss- und Keramikleitungen und deren Austausch. Überbohrverfahren nutzen die Linienführung der alten Leitung, verbrauchen keinen neuen unterirdischen Raum, sind kostengünstig, bergen die Altleitung vollständig und sorgen dank Bentonit und anderen weichen Füllstoffen für eine optimale Leitungsbettung im alten und gleichzeitig neuen Leitungsverlauf. Der grabenlose Kabelaustausch benötigt zudem nur eine minimale Baustelleneinrichtung, da nur punktuelle Eingriffe in die Altleitung erforderlich sind. Die Vorhaltung von Maschinen und Geräten ist ebenfalls minimal.
Die Überbohrtechnik ermöglicht einen umweltfreundlichen Kabelaustausch – Bäume, Grünanlagen sowie Straßen- und Gehwegoberflächen bleiben erhalten bzw. nahezu unberührt. Die Arbeit verläuft unauffällig, geräuscharm und schnell. Durch die Zwangsführung des Altkabels wird keine neue Trasse beansprucht. Das Altkabel kann komplett geborgen und einem Wiederverwertungsbetrieb zugeführt werden. Das Neukabel und eventuelle zusätzliche Datenleitungen benötigen keine neue Vermessungsdokumentation, sondern lediglich eine Eintragung der neuen Leitungsbezeichnung ins vorhandene Planwerk.

Die Neukabel können direkt in die Alttrasse und damit ins Erdreich, aber auch in Schutzrohre oder perforierte Schutzrohre eingezogen werden.
Literatur:
BAYER, H.-J. (2002): Überbohrverfahren zum Austausch von Alt-Kabeln und Alt- Leitungen. Iro-Schriftenreihe Bd. 25, S. 616-618, Vulkan-Verlag, Essen.
BAYER, H.-J. (2004): Grabenloser Kabelaustausch durch Überbohren. ew 4/2004, S. 44-47, VDEW-Energieverlag, Frankfurt/ Main.
BAYER, H.-J. (2005): HDD-Praxis-Handbuch, 196 S., Vulkan-Verlag, Essen.
BAYER, H.-J. (2006): Erdkabelaustausch in geschlossener Bauweise. bi Umweltbau 6/2006, S. 19-21, Kiel.
NAUJOKS, G. (2002): Breite Leistungspalette in der gesteuerten Horizontalbohrtechnik, 3R Int. Heft 1, S. 32-34, Essen.
Tracto-Technik GmbH (Hrsg., 2004): Horizontalspülbohrungen intelligent gelöst. Informationsschrift Fa. Tracto-Technik, 71 S., Lennestadt.

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