Multi-Utility: mehr als nur Versorgungsdienstleistungen

07.02.2005

Die Stadtwerke Schwerte setzen neue Maßstäbe mit einem Verfahren, das die Bündelung von Produktrohren grabenlos ermöglicht.

Die Stadtwerke Schwerte GmbH sind ein Multi-Utility Dienstleister im Ver- und Entsorgungsbereich. "Mit der neudeutschen Bezeichnung Multi- Utility - was für uns nichts anderes bedeutet als 'Alles aus einer Hand' - schmücken sich mittlerweile viele Stadtwerke und überregionale Energieversorger. Wir sind dennoch anders", so Gerhard Visser, Geschäftsführer der Stadtwerke Schwerte GmbH.

Ein Blick auf die Ausgangssituation in Schwerte verdeutlicht, dass man in der 53.000 Einwohner Stadt im südlichen Ruhrgebiet den Begriff "Alles aus einer Hand" ruhig wörtlich nehmen kann. So bieten die Stadtwerke selbst oder über Tochterunternehmen neben Strom, Erdgas, Nahwärme und Wasser auch Telefon, Internet und Kabelfernsehen an. Auch die Straßenbeleuchtung liegt in den Händen des Energiedienstleisters. Abgerundet wird das Angebotsspektrum durch die Übernahme von Entsorgungsaufgaben, so werden z.B. in Neubaugebieten auf Kundenwunsch auch Kanal-Hausanschlüsse mitverlegt.
Bündelprodukte
Die Stadtwerke Schwerte haben bereits Anfang 2000 als bundesweit erster Energiedienstleister so genannte Bündelpakete entwickelt. Unter der Dachmarke RUHRPOWER können die Kunden seither auf Wunsch sämtliche Versorgungsleistungen zu unterschiedlichen Produktbündeln zusammenfassen und über die Stadtwerke aus einer Hand beziehen. Die wettbewerbs- und kartellrechtliche Zulässigkeit dieser Bündelprodukte wurde nach einem mehrjährigen Rechtsstreit mit der Deutschen Telekom AG am 4. November 2003 durch den Bundesgerichtshof in Karlsruhe bestätigt. Neben der Zusammenführung von Einzelprodukten lag es nahe, auch bei der Leitungsverlegung im technischen Bereich gebündelt vorzugehen. Bei der Erstellung von Hausanschlüssen wird diese Vorgehensweise ohnehin seit Mitte der 90er-Jahre praktiziert. Dabei werden zunächst alle Leitungen (Gas und Wasser) und Kabel (Strom, Telefon, Breitbandkabel) in einem Graben verlegt.
Ebenfalls seit langen Jahren gängige Praxis in Schwerte ist die gemeinsame Verlegung aller Sparten in einem gemeinsamen Graben. Zusätzlich werden grundsätzlich Leerrohre bei allen Baumaßnahmen mitverlegt, um damit auch zukünftigen Anforderungen im Telefonie-, Kabel TV- und Multimediabereich in optimaler Weise gerecht werden zu können.

Das Ergebnis war eine effiziente Vorgehensweise beim Leitungsbau, allerdings mit unerwünschten Nebenwirkungen: aufgerissene Strassen, Schmutz und Staub, Anwohnerbelästigung, Verkehrsbeeinträchtigung sowie "Narben in der städtischen Infrastruktur" (Abb. 1).

Seit Mitte der 90er-Jahre setzen die Schwerter Stadtwerke verstärkt innovative und grabenlose (No-Dig) Techniken bei der Leitungsverlegung ein. Neben Burstlining und Relining vor allem das gesteuerte Horizontal-Spülbohrverfahren. Was lag also näher, als eine Rohrbündelung über alle Produktrohre auch in der No-Dig-Technik anzuwenden?

Mehrere Anfragen an renommierte Anbieter und Bohrgerätehersteller hatten leider ein gemeinsames Ergebnis: Es gab kein Verfahren, mit dessen Hilfe alle Anforderungen der Stadtwerke Schwerte an eine gebündelte und grabenlose Rohrverlegung erfüllt werden konnten.
Die Anforderungen im Einzelnen:
  • zeitgleicher Einzug eines kompletten, variablen Rohrbündels in einem Arbeitsgang
  • Berücksichtigung von Gas, Wasser, Strom, Telekommunikation, Breitbandkabel, Leerrohren und gegebenenfalls Abwasser
  • lagerichtiger Einzug aller Rohre, d.h. parallel, in einem exakt definierten Abstand zueinander, und vor allem verdrehungsfrei
  • nachträgliche, einfache Montagemöglichkeit von Absperrarmaturen, Hydranten, Hausanschlüssen etc.
In Anlehnung an den Werbespruch "geht nicht - gibt`s nicht" beschlossen die Verantwortlichen der Stadtwerke Schwerte GmbH im Jahr 1999, sich intensiver mit dem offenbar unlösbaren Problem zu beschäftigen. Martin John als technischem Abteilungsleiter gelang schließlich der Durchbruch: In monatelanger Tüftelei entwickelte er ein Verfahren, welches es erstmals ermöglichte, die gewünschte Bündelung von Produktrohren in der vorher definierten Weise grabenlos zu realisieren.

Nichts desto Trotz stand noch viel Entwicklungsarbeit vor den Ingenieuren der Stadtwerke und ihren Mitstreitern, einem Schwerter Tief- und Rohrbauunternehmen. Insbesondere das Zusammenspiel zwischen Rohrschellensystem und Aufweitköpfen war in der Praxis noch optimierungsbedürftig.
Des Weiteren mussten Fragen zur korrekten Stabilisierung des großdimensionierten Bohrkanals mittels einer ausgeklügelten Bentonitmischung sowie eine tragfähige Ringraumverfüllung zwischen den Rohrbündeln geklärt werden. Auch diese Anforderungen konnten durch entsprechende Praxistests optimal gelöst werden.

Letztendlich galt es nachzuweisen, dass auch nachträgliche Einbauten (Absperrarmaturen, Hausanschlüsse, Hydranten etc.) im Zusammenhang mit der "Parallelen No-Dig-Technik" umsetzbar sind (Abb. 2).

Nach mehr als einjähriger Testphase konnten alle Frage- und Problemstellungen zur Zufriedenheit aller Beteiligten und im Sinne der vorher definierten Anforderungen an das Verfahren gelöst werden.
 
Die "Parallele No-Dig- Technik"
Bei dem neuen Verfahren ist man in der Lage bis zu fünf Rohre für die Versorgung von Gas, Wasser, Strom, Telekommunikation und Breitbandkabel parallel, lagerichtig und in exakt definierten Abständen in einem Arbeitsgang in den Bohrkanal zu einzubringen. Das Einzugssystem verhindert hierbei, nicht nur das Verdrillen der Rohre, sondern sorgt gleichzeitig für eine Verfüllung (Verpressung) der Rohrzwischenräume (Abb. 3).

In Längsrichtung der Rohre werden die speziell entwickelten Flansche aufgebracht, die die Rohre zueinander fixieren, sodass sie sich nicht mehr oder nicht mehr unzulässig zueinander verschieben. Hierdurch wird weiterhin ein wesentlich steiferer Verband der einzelnen Rohre gebildet, der gegenüber Verdrillung und Torsionen sehr viel widerstandsfähiger ist, als die nicht aneinander festgelegten einzelnen Rohre beim herkömmlichen gleichzeitigen Einziehen. Selbstverständlich ist die Ausgestaltung der Erfindung sinngemäß auch auf das Einziehen nur eines Rohres übertragbar, wenn etwa Torsionsbelastungen zu unzulässigen oder nicht wünschenswerten Materialbelastungen führt.
Eine weitere Stabilisierung des parallelen Rohrbündels wird dadurch erreicht, dass an dem rotierenden Bohr-/Spülkopf ein nicht mitrotierender Aufweitkonus angebracht ist. Dieser erlaubt eine genaue Herstellung des Bohrkanals, sodass sich das mit den Flanschen verbundene Rohrbündel beim Einziehen der Rohre flächig an die Wandungen des Bohrkanals anpresst, und an diesem abstützt. Die Stabilisierung des Aufweitkonus wird dadurch erreicht, dass symmetrisch am Umfang verteilt mehrere axiale Aussparungen dafür sorgen, dass der in Längsrichtung des Bohrkanals durchtretende Bohrschlamm die räumliche Lage des Aufweitkonus relativ zu Umgebung stabilisiert.

Der Bohrschlamm wird auf Grund der Druckverhältnisse zwischen Bohr-/ Spülkopf und Aufweitkonus verdichtet und bildet zusätzlich zu der Flächenpressung an den Konusflächen eine nahezu formschlüssige Abstützung des Aufweitkonus. Hierdurch ist sicher gewährleistet, dass das an dem Aufweitkonus befestigte Rohrbündel nicht der vom Bohr-/Spülkopf erzeugten Drehbewegung unterliegt und daher nicht oder nur sehr wenig auf Torsion beansprucht wird.
Das Rohrbündel innerhalb des Bohrkanals wird durch eine weitere Modifikation zusätzlich stabilisiert. Diese Stabilisierung wird dadurch erreicht, dass in den Verbindungsflanschen Überströmöffnungen angebracht sind, sodass der vom Bohr-/Spülkopf erzeugte Bohrschlamm in den zwischen zwei zueinander benachbarten Flanschen gebildeten Raum eintreten kann und diesen mit hohem Druck ausfüllt. Insbesondere wenn dem Bohrschlamm, wie beim Bohr-/Spülverfahren üblich, so genanntes Bentonit zugesetzt wird, wird das Rohrbündel zusätzlich gegenüber möglicherweise noch über den Aufweitkonus hinweg geleitete Torsionsbelastungen abgestützt. Dieses wird im Wesentlichen durch den Druckaufbau des Bohrschlamms bewirkt, der das Rohrbündel in seiner räumlichen Lage zur Umgebung stabilisiert.

Im Ergebnis erreicht man also nicht nur die gleichzeitige Verlegung von Rohren aller Art in nur einem einzigen Arbeitsgang, sondern auch ökologische und ökonomische Vorteile. Höhepunkt der bisherigen Entwicklung war die Erteilung eines Patents für das "Rohrbündel und Verfahren zur Parallelverlegung von Rohren nach dem Bohr-Spülverfahren" im August 2002.
Zukunft und Vermarktung
Mit der Patenterteilung genießt das Schwerter Verfahren umfassende Schutzrechte, die nunmehr eine Vermarktung zulassen. Primär wird angestrebt, die "Parallele No-Dig-Technik" gemeinsam mit einer Schwerter Tiefund Rohrleitungsbaufirma einzusetzen. Auf Grund vorhandener Kontakte kommt neben Deutschland insbesondere der gesamte europäische Raum für Auftragsarbeiten in Betracht. Zusätzlich ist angedacht, die Technik in Kooperation mit weiteren Interessenten aus dem No-Dig Bereich einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Hier sind die Möglichkeiten von der Lizenzvergabe bis hin zum Provisionsmodell vielfältig.

Dem interessierten Fachpublikum wurde die innovative Technik erstmals auf dem Oldenburger Rohrleitungsforum im Februar 2003 vorgestellt. Die Resonanz war überdurchschnittlich hoch, die Bewertungen fielen ausschließlich positiv aus: ... "eine geniale Erfindung", ... "darauf hat die (Versorger) Welt lange gewartet", ... "warum ist früher keiner darauf gekommen" ...

Zur Optimierung der Vermarktungsaktivitäten haben die Schwerter Stadtwerke aktuell eine Infobroschüre sowie einen Patentfilm fertig gestellt.
Aktuelle Projekte
In Schwerte wurden mittels der "Parallelen No-Dig-Technik" in den letzten Jahren einige Kilometer Rohrleitungen effizient, infrastruktur- und umweltschonend verlegt. Insbesondere bei der Sanierung von Graugussleitungen (sog. Gussklasse A-Konzept ), konnten diverse Varianten des Verfahrens eingesetzt werden. Neben der Mitverlegung von mehreren Schutzrohren für Strom, Telefon, Breitbandkabel und Straßenbeleuchtung, wurden auch Abwasserdruckleitungen gleichzeitig mit eingezogen.

Darüber hinaus sind in der Nachbarstadt Dortmund vier Schutzohre zur späteren Aufnahme von Gas- und Wasserleitungen DN 110 in einem Zuge, lagerichtig und verwindungsfrei eingezogen worden.

Nicht nur der schützenswerte Baumbestand, sondern auch die ausgesprochene Steilheit des Geländes sowie der enge Kurvenradius wären auf dieser Baustelle mit keinem konventionellen Tief- und Rohrbauverfahren realisierbar gewesen. Zusätzliche Pluspunkte konnten durch die nur minimalen Anforderungen an den Platzbedarf der Baustelle gesammelt werden. Der Verkehr auf der 3-spurigen Hauptverkehrsstrasse wurde kaum behindert.
Als weitere Referenzprojekte wurden inzwischen gebündelte Leitungsverlegungen in besonders sensiblen Landschaftsschutzgebieten realisiert (Abb. 4).

Bei der in Abbildung 4 gezeigten Baustelle hätte eine konventionelle Leitungsverlegung auf Grund der hohen Anforderungen zum Schutz der Bäume/ Wurzeln erheblich höhere Kosten verursacht als der grabenlose Einzug aller Produktenrohre in einem Arbeitsgang.

Auch innerorts bietet das patentierte "Schwerter Verfahren" eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten, z.B. in engen Wohnstrassen mit wertvollem Baumbestand. Als besonders geeignet erweist sich das "Schwerter Verfahren" in allen sensiblen Bereichen, in denen eine konventionelle Leitungsverlegung entweder gar nicht oder nur mit ungleich höherem Kostenaufwand durchgeführt werden kann, z.B. auf Flughäfen, unter Autobahnen, Flüssen und Gleisanlagen oder bei besonders schwierigen Leitungskreuzungen anderer Versorgungsträger.

Jüngstes Referenzprojekt der "Parallelen No-Dig-Technik" ist eine 250 Meter lange Verlegung der Sparten Gas, Wasser, Telekommunikation und Kabel TV entlang einer viel befahrenen Bundesstrasse. Besondere Schwierigkeiten dabei waren die Dükerung eines Bachlaufs sowie zwei kreuzende Gas-Hochdruckleitungen mit Durchmessern von DN 1000 und DN 300. Die gesamte Verlegemaßnahme konnte dabei in nur vier Arbeitstagen komplett realisiert werden (Abb. 5).


Alle Abbildungen: Stadtwerke Schwerte GmbH

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