Neue Wege bei der Zustandserfassung und Sanierung gemauerter Großprofile

06.08.2007

Ein vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (MUNLV) des Landes Nordrhein-Westfalen bezuschusstes Förderprojekt ermöglichte der Wuppertaler Stadtwerke (WSW) AG, in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro S&P Consult GmbH, Bochum, allgemeine Handlungsanleitungen für die Zustandserfassung und Sanierung gemauerter Großprofile zu entwickeln.

Aufgrund ihres hohen Alters weisen viele Kanäle aus Mauerwerk Schäden auf. Dies birgt erhöhten Handlungsbedarf, da die Standsicherheit geschädigter Kanäle vielfach nicht mehr gewährleistet ist. Die standardisierten Ansätze zur Zustandserfassung, -klassifizierung und -bewertung von werkseitig hergestellten Rohren gehen allerdings nicht ausreichend auf die Besonderheiten von Mauerwerkskanälen ein. Für die Beurteilung gemauerter Kanäle ist eine wesentlich genauere und vielschichtigere Zustandserfassung des Profils, aber auch des umgebenden Baugrundes erforderlich.

In Anbetracht der o.g. Problematik bewilligte das Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (MUNLV) des Landes Nordrhein-Westfalen der Wuppertaler Stadtwerke AG (WSW AG) im Juli 2003 einen Zuschuss zu dem beantragten Förderprojekt "Auswahl, Planung und Durchführung von Sanierungsmaßnahmen in gemauerten Abwasserkanälen am Beispiel der Demonstrationsbaustelle Hauptschmutzwassersammler zwischen Westende und Pumpstation Rutenbeck" [1]. Projektpartner war die S&P Consult GmbH, Bochum (ein Unternehmen der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH).

Ziel des Förderprojektes war die Schaffung bislang nicht vorhandener Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Sanierung begehbarer gemauerter Abwasserkanäle unter Berücksichtigung des Schadenspotentials, der Standsicherheitsuntersuchungen und aller leitungsspezifischen Randbedingungen. Hierfür wurde ein erweitertes Untersuchungsprogramm erarbeitet, welches eine allgemeine Handlungsanleitung für die Sanierung gemauerter Großprofile darstellt.

Als Schwerpunkt dieses Förderprojektes wurde ein theoretischer Ansatz entwickelt, mit dem Sanierungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der im geschädigten System noch vorhandenen Tragreserven zukünftig wesentlich wirtschaftlicher dimensioniert werden können.
Der Förderabschnitt erstreckte sich über 8 Haltungen mit 11 Schachtbauwerken über eine Gesamtlänge von ca. 1,3 km. Der 100jährige Hauptschmutzwassersammler ist in den untersuchten Haltungen überwiegend in der Nennweite DN 2250/1800 vollständig dreilagig gemauert und mit einem Steinzeug-Sohlformstein ausgebildet (Bild 1).

Entwicklung eines erweiterten Untersuchungsprogramms

Die Inhalte der einzelnen Phasen des erweiterten Untersuchungsprogramms werden nachfolgend näher erläutert.

Erweiterte Zustandserfassung

Im Rahmen der erweiterten Zustandserfassung werden über die optische Inspektion hinaus die Geometrie und die Materialkennwerte des Mauerwerkskanals aufgenommen sowie die betrieblichen Randbedingungen als Einflussgrößen für die Sanierungsplanung festgestellt:

  • Optische Inspektion und Schadenserfassung durch Begehung
  • Durchführung von Probebohrungen zur Wanddickenermittlung
  • Durchführung von Probebohrungen zur Kontrolle des Grundwasserstandes
  • Vermessung des Profils
  • Vermessung der Schäden / Aufnahme des Schadensausmaßes (Zustandsklassifizierung)
  • Erfassung der statischen Randbedingungen entlang der Kanaltrasse
  • Entnahme von Bohrkernen zur Kontrolle des Verbundes zwischen Mauerwerk und Mörtel
  • Druckversuche am Klinker und Mörtel - Substanzbestimmung
  • Abwasseranalyse
  • Mörtelanalyse.
Baugrunderkundung

Die erweiterte Baugrunderkundung dient zur Ermittlung der hydrogeologischen Verhältnisse für eine hinreichende Baugrundbeurteilung sowohl für die statische Berechnung als auch für die Sanierungsplanung:

  • Rammkernsondierung: Ermittlung der Mächtigkeit und Abfolge der einzelnen Bodenschichten
  • Rammsondierung: Ermittlung der Lagerungsdichte / des Verdichtungsgrades in der Leitungszone
  • Baggerschurf (wenn verkehrstechnisch möglich): Ermittlung der äußeren Kontur des Kanals, Art und Qualität des Auflagers
  • Entnahme von Bodenproben, Durchführung von bodenmechanischen Untersuchungen im Labor, Herleitung von Eingangsgrößen für die FEM-Berechnung (E-Modul, Querdehnzahl, Kohäsion, Reibungs- und Dilatanzwinkel)

Erweiterte Standsicherheitsuntersuchung

Die erweiterte Standsicherheitsuntersuchung beinhaltet die Simulation und Beurteilung der Standsicherheit im Sinne eines prüffähigen Standsicherheitsnachweises unter Berücksichtigung aller Lasten und Betriebszustände als Grundlage der Sanierungsplanung.

  • Statische Berechnung numerisch (FEM) oder analytisch unter Berücksichtigung der Schäden
  • Spannungs-, Verformungs- und Stabilitätsnachweise.
Erweiterte Untersuchung der Sanierungsvarianten

Die erweiterte Untersuchung möglicher Sanierungsvarianten beinhaltet neben der Prüfung geeigneter Verfahrenstechniken auch folgende Aspekte:

  • Bestimmung der Schadensursachen
  • Statische Betrachtungen für den endgültigen Belastungszustand (unter Einbeziehung des Sanierungsverfahrens)

Sanierungsplanung

Im Rahmen der Sanierungsplanung werden die erzielten Untersuchungsergebnisse für eine nachhaltige und effiziente Sanierung umgesetzt.

  • Planung und Ausschreibung der Sanierungsarbeiten
  • Überwachung der Arbeiten unter besonderer Berücksichtigung der Qualitätssicherung und –kontrolle.
Erweitertes Untersuchungsprogramm in Wuppertal, Erweiterte Zustandserfassung, Inspektion und Zustandsklassifizierung

Die Reinigung und Inspektion der Haltungen und Schächte des Hauptschmutzwassersammlers erfolgte in 2003 durch die WSW AG aufgrund der geringeren Wasserführung in Nachtschichten. Die Vorflutsicherung erfolgte mittels Absperrblasen und Überleitungen der Zulaufkanäle aus den Seitenstraßen, mobilen Schmutzwasserpumpen (max. Pumpenleistung 900 m3/h) und Sandsäcken als Barrieren zur Verhinderung des Zuflusses an den Einsteigschächten. Die Belüftung war innerhalb kurzer Haltungen durch die offenen Schächte ausreichend gegeben. In längeren Haltungen wurde eine Zwangsbelüftung durch ein Belüftungsaggregat eingesetzt. Die Reinigung erfolgte in unmittelbarem Vorlauf zur Begehung mittels maschineller Hochdruckspülung.

Die Inspektion wurde als Begehung durchgeführt, bei der die Schäden mittels Infrarot-Videokamera inklusive Tonaufnahme und Touch-PC aufgezeichnet wurden. Das Aufmaß der Fugen- und Risstiefen erfolgte durch qualifiziertes Fachpersonal, die Aufnahme der Standortposition mittels Messlaufrad.

Die Inspektion der Schächte beinhaltete das Aufmaß der Schächte, das Schachtmaterial, die Art der Abdeckung und der Schachteinbauten sowie die Aufnahme von Schäden im Mauerwerk, in der Schachtsohle und an den Einbauten.

Die inspizierten Schachtbauwerke wiesen mit Fugenkorrosion, Rissen, Grundwasserinfiltrationen und lokalen Fehlstellen im Mauerwerk die gleichen Schäden wie die Haltungen auf.
Aufgrund der festgestellten Schäden und Schadensausmaße waren die untersuchten 8 Haltungen in die Zustandsklassen 0 und 1 gemäß ATV-M 149 [2] einzustufen.

Folgende wesentliche Schäden wurden bei der Inspektion aufgenommen (Bilder 2 bis 4):

Fugenkorrosionen - vornehmlich im Kämpferbereich - in einer Tiefe von zum Teil bis zu 20 cm. Im Scheitel war der Fugenmörtel durchweg gut erhalten. Flächig auftretende Fugenkorrosionen im Kämpferbereich bis zu einer Steintiefe (10 cm) waren insbesondere in Kurvenbereichen des Sammlers festzustellen.

Längsrisse verliefen überwiegend von Schächten ausgehend im Scheitelbereich, jedoch nur wenige Meter in die Haltung hineinragend. Längsrisse innerhalb der Haltung traten nur vereinzelt auf.

Undichtigkeiten in Form von Feuchtigkeit und GW-Infiltrationen wurden uneinheitlich im Kämpfer und in der Sohle angetroffen.

Fehlende Klinker, Klinkerabplatzungen und geringe Verformungen waren nur im Kämpferbereich festzustellen. Auswaschungen der Sohlformsteine verliefen über die gesamte Länge ca. 5 cm breit und 5 - 10 cm tief.

Abzweige mit eingelassenen Steinzeugformteilen waren mit Ausnahme feiner Haarrisse im Wesentlichen schadensfrei. Die verschlossenen Abzweige waren ordnungsgemäß mit einem Deckel verschlossen, jedoch überwiegend undicht. Feuchtigkeit und eindringendes Wasser waren die häufigsten Schadensbilder der verschlossenen Abzweige. Durch die andauernden GW-Infiltrationen war das unterhalb eines verschlossenen Abzweiges liegende Mauerwerk teilweise stark ausgewaschen (Tiefe des ausgewaschenen Mörtels 5 – 10 cm). Die offenen Abzweige waren z.T. mit Rissen versehen und ohne sichtbare Verstopfung in Betrieb. Die offenen Stutzen waren häufig nicht fachgerecht eingebaut, einragend und teilweise verstopft.

Bauwerksuntersuchungen zur Erfassung des Ist-Zustandes

Zur Bestimmung der geometrischen und materialspezifischen Kennwerte als Eingangsparameter für die statische Berechnung erfolgten Wanddickenermittlungen und Bohrkernentnahmen in den Haltungen und Schachtbauwerken. Vor jeder Bohrkernentnahme wurde zunächst eine Wanddickenmessung in unmittelbarer Nähe auf einer Kämpferseite (rechts / links) im Wechsel durchgeführt. Dazu wurde mit einem ca. 50 cm langen Bohrer die komplette Wandung durchbohrt und nach dem eindeutig zu erkennenden Übergang zwischen Wandung und dem umgebenden Boden die Länge des Bohrloches im Mauerwerk abgemessen. Hierdurch konnten gleichzeitig die anstehenden Grundwasserstände ermittelt werden. Zur Vermeidung eines unkontrollierten Grundwassereintrittes durch die anschließende Bohrkernentnahme mit einem Durchmesser von 150 mm erfolgte diese nur über die Tiefe der beiden inneren Schalen (Tiefe ca. 20 cm) (Bilder 5 bis 7).

Anhand der insgesamt 56 entnommenen Bohrkerne erfolgte die Einteilung in Mauerwerksfestigkeitsklassen gemäß DIN 1053-1 [3]. Dabei wurde die zulässige Druckspannung bei dem vereinfachten Verfahren durch den Grundwert s0 in Abhängigkeit von der Steinfestigkeitsklasse, der Mörtelart und der Mörtelgruppe nach Tabelle 4a [3] festgelegt. Auf Basis der erzielten Mittelwerte konnte der geprüfte Mörtel nach Tabelle A.2 [3] der Mörtelgruppe MG III zugeordnet werden.

Baugrunderkundung

Es wurden insgesamt 10 Rammkernsondierungen mit parallel angesetzten Rammsondierungen mit leichtem bzw. mittelschwerem Gerät zur Erkundung der oberflächennahen Schichtenfolge und zur Bestimmung der Festigkeit und Lagerungsart der anstehenden Materialien ausgeführt.

Die Festlegung der Ansatzpunkte erfolgte unter der Zielstellung, dass die seitliche Bettung des Hauptschmutzwassersammlers als wesentliche Zone des Baugrundes für die Ermittlung der Standsicherheit des Kanals hinreichend erfasst wird. Die Auswertung sämtlicher Rammsondierungen zeigte über die im Rahmen dieses Förderprojektes zu betrachtenden Trassenabschnitte sehr inhomogene Bodenverhältnisse hinsichtlich der vorhandenen Bodenarten und zusammensetzungen sowie der ermittelten Lagerungsdichten.
Zur genaueren Erkundung der Bettungszone des Hauptschmutzwassersammlers wurde im Anschluss an die Rammsondierungen ein Baggerschurf abgeteuft (Bild 8).

Innerhalb dieses Schurfes wurde die Wandung des Sammlers einseitig bis zu einer Tiefe von 5,2 m unter GOK freigelegt (Bild 9). Die Sohltiefe des Sammlers lag im Bereich des Schurfes bei ca. 6,0 m unter GOK. Unmittelbar seitlich des Kanals war ein deutlich abgegrenzter Bereich, offenbar der frühere Arbeitsraum, mit einer Breite von 0,7 bis 0,8 m erkennbar. Die Verfüllung bestand aus einem schwach tonigen, kiesigen Schluff, der auch außerhalb dieses Arbeitsraumes als gewachsener Boden angetroffen wurde. Ungefähr ab Kämpferhöhe des Sammlers konnte zunehmend eine Verkleinerung dieses Arbeitsraumes festgestellt werden. Hieraus ist abzuleiten, dass der Hauptschmutzwassersammler im Sohlbereich gegen den zuvor vorgeformten gewachsenen Boden, demnach ohne Arbeitsraum, hergestellt wurde. Ab einer Tiefe von 5,7 m wurde Flussschotter mit Hinweisen auf Grundwasserführung durch eine Bohrsondierung angetroffen.

Bodenmechanische Kennwerte für die statische Berechnung

Aufgrund der sehr heterogenen Baugrundverhältnisse mit unterschiedlichen Bodenarten und -kennwerten in der Leitungszone und dem gewachsenen Baugrund war eine genaue Festlegung von bodenmechanischen Kennwerten für eine statische Berechnung auf Grundlage der vorhandenen Datenbasis nicht möglich, so dass eine Grenzbetrachtung unter Variation der Bettungsbedingungen durchgeführt wurde. Diese umfasste neben der Variation von zwei unterschiedlichen Bodenarten für die Grabensohle zusätzlich die Variation von wiederum zwei verschiedenen Arbeitsraumverfüllungen für die seitliche Bettung.

Erweiterte Standsicherheitsuntersuchung

Die statische Berechnung des Querschnittes wurde nach der Methode der Finiten Elemente (FEM) als ebenes Modell unter der Voraussetzung eines ebenen Verzerrungszustandes (plane strain) mit dem Computer-Programm Plaxis durchgeführt. Dabei handelt es sich um ein zweidimensionales FEM-Programm, welches besonders auf die Durchführung von Verformungs- und Stabilitätsberechnungen für geotechnische Problemstellungen ausgelegt ist. Das Berechnungsmodell erfasst neben dem Kanalquerschnitt den umgebenden Baugrund, der sich nach oben grundsätzlich bis zur Geländeoberkante erstreckt.

Unter Ansatz der ermittelten Materialkennwerte des Mauwerks und der nachfolgenden vier Grenzfälle für die Bettungsbedingungen wurden sowohl für den ungeschädigten Querschnitt DN 2250/1800 als auch unter Berücksichtigung vorhandener statisch relevanter Schäden statische Berechnungen durchgeführt.

Variation der Grabensohle:

  • Auflagerung im festen Fels
  • Auflagerung in tragfähigem quartären Lockergestein

Variation der seitlichen Bettung:

  1. Gut tragfähiger gemischt- bzw. grobkörniger Boden (z.B. Flussschotter oder Felsschutt); hohe Steifigkeit und Scherfestigkeit
  2. Feinkörnige, zum Teil organische Böden; geringe Steifigkeit und Scherfestigkeit.
Statische Berechnung des ungeschädigten Querschnittes DN 2250/1800

Bild 10 zeigt das zugehörige FE-Netz mit den verschiedenen Bodenschichten. Nach der 0,36 m mächtigen Schwarzdecke/Packlage folgt die Hauptverfüllung mit Bodenkennwerten der Bodengruppe G3 nach Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127 [4].

Als maßgebender Lastfall hat sich der Lastfall ohne Berücksichtigung von Grundwasser mit der maximalen Sohltiefe von 8,14 m und unter Ansatz der Verkehrslast SLW 60 herausgestellt. Maßgebende bodenmechanische Kenngrößen bei der Grenzbetrachtung waren hierbei die Auflagerung im Lockergestein in Verbindung mit einer seitlichen Bettung mit geringer Steifigkeit bzw. Scherfestigkeit.
Bei der Ermittlung der Standsicherheit des ungeschädigten Querschnittes DN 2250/1800 wurden alle Nachweise erfüllt. Der ungeschädigte Querschnitt war demnach als ausreichend standsicher einzustufen.

Statische Berechnung der Querschnitte unter Berücksichtigung der vorhandenen statisch relevanten Schäden

Im Anschluss an die Berechnung der ungeschädigten Querschnitte wurden die bei der Inspektion der Teilabschnitte des Hauptschmutzwassersammlers festgestellten vorhandenen Schäden implementiert. Die statisch relevanten Schäden stellten im wesentlichen Fugenkorrosion und Längsrisse im Scheitel, Kämpfer und in der Sohle dar.

Die Tiefe der Fugenkorrosion und deren Ausdehnung über den Umfang variierten in den begutachteten Querschnitten so stark, so dass bei der statischen Berechnung zwei Varianten betrachtet wurden:

Variante A: Annahme einer Fugenkorrosion lokal im Kämpferbereich mit verschiedenen Tiefen zwischen 5 und 15°cm,
Variante B: Annahme einer Fugenkorrosion über den gesamten Querschnitt mit verschiedenen Tiefen zwischen 5 und 15°cm,
 

Dies wurde im Wesentlichen über die Variation der Materialkennwerte simuliert. Alle durchgeführten Berechnungen unter

Berücksichtigung vorhandener Fugenkorrosion gingen von den maßgebenden, ungünstigsten Bodenverhältnissen aus.
Bei der Berücksichtigung der Korrosion lokal im Kämpferbereich wurde die Korrosionstiefe in 5 cm Schritten variiert. Unter Annahme der ungünstigsten Bodenbedingungen konnte die Standsicherheit des Querschnittes bis zu einer Korrosionstiefe lokal im Kämpferbereich bis zu 15 cm nachgewiesen werden. Größere Korrosionstiefen führten zu einer Überschreitung der zulässigen Druckfestigkeit im Mauerwerk.

Bei der Betrachtung der Korrosion über den gesamten Querschnitt ist der Kanal bis zu einer Korrosionstiefe von 5 cm unter den angenommenen ungünstigsten Bodenverhältnissen noch standsicher. Eine Korrosion des Fugenmörtels über den gesamten Umfang des Querschnittes mit Korrosionstiefen zwischen 5 bis 15 cm wurde zwar nicht bei der Inspektion der zu untersuchenden Teilabschnitte festgestellt, sind jedoch im Hinblick auf die Zukunft nicht auszuschließen.

Bei der Implementierung der Längsrisse in den Viertelspunkten wurden die zulässigen Druckspannungen im Mauerwerk grundsätzlich eingehalten. Lediglich auf der Innenseite des Querschnittes im Bereich des Kämpfers lagen die Druckspannungen im Mauerwerk in einem Bemessungsfall geringfügig (~0,8 %) über dem zulässigen Grenzwert. Da die Überschreitung dieser zulässigen Druckspannung im Mauerwerk lokal begrenzt und lediglich an der Oberfläche auftrat, ist nicht von einer Beeinträchtigung der Standsicherheit bei den vorausgesetzten Randbedingungen auszugehen.

Entwicklung eines statischen Modells zur Berücksichtigung einer Verbundtragwirkung zwischen Altkanal und Sanierungsverfahren

Ausgangspunkt für die Entwicklung des im Folgenden dargestellten statischen Modells war die bislang ungelöste Quantifizierung der Standsicherheit schadhafter gemauerter Kanäle unter Berücksichtigung der Schadensart und des Schadensausmaßes sowie insbesondere der Verbundwirkung zwischen Altkanal und Sanierungsverfahren.

Mit dem im Rahmen des vorliegenden Förderprojektes entwickelten theoretischen Ansatzes ist es möglich, die Sanierungsmaßnahme unter Berücksichtigung der im geschädigten System noch vorhandenen Tragreserven wesentlich wirtschaftlicher zu dimensionieren. Hierfür kommen jedoch nur Sanierungsverfahren in Betracht, die es auch nach erfolgter Sanierung erlauben, das Tragverhalten der Altkanalstruktur weiterhin sicher zu beurteilen. Darüber hinaus eignen sich nur solche Verfahren, die einen sofort wirksamen Tragverbund mit dem alten System eingehen, so dass Altkanal und Sanierungsmaßnahme unmittelbar nach der Sanierung als ein einheitliches Verbundsystem aufgefasst werden können.

Für den auf dem Förderabschnitt vorhandenen gemauerten Querschnitt DN 2250/1800 war sowohl für den ungeschädigten Zustand als auch unter Implementierung der vorhandenen statisch relevanten Schäden eine ausreichende Standsicherheit nachgewiesen worden. Dieser Querschnitt konnte deshalb nicht für die Modellberechnungen herangezogen werden. Aufgrund dessen wurden bei den Berechnungen insgesamt drei für Mauerwerkskanäle typische Querschnittsformen (Eiprofil DN 900/1350, Kreisprofil DN 1000, Birnenprofil DN 2000/2500) berücksichtigt. Zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit wurden die statischen Randbedingungen wie Überdeckung, Bodenkennwerte und Verkehrslast bei allen Profilen gleich angesetzt.

Die Abmessungen (insbesondere Wanddicke) und die Werkstoffkennwerte (insbesondere Druckfestigkeit) der Profile wurden in Abhängigkeit von den Einwirkungen mit Absicht so gewählt, dass im ungeschädigten Zustand der Nachweis der Standsicherheit nur knapp geführt werden kann. In die statischen Modelle der auf diese Weise künstlich erzeugten aber dennoch realitätsnahen Profile wurden in der Folge verschiedene Schäden implementiert, deren Auswirkungen auf die Standsicherheit sowie die statische Wirkung der Sanierung unter Variation der Verbundwirkung ermittelt.

Zur Sicherstellung der Umsetzbarkeit der Untersuchungsergebnisse auf dem Förderabschnitt musste eine bereits auf dem Markt befindliche Sanierungstechnik gewählt werden, mit der sich verfahrenstechnisch eine Verbundtragwirkung mit dem vorhandenen gemauerten Kanal erzielen lässt. Mit dem Einsatz des Noppenschlauch-Linings (Grundsystem ohne Preliner) wurde diese Voraussetzung erfüllt.

In Abhängigkeit von Anzahl und Art der installierten PE-Schläuche unterscheidet man verschiedene Systeme. In den drei genannten Querschnitten wurden jeweils die beiden nachstehenden Systeme, nachfolgend Linersysteme genannt, untersucht:

  • 19 mm Doppelsystem mit einer Gesamtwanddicke von 42 mm (Bild 11) und
  • Vollwandsystem mit einer Wanddicke von 100 mm.

Die Entwicklung des Modellansatzes erfolgte ebenfalls mit dem FEM-Programm Plaxis. Ein wesentlicher Bestandteil des hier entwickelten Berechnungsmodells war, dass die Verbundwirkung zwischen dem Liner und dem Altkanal veränderbar blieb, da die Übertragbarkeit auftretender Schubspannungen stark von der Oberfläche des Altkanals und dem eingesetzten Liner abhängt.

Die Berechnungen beinhalteten insgesamt 5 Phasen:

Berechnungsphase Beschreibung Belastung aktives Bauwerk
Phase 1 Altkanal unter Eigengewicht nur Eigengewicht nur Altkanal
Phase 2 Aktivierung der Verkehrslast EG + SWL 60 nur Altkanal
Phase 3 Deaktivierung der Verkehrslast nur Eigengewicht nur Altkanal
Phase 4 Einbau des Liners nur Eigengewicht Altkanal und Liner
Phase 5 Aktivierung der Verkehrslast EG + SWL 60 Altkanal und Liner

 

Ein Maß für die Größe der statischen Ertüchtigung des Mauerwerkskanals durch den Einbau des Sanierungsverfahrens ist die daraus resultierende prozentuale Abnahme der maximalen Druckspannungen im Mauerwerk. Die größte Abnahme in Höhe von 21 % konnte beim Kreisquerschnitt nach Einbau eines 100 mm Vollwandsystems nachgewiesen werden (Bilder 12 und 13).

Bei allen drei berechneten Querschnitten nahmen die Spannungen im 19 mm Doppelsystem bei steigender Verbundtragwirkung zu. Beim 100 mm starken Vollwandsystem war genau der gegensätzliche Effekt zu beobachten, da das wesentlich stabilere Vollwandsystem in der Lage ist, bei größerer Verbundtragwirkung gemeinsam mit dem Altkanal die vorhandenen Belastungen aufzunehmen und die Gesamtbeanspruchung zu senken.

Als Ergebnis der durchgeführten Berechnungen lässt sich formulieren, dass sich unter Berücksichtigung der Verbundtragwirkung zwischen Altkanal und Liner eine Erhöhung der rechnerischen Standsicherheit des Gesamtsystems bei geringerer Dimensionierung des Liners einstellt. In der Praxis muss diese Verbundtragwirkung in Abhängigkeit des eingesetzten Sanierungsverfahrens und der Oberfläche des Altkanals gesichert vorausgesetzt werden, um sie bei der Berechnung ansetzen zu können. Dies würde in jedem Fall zu einer Reduzierung der Wanddicke des Liners im Altkanal führen.

Sanierungsplanung

Durch den Nachweis einer ausreichenden Tragfähigkeit des untersuchten Querschnittes DN 2250/1800 bestand die Möglichkeit,

  • Sanierungstechniken zu erproben, welche das entwickelte statische Modell für eine Berechnung der Standsicherheit des Altkanals unter Berücksichtigung einer Verbundtragwirkung mit dem Sanierungsverfahren ermöglichen und
  • Sanierungstechniken einzusetzen, welche weitestgehend die Substanz des Altkanals erhalten und dabei noch vorhandene Tragreserven (Resttragfähigkeit) des Altkanals nutzen.

Zur Umsetzung dieser definierten Ziele des Förderprojektes erfolgte die Ausführungsplanung für die Anwendung folgender Sanierungsverfahren :

  • Fugensanierung und Injektion von Rissen und Grundwasserinfiltrationen,
  • Beschichtungsverfahren mit keramischer Sohlenauskleidung,
  • Noppenschlauchverfahren mit Fugenverfüllung.

Eine Sanierung mittels Fugensanierung und Injektion von Rissen und Grundwasserinfiltrationen wurde in 8 Haltungen über eine Länge von ca. 1,2 km eingesetzt, das Beschichtungsverfahren mit keramischer Sohlenauskleidung und das Noppenschlauch-Lining über jeweils 50 m.

Die erstgenannten auf dem Förderabschnitt erfolgreich eingesetzten Sanierungsverfahren bleiben, da sie zu den bereits erprobten Verfahrenstechniken gehören, an dieser Stelle ohne weitere Ausführungen. Nachfolgend wird anhand einer kurzen Baustellendokumentation die Ausführung des Trolining®-Systems als ein Vertreter des Noppenschlauch-Linings dargestellt, da es der Erprobung des im Rahmen dieses Förderprojektes entwickelten statischen Modells diente Bilder 14 bis 17).

Bauausführung

Der Einbau des Trolining®-Systems erfolgte zur Erzielung einer Verbundtragwirkung zwischen Altkanal und Auskleidung ohne Preliner, so dass der Injektor beim Verfüllen des Ringraumes direkten Kontakt zum vorhandenen Mauerwerk erhielt. Zur Untersuchung der zu erzielenden Verbundtragwirkung wurde das Mauerwerk nach der Reinigung mittels Hochdruckwasserstrahlen mit einem maximalen Spüldruck von 150 bar an ausgewählten Stellen z.B. durch ein Herauslösen einzelner Klinker oder zusätzlich vorbereitet.

Nach Fertigstellung des Trolining®-Systems wurden die erzielten Ergebnisse anhand von Bohrkernentnahmen bis in die zweite Mauerwerksschale hinein dokumentiert (Bild 18). Es ist zu erkennen, dass die Hohlräume nahezu vollständig vom Injektor ausgefüllt wurden.

Die erzielte Ausführungsqualität lässt die Aussage zu, dass sich bei dem auf dem Förderabschnitt eingesetzten Noppenschlauch-Lining mit Fugenverfüllung die bei der statischen Modellentwicklung berechnete Verbundtragwirkung zwischen Sanierungsverfahren und Altkanal tatsächlich eingestellt hat.

Fazit

Ziel dieses Förderprojektes war es, Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Sanierung begehbarer gemauerter Abwasserkanäle zu schaffen. Ein wesentliches Kriterium hierbei ist die Überprüfung, in welchem Maße die Standsicherheit des Kanals noch gegeben ist.

Bisher erfolgte die statische Abschätzung der Standsicherheit allein durch eine optische Bewertung der vorhandenen Schäden, was in der Regel zur Folge hat, dass bei vorhandenen statisch relevanten Schäden die Standsicherheit des Kanals als nicht mehr ausreichend eingestuft wird.

Mit der hier entwickelten erweiterten Zustandserfassung kann die rechnerische Tragfähigkeit eines gemauerten Kanals mit einer Implementierung vorhandener Schäden und unter Berücksichtigung einer eventuell mittragenden Wirkung des Baugrundes nachgewiesen werden.

Auch eine lediglich nachzuweisende "Resttragfähigkeit" des Altkanals sollte unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in die Sanierung mit einbezogen werden, was jedoch bisher rechnerisch und auch verfahrenstechnisch nicht möglich war. Entsprechende Untersuchungen im Rahmen dieses Förderprojektes in Form einer statischen Modellentwicklung und seiner Umsetzung durch angewandte Sanierungsverfahren führten zu folgenden Ergebnissen:

Mit dem hier entwickelten Berechnungsmodell ist eine Verbundtragwirkung zwischen Liner und gemauertem Altkanal rechnerisch nachweisbar und verfahrenstechnisch möglich. Im Falle einer zumindest vorhandenen "Resttragfähigkeit" des Altkanals kann mit einfachen, händischen Verfahren, wie z.B. Fugensanierung, Rissinjektion etc., eine nachhaltige Sanierung gemauerter Kanäle erreicht werden.

Durch diese Ergebnisse wurden erstmals die Voraussetzungen geschaffen, gemauerte Großprofile wirtschaftlicher als bisher durch Einbeziehung ihrer vorhandenen Substanz zu sanieren.

Anhand von Gesprächen mit Nachbarkommunen zeigte sich, dass das Projekt einen Anstoß zur Sanierung von gemauerten Kanälen geben konnte. Es lässt sich insbesondere erkennen, dass ein Umdenken zum Erhalt des Mauerwerks stattgefunden hat, so dass dieses Förderprojekt in der Tat Pilotcharakter für viele zukünftige Sanierungsmaßnahmen haben wird.

Literatur
[1] Abschlussbericht zu dem Förderprojekt "Auswahl, Planung und Durchführung von Sanierungsmaßnahmen in gemauerten Abwasserkanälen am Beispiel der Demonstrationsbaustelle Hauptschmutzwassersammler zwischen Westende und Pumpstation Rutenbeck", Juli 2006.
[2] ATV-M 149: Zustandserfassung, -klassifizierung und bewertung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden (04.99).
[3] DIN 1053-1 Mauerwerk, Teil 1: Berechnung und Ausführung.
[4] ATV-DVWK-M 127-2: Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserkanälen und -leitungen mit Lining- und Montageverfahren Ergänzung zum Arbeitsblatt ATV-A 127 (01/00).

 

Kontakt

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