Risiken bei der Verlegung von Stahlrohren großer Durchmesser - Qualitätssicherungssysteme für großkalibrige Horizontalbohrungen

02.05.2007

Die Qualitätssicherung gewinnt bei der Planung und Ausführung von Horizontalbohrungen vor allem mit zunehmenden Bohrungsdurchmessern und -längen entscheidend an Bedeutung. Ein speziell auf diese Vorhaben abgestimmtes Qualitätssicherungsprogramm soll die Ausführungsrisiken solcher Projekte minimieren.

Im Bereich der gesteuerten Horizontalbohrtechnik (HDD) ist insbesondere in den vergangenen Jahren eine Tendenz zu immer ehrgeizigeren Projekten zu verzeichnen. So werden mittlerweile sogar für großkalibrige Bohrungen (>DN 1000) Haltungslängen von weit über 1.000 m geplant und realisiert. Auch wenn für den dabei vorherzusehenden Anstieg der Zugkräfte theoretisch bereits ausreichende Rig-Kapazitäten zur Verfügung stehen, lassen die Erfahrungen aus jüngsten Projekten vermuten, dass für eine erfolgreiche Ausführung solch großer Bohrungen eine Reihe von Aspekten der HDD-Technik eingehender betrachtet werden müssen.
Wiederholte Beschädigungen an den Leitungsumhüllungen, unzulässig hohe Kräfte während des Einzugs, bis hin zum Festwerden der Rohrleitung und folglich teilweise der Aufgabe von Bohrungen verdeutlichen das erhebliche Ausführungsrisiko im Zusammenhang mit großkalibrigen und langen Bohrmaßnahmen. Auch auf Seiten der Bauherrn werden diese Probleme verstärkt wahrgenommen, was mitunter zu einer wachsenden Skepsis gegenüber dem zukünftigen Einsatz dieser Bauweise führt.
Um die Risiken bei derartigen Vorhaben bereits im Vorfelde minimieren zu können und damit die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Ausführung zu steigern, wird zurzeit ein mehrstufiges Qualitätssicherungsprogramm erarbeitet. Ziel dabei ist es, bereits in der ersten Planungsphase anzusetzen und im Weiteren sämtliche Schritte eines Projekts zu begleiten. Wichtigstes Element wird dabei eine Eingangsbewertung in Form eines „HDD Assessment Sheet“ sein, mit dem das Ausführungsrisiko der Maßnahme anhand von ausgewählten Kriterien frühzeitig abgeschätzt werden kann. So wird der Bauherr in die Lage versetzt, mögliche Risiken aus dem Einsatz der Horizontalbohrtechnik für sein Bohrvorhaben rechtzeitig abzuschätzen und bei Bedarf fachkundigen Rat hinzuzuziehen.
Typische bohrtechnische Probleme
Ein zentrales Problem bei der Ausführung von großkalibrigen Bohrungen für wenig elastische Rohre ist häufig das unbeabsichtigte Unterschreiten der erforderlichen Auffahrradien. Durch die im Verhältnis erheblich höhere Biegesteifigkeit von Stahlrohren zunehmender Durchmesser steigen die Mantelreibungskräfte beim Einzug der Leitung bereits bei geringfügigen Abweichungen von den geforderten Auffahrradien so stark an, dass es als Folge zu erheblichen Beschädigungen der Rohrumhüllung und sogar zum Festwerden der Rohrleitung kommen kann.
Überlagert wird diese Problematik vor allem im Bereich der Gasfernleitungen durch die zunehmend größeren Auslegungsdrücke und damit häufig auch Rohrwandstärken, da bei Neubau-Projekten bereits heute entsprechende Reserven für den prognostizierten Bedarf an zusätzlicher Gastransport-Kapazität vorgehalten werden. Auch wenn die Wandstärke im Hinblick auf die Rohrleitung ohne Einfluss auf die auszuführenden Biegeradien ist, werden jedoch die vom Boden aufzubringenden Reaktionskräfte durch den Anstieg der Biegemomente signifikant gesteigert. Folglich ist der minimale zulässige Biegeradius nicht nur allein durch die Eigenschaften des Rohrs, sondern in wachsendem Maße auch durch die des umgebenden Bodens limitiert.
Daraus resultierend ergeben sich mit größerem Kaliber rechnerisch immer flachere Bohrgradienten, so dass die auszuführenden Radien häufig bereits größer sind, als sie mit Hilfe derzeit üblicher Steuerungssysteme überhaupt messtechnisch erfasst und demzufolge in der Praxis oftmals auch nicht kontrolliert realisiert werden können. Bereits für eine Rohrleitung mit dem Nenndurchmesser DN 1000 nimmt der erforderliche Biegeradius Werte an, die den Einsatz besonderer Ortungs- und Steuersysteme erforderlich macht. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass eine isolierte Betrachtung der horizontalen und vertikalen Abweichungen von der geplanten Bohrgradiente nicht genügt, um die Belastung der Rohrleitung und somit auch die beim Einzug der Leitung wirkenden Kräfte zu bewerten. Vielmehr ist grundsätzlich der effektive Biegeradius der Leitung als Resultierende aus horizontaler und vertikaler Abweichung zu ermitteln.
Die hier geschilderte Problematik verkompliziert sich zusätzlich, wenn nicht nur die Ausführung der Pilotbohrung, sondern auch die der Aufweitgänge berücksichtigt werden. Ein häufig angeführtes Argument, dass eventuelle Ungenauigkeiten bei der Ausführung der Pilotbohrung durch das Räumen „begradigt“ werden, kann hier nicht generell bestätigt werden. Vielmehr besteht durchaus die Möglichkeit, dass auch bei einer einwandfrei ausgeführten Pilotbohrung durch fehlerhafte Auswahl, Kombination oder Folge der Räumwerkzeuge erhebliche Verformungen des Bohrlochquerschnitts herbeigeführt werden können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die gewählten Räumwerkzeuge bei den verschiedenen Räumgängen nicht verlässlich im Bohrloch zentriert werden oder das Zentrierwerkzeug nicht mit dem zuvor hergestellten Durchmesser des Bohrlochs korrespondiert. Als Folge kann ein unregelmäßiger und auch umlaufender Mehrabtrag an den Bohrlochwandungen zu einem Mäandrieren der endgültigen Bohrung um die ursprüngliche Gradiente führen. Dieser Effekt kann sich weiter verstärken, wenn die im Verlauf der Bohrung vorliegenden Bodeneigenschaften variieren oder sogar verschiedene Bodenschichten durchfahren werden.
Abbildung 1 zeigt hierzu beispielhaft die theoretisch möglichen Querschnitte eines mehrfach aufgeweiteten Bohrlochs. Nach einem fehlgeschlagenen ersten Einziehversuch konnte der Rohrstrang im vorliegenden Fall erfolgreich aus dem Bohrloch geborgen werden und weitere Räumgänge schlossen sich bis zum endgültigen Einzug an. Es ist zu erkennen, wie die Form und Größe des Bohrlochquerschnitts bei einer fehlenden oder wirkungslosen Zentrierung der Werkzeuge im Extremfall um ein Vielfaches des angestrebten Nenndurchmessers variieren kann. Obwohl dieser unkontrollierte Materialabtrag beim Aufweiten eigentlich durch ein sorgfältiges Auswerten der Massenbilanzen aller Räumvorgänge überwacht werden sollte, wird diese Kontrolle in der Praxis leider häufig vernachlässigt.
Mehrstufiges Qualitätssicherungsprogramm in Vorbereitung
Um den hier geschilderten Problemen effektiv vorbeugen zu können, entwickeln die Verfasser zurzeit ein speziell auf großkalibrige Bohrungen abgestimmtes, mehrstufiges Qualitätssicherungsprogramm. In einer ersten Stufe soll an Hand eines „HDD Assessment Sheet“ eine einfache Risikobewertung geplanter Horizontalbohrprojekte vorgenommen werden. Diese Bewertung wird von den Projektingenieuren des Bauherrn an Hand der grundsätzlichen Projektdaten (Länge, Durchmesser, Rohrmaterial etc.) einfach zu nutzen sein und im Ergebnis zu einer Einteilung der geplanten Projekte in niedrige, mittlere oder hohe Baurisiken führen.
Für die Vorhaben, welche nach dieser ersten Bewertung zu einer hohen Risikoeinschätzung geführt haben, wird in den folgenden beiden Stufen eine projektspezifische Risikobehandlung an Hand eines präzisen Qualitätssicherungssystems vorgeschlagen. Während in der zweiten Stufe die relevanten Aspekte der Planung berücksichtigt werden, sollen in der dritten Stufe die während der Bauausführung notwendigen Qualitätssicherungsmaßnahmen angewendet werden. In der abschließenden vierten Stufe wird der oft vernachlässigte Bereich der Projektdokumentation behandelt.
Als ein wesentlicher Beitrag zur Qualitätssicherung von HDD Maßnahmen während der Bauausführung wird die Kontrolle der Pilotbohrung angesehen. Hierdurch lässt sich nicht nur die qualitätsgerechte Ausführung der Arbeiten dokumentieren, vielmehr können bereits frühzeitig Informationen über eventuelle Risiken im Verlauf der weiteren Aufweitgänge und des Rohreinzugs abgeleitet werden.
Prinzipiell können zur Ermittlung der Bohrungsachse natürlich die Angaben der Bohrprotokolle verwendet werden, sofern die Genauigkeiten der eingesetzten Vermessungssysteme eine derartige Auswertung zulassen. Alternativ ließe sich die Vermessung des Pilotbohrgestänges nachträglich mit Hilfe eines Gyroskop-Systems vornehmen. In jedem Fall sollte anhand der so gewonnenen Daten zunächst eine Berechnung des effektiven Biegeradius vorgenommen werden, der beim späteren Einzug der Produktleitung zu erwarten ist.
Vom Ingenieurbüro de la Motte & Partner wurde zu diesem Zweck mit dem „HDD Quality Contol“ Programm (HDD-QC) eine spezielle Software entwickelt, die verschiedene Ansätze zur Berechnung des effektiven Biegeradius aus den kartesischen Eingabedaten anbietet. Als Besonderheit enthält das Programm einen Algorithmus zur Interpolation der Bohr- bzw. Messdaten, womit sich bereits nach Abschluss der Pilotbohrung die Auswirkungen der späteren Aufweitvorgänge auf das Biegeverhalten der Produktleitung prognostizieren lassen. Abbildung 2 zeigt hierzu exemplarisch die Ergebnisse einer Auswertung der Messdaten mit Hilfe von HDD-QC. Um die Aussagefähigkeit bei der Betrachtung der Pilotbohrung bewerten zu können, werden die Daten der Bohrprotokolle (grün) mit denen einer darauffolgenden Kontrollvermessung der eingezogenen Produktleitung (blau) gegenüber gestellt. In beiden Fällen wurden Gyroskop-Systeme mit hoher Genauigkeit für die Gewinnung der Messdaten eingesetzt. Die dargestellten Kurven repräsentieren den mit Hilfe von HDD-QC errechneten (relativen) effektiven Biegeradius als Funktion der Bohrungslänge. Der dargestellte, charakteristische Verlauf zeigt deutlich, dass die kleinsten Radien für die Ein- und Auffahrbereiche im ersten und letzten Drittel der Bohrung festgestellt wurden. Im dazwischen liegenden geraden Bereich nehmen die Radien wie erwartet sehr große Werte an und sind daher teilweise nicht dargestellt. Die rot eingezeichnete Grenze dient zur Verdeutlichung, dass für den Bereich kleiner als Eins ein Unterschreiten des minimal erforderlichen Biegeradius festgestellt wurde.
Die Gegenüberstellung bei der Auswertungen zeigt, dass sich bereits ohne einen erheblichen, messtechnischen Mehraufwand, gute qualitative Vorhersagen aus den Daten des Bohrprotokolls ableiten lassen und auch die Positionen der beiden „Problemzonen“ bei 90 m bzw. 570 m gut wiedergegeben werden. Schon nach Abschluss der Pilotbohrung stehen damit aussagekräftige Daten für die Bewertung der Situation zur Verfügung und sollten auch entsprechend berücksichtigt werden. Wie zuvor geschildert, wird aus dem Vergleich der dargestellten Messungen ebenfalls deutlich, dass im Zuge der Aufweitvorgänge nicht zwingend von einer Zunahme der Bohrlochradien ausgegangen werden kann. Vielmehr fallen die aus der Vermessung des Produktrohrs ermittelten Radien stellenweise sogar geringer aus, als zuvor anhand der Pilotbohrungsdaten abgeschätzt. Mögliche Ursachen hierfür wurden bereits eingangs angeführt.
Zusammenfassung
Es kann zusammengefasst werden, dass die Qualitätssicherung bei der Planung und Ausführung von Horizontalbohrungen vor allem mit zunehmenden Bohrungsdurchmessern und -längen entscheidend an Bedeutung gewinnt. Aus diesem Anlass wird von den Verfassern zusammen mit einem weiteren anerkannten Sachverständigen zurzeit ein speziell auf diese Vorhaben abgestimmtes Qualitätssicherungsprogramm entwickelt. Dabei wird die frühzeitige Bewertung des Ausführungsrisikos in Form eines „HDD Assessment Sheet“ als entscheidender Faktor beim Gelingen des Gesamtprojekts angesehen, da nur so die qualitätssichernden Maßnahmen auch rechtzeitig eingeleitet werden können. Neben den rein bohrtechnischen Aspekten hat sich in der Vergangenheit jedoch auch immer wieder gezeigt, dass es für den Bauherrn in jedem Fall von Vorteil ist, sich von Anfang an, d.h. bereits in der Ausschreibungs-, Vergabe- und Vertragsphase bis hin zu dem erfolgreichen Einzug der Rohrleitung von einem geeigneten unabhängigen Fachbüro beraten zu lassen.

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