Verbesserte Wirtschaftlichkeit. Bedarfs- und zustandsorientierte Reinigung.

09.01.2007

Die Reinigung der privaten und öffentlichen Entwässerungssysteme stellt für Netzbetreiber auf Grund stetig steigender gesetzlicher und betrieblicher Anforderungen eine besondere Herausforderung dar. Durch bedarfs- und zustandsorientierte, edv-gestützte Reinigungsplanungen kann eine wirtschaftliche Optimierung des Betriebes von Entwässerungssystemen erreicht werden.

 

Entwässerungssysteme dienen zur Sammlung und Ableitung von Abwasser in Form von Schmutz- und/oder Regenwasser. Sie umfassen nach DIN EN 752-1 [1] den Bereich, "wo das Abwasser das Gebäude bzw. die Dachentwässerung verlässt oder in einen Straßenablauf fließt, bis hin zu dem Punkt, wo das Abwasser in eine  Behandlungsanlage oder einen Vorfluter eingeleitet wird. Abwasserleitungen und -kanäle unterhalb von Gebäuden sind hierbei eingeschlossen, solange sie nicht Bestandteil der Gebäudeentwässerung sind".  Die überwiegende Anzahl der Entwässerungssysteme ist als Freispiegelsystem im Misch- oder Trennsystem (Bild 1) ausgebildet, bei dem nach DIN EN 752-1 [1] "der Abfluss durch Schwerkraft erfolgt und bei dem die Leitung üblicherweise mit Teilfüllung betrieben wird".

Bis zur Einführung des ATV-A 110 [2] im Jahre 1988 wurde das Gefälle der Rohrnetze vielfach nach Imhoff auf Grundlage der Faustformel (Ic = 1000/DN für Kreisrohre bei Halb-/Vollfüllung und τ = 2,5 N/m2) bemessen. Diese Netze sind bei Nennweiten > DN 800 durch ein zu geringes Sohlengefälle gekennzeichnet und führen daher in Abhängigkeit von der Abwasserzusammensetzung und den Abflussschwankungen sehr häufig zu Ablagerungen. Darüber hinaus sind auch Netze mit Nennweiten < DN 800 bei geringen Abwassermengen, insbesondere in den Nachtstunden bei Trockenwetter, oftmals ablagerungsgefährdet. Ebenso spielt der bauliche Zustand der Kanäle in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Neben Schäden, die direkt den freien Abfluss behindern (Lageabweichungen, Wurzeleinwüchse, Rohrbrüche usw.), können auch Undichtigkeiten zu Ablagerungsproblemen beitragen, indem Feststoffe mit infiltrierendem Grundwasser in die Kanalisation gelangen. Umgekehrt führt der Abwasseraustritt zum Verlust des "Transportwassers" und somit zu verstärkten Ablagerungen.

Es ist davon auszugehen, dass sich in Zukunft der Reinigungsaufwand  innerhalb der Kanalisationen weiter erhöhen wird, da die Misch- und Regenwasserkanäle überwiegend nur noch mit geringeren Teilfüllungsgraden und damit geringeren Wandschubspannungen betrieben werden. Ursachen sind:

  • Sinkender Wasserverbrauch durch Verwendung wassersparender Technologien
  • Vermehrte Versickerung von Regenwasser
  • Nutzung von Regenwasser als Brauchwasser
  • Reduzierung des Fremdwasseraufkommens durch Sanierungsmaßnahmen
  • Verstärkte Umstellung von Misch- auf modifizierte Misch- oder Trennsysteme.

 In den meisten Städten und Gemeinden Deutschlands werden die Entwässerungssysteme auch heute noch oftmals nach der Feuerwehr- oder Turnusstrategie gereinigt. Dabei finden vorhandene Ablagerungssituationen, bauli-che Zustände und die lokalen Betriebserfahrungen des Reinigungspersonals nicht immer die erforderliche Berücksichtigung. Zudem werden die Kanäle oft durch zu hohen Spüldruck und unsachgemäßen Einsatz der Düsen stark belastet und teilweise geschädigt. Auf eine Qualitätskontrolle des Reinigungserfolgs wird oftmals aus wirtschaftlichen Gründen verzichtet.

 Die Folgen dieser Vorgehensweise können Mehrkosten sein, die sich unmittelbar in den Abwassergebühren niederschlagen. Da aus kommunalpolitischer und volkswirtschaftlicher Sicht eine Gebührenminimierung anzustreben ist, müssen zukünftig die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Budget, Personal, Fahrzeuge, Geräte, Betriebsstoffe usw.) optimal eingesetzt werden.

Eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit von Reinigungsmaßnahmen ist nach Erfahrungen vieler kommunaler Netzbetreiber durch eine bedarfs- und zustandsori-entierte Kanalreinigung mit EDV- Unterstützung zu realisieren. Bei dieser Vorgehensweise wird für jeden einzelnen Reinigungsabschnitt der erforderliche Reinigungsaufwand, charakterisiert durch kostenoptimalen Reinigungszyklus, geeignetes Reinigungsgerät, erforderlicher Spüldruck und erforderliche Spülwassermenge usw. festgelegt. Die ermittelten Reinigungsprioritäten werden mit anderen Unterhaltsmaßnahmen zeitlich und räumlich im Entwässerungsnetz koordiniert. So kann beispielsweise auf eine geplante Reinigung verzichtet werden, wenn im selben Kanalabschnitt Sanierungsmaßnahmen vorgesehen sind. In deren Vorlauf müssen ohnehin, zum Teil mehrfache Kanalreinigungen zur Arbeitsvorbereitung erfolgen. Durch die Abkehr von der turnusmäßigen und Hinwendung zur bedarfs- und zustandsorientierten Kanalreinigung können wesentliche Kostensenkungen erreicht und übermäßige Rohrbeanspruchungen vermieden werden.

Im Rahmen dieses Beitrags werden Vorschläge zur Erstellung bedarfs- und zustandsorientierter Reinigungspläne für Entwässerungssysteme unterbreitet.

Stand der Technik der Reinigungsverfahren
Die Reinigung von Kanalisationen ist ein wesentlicher Bestandteil der Wartung bzw. des Unterhalts. Sie wird durchgeführt [3]:

  • zur Beseitigung von Ablagerungen im Rahmen der regelmäßigen Wartung, um den freien Durchgang im gesamten Abflussquerschnitt zu erhalten,
  • um Geruchs- und Gasbildung durch Faulprozesse und die Entstehung Biogener-Schwefelsäure-Korrosion in teilgefüllten Abwasserkanälen aus zementgebundenen Werkstoffen zu verhindern,
  • zur Beseitigung von Verstopfungen und -    als vorbereitende Maßnahme für eine Kanalinspektion. 

Neben den o.a. Anwendungen im Rahmen der Wartung dient die Reinigung auch als vorbereitende Maßnahme für eine Sanierung. Dabei ergeben sich noch zusätzliche Aufgaben, wie z.B. intensive Reinigung der Innenwandung, Entfernung von Korrosionsprodukten, einragenden Anschlussleitungen und -kanälen oder anderen künstlichen Abflusshindernissen. Die in Kanalisationen angewendeten Reinigungsverfahren lassen sich nach [3] einteilen in (Bild 2):

Für die Auswahl des jeweils geeigneten Reinigungsverfahrens bzw. -gerätes sind zu berücksichtigen [3]:

  • Art und Ausmaß der Ablagerungen,
  • Zugangsmöglichkeit zum Kanal,
  • Überdeckungshöhe,
  • Querschnittsform und -abmessungen des Kanals,
  • Querschnittsänderungen oder Versatz innerhalb einer Haltung,
  • Rohrwerkstoff,
  • baulicher Zustand,
  • Wetterbedingungen (Regen, Schnee, Frost), insbesondere bei Regen- oder Mischwasserkanälen,
  • Verkehrslage,
  • Füllungsgrad.

Das universelle und bei etwa 90 % aller Kanalreinigungsmaßnahmen eingesetzte Verfahren, das sowohl zur Beseitigung von Ablagerungen im Rahmen der regelmäßigen Wartung als auch für die Reinigung als vorbereitende Maßnahme einer Kanalinspektion oder -sanierung eingesetzt werden kann, ist das Hochdruckspülverfahren. Es ist in der Regel nicht anwendbar zur Beseitigung verfestigter Ablagerungen oder von Abflusshindernissen, z.B. einragenden Anschlusskanälen, künstlichen Hindernissen und Wurzeln, bzw. zur Erzielung eines sehr hohen Reinigungsgrades der Rohrinnenfläche. In diesen Fällen muss zusätzlich auf mechanische Reinigungsverfahren oder -geräte (z.B. Kettenschleuder, Fräsroboter usw.) zurückgegriffen werden, die zum Teil auch direkt durch die Hochdruckspülfahrzeuge angetrieben werden können [3].

Bei dem HD-Spülverfahren wird Spülwasser mittels einer Hochdruckpumpe aus einem Wassertank durch einen Schlauch gepumpt, an dessen Ende eine Reinigungsdüse installiert ist. In der Reinigungsdüse befinden sich Bohrungen mit Düseneinsätzen, welche die mit hoher Geschwindigkeit austretenden Wasserstrahlen bündeln und auf die Rohrwandung richten. Dabei entsteht eine Reaktionskraft in der Reinigungsdüse, welche diese und den Schlauch in der ersten Phase in der Kanalhaltung gegen die Fließrichtung vom Startschacht zum Zielschacht befördert. Nach Ankunft der Reinigungsdüse im Zielschacht wird diese in der zweiten Phase am Spülschlauch in Fließrichtung langsam zurückgezogen. Die austretenden Wasserstrahlen erhöhen die Fließgeschwindigkeit des Abwassers, lösen die Ablagerungen, wirbeln sie auf und transportieren sie als Suspension zum Startschacht, wo sie in der Regel mittels Vakuum über einen Schlauch abgesaugt  werden. Es können auch mehrere Haltungen in Abhängigkeit der Haltungslänge und des Verschmutzungsgrades gereinigt werden, ohne die Zwischenschächte öffnen zu müssen. Im Bild 3 ist der Arbeitsablauf des HD-Spülverfahrens dargestellt.

 Mit der universellen Hochdruckspültechnik lassen sich bei dem derzeitigen Stand der Technik Abwasserkanäle bis zu einer Nennweite von DN 2000 reinigen. Besonders wichtig bei der Anwendung des Hochdruckspülverfahrens ist eine sinnvoll abgestimmte Kombination der Einzelkomponenten, wie Hochdruckpumpe, Spülschlauch und Reinigungsdüse (Bild 4).

Das Kernstück des Hochdruckspülverfahrens ist die Reinigungsdüse. Für unterschiedliche Verschmutzungen, Kanalquerschnittsformen und Reinigungsziele stehen verschiedene Reinigungsdüsen (Bild 5) zur Verfügung, die nach [3] wie folgt unterschieden werden:

  • Radialdüsen: Wasseraustritt radial auf dem Düsenumfang verteilt (Bild 5a)
  • Rotationsdüsen - Wasseraustritt radial auf dem Düsenumfang verteilt, Reinigungsdüse drehbar gelagert (Bild 5b),
  • Verstopfungsdüsen - Wasserstrahlen nach hinten und vorne gerichtet (Bild 5c)
  • Sohlendüsen - Wasseraustritt in Richtung Rohrsohle (Bild 5d). 

 Die Auswahl der jeweils einzusetzenden Düse hängt von der Art, Menge und Zusammensetzung der Verschmutzung, der Nennweite, der Menge des zu transportierenden Räumgutes und dem Reinigungsziel ab.

Bedarfs- und zustandorientierte Reinigungsplanung

Der Reinigungsplan ist ein Konzept zur Organisation von Reinigungsarbeiten und ist aufzustellen, um nach [5]:

  • die Anzahl von reaktiven Reinigungsmaßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren sowie
  • den optimalen Zyklus von vorausschauenden Reinigungsmaßnahmen zu ermitteln.

Er sollte auf einem bedarfs- und zustandsorientierten Reinigungskonzept basieren, bei dem gezielt nur die verschmutzten Haltungen gereinigt und dabei der bauliche Zustand des Kanalnetzes berücksichtigt wird. Auf diese Weise sollen die bisher anfallenden Reinigungskosten gesenkt und eine übermäßige Rohrbeanspruchung vermieden werden. Die Einführung dieses Konzeptes lässt sich in vier Schritte strukturieren (Bild 6):

Im Rahmen der Bestandsaufnahme im Schritt 1 müssen zunächst die bisherigen Reinigungsprozesse und Reinigungssaufwände analysiert werden, um dabei wirtschaftliche Optimierungs- bzw. Verbesserungspotenziale zu erkennen. Sind Dokumentationen bezüglich der erfolgten Reinigungsmaßnahmen vorhanden, sind diese vorab auszuwerten. Darüber hinaus können durch Befragung/Interview der Mitarbeiter bezüglich ihrer täglichen Einsätze oder durch Begleitung der Reinigungsmaßnahmen wichtige Informationen über die Ist-Situation gewonnen werden.

Diese Mitarbeiter haben durch die tägliche Arbeit in der Kanalisation die genaueste Kenntnis über den Reinigungsbedarf einzelner Haltungen. Hilfreich sind u.a. Aufzeichnungen der lokalen Feuerwehr über Hilfseinsätze bei Kellerüberflutungen, auch wenn diese nicht immer auf Ablagerungsprobleme innerhalb der Kanalisation hinweisen. Auch Rechnungen mit Stundenlohnarbeiten von Dienstleistern über starke Ablagerungen im Vorfeld von großräumigen TV-Inspektionen (z.B. bei der Ersterfassung gemäß SÜwVKan-NRW) oder für spontane Noteinsätze sind nützliche Informationsquellen.

Eine weitere wichtige Grundlage zur Feststellung und Beurteilung des Ist-Zustandes von Entwässerungssystemen bilden alle verfügbaren Netzdaten (Stamm-, Zustands-, Betriebs- und hydraulische Daten). Die im Rahmen eines Forschungsprojektes [8] gesammelten Erfahrungen haben aber auch ergeben, dass der Versuch ablagerungsgefährdete Haltungen allein auf Grundlage ihrer hydraulischen Kenndaten (Sohlgefälle, Teilfüllungsgrade, Fließgeschwindigkeiten, Schleppspannungen) und Berechnungen zu identifizieren, die Realität nur unzureichend abbilden würde. Im konkreten Fall wäre für zu viele Haltungen eine Reinigung für notwendig erachtet worden. Aus diesem Grund sind sie unbedingt durch eine visuelle Inspektion des Kanalnetzes zu verifizieren.

Die Ermittlung der Ablagerungen im Netz kann durch augenscheinliche Schachtkontrollen (Bild 7a), Spiegelungen der Haltungen (Bild 7b) oder den Einsatz einer TV-Schachtkamera (Bild 7c) erfolgen. Hierbei hat sich die augenscheinliche Schachtkontrollen in der Praxis als das effizienteste Verfahren erwiesen, um schnell und kostengünstig einen Überblick über den Verschmutzungsgrad innerhalb der Kanalisation zu erhalten. Eine Schachtkontrolle kann z.B. im Rahmen einer turnusmäßigen Reinigung von Schmutzfängern oder der nach DWA-M 174 [9] alle zwei Jahre geforderten Schachtinspektionen erfolgen. Eine einfache Einteilung in beispielsweise drei Klassen (keine Ablagerungen; leichte, abflussverzögernde Ablagerungen; starke, abflussverhindernde Ablagerungen) reicht oftmals zunächst aus. TV- Schachtkameras und Kanalspiegel können dieses einfache Verfahren im Einzelfall unterstützen. Noch sind TV- Schachtkameras, obwohl in Bezug auf Bildqualität und Sichtweite ohne Zweifel sehr gut, im Handling und durch die erforderlichen Rüstzeiten noch nicht völlig praxisgerecht.

Eine Ablagerungskontrolle durch Inspektion der Haltungen mit einer Kanal-TV-Kamera kommt in der Regel nicht in Frage, da sie eine viel zu kosten- und zeitintensive Methode darstellt.

Nach der Erfassung und Klassifizierung werden Ablagerungen bewertet, um anschließend angepasste Reinigungsintervalle abzuleiten. Das Resultat dieses Schrittes ist die erste Einschätzung des tatsächlich erforderlichen Reinigungsaufwandes.

Auf der Grundlage der Auswertung des Ist-Zustandes, erfolgt im Zuge der strategischen Reinigungsplanung im Schritt 2 die Festlegung der Ziele bzw. Einsparpotenziale, die sich an den verfügbaren Ressourcen (Budget, Personal, Fahrzeuge und Geräte) orientieren.

Ergebnis der strategischen Reinigungsplanung im Zuge des Schrittes 2 sind Inspektionspläne und darauf aufbauend langfristige, bedarfs- und zustandsorientierte Reinigungspläne.

Die diesbezüglichen, im Rahmen eines Forschungsprojektes [8] gesammelten Erfahrungen haben ergeben, dass ein bedarfs- und zustandsorientierter Reinigungsplan (Bild 8) am besten unter Nutzung eines GIS (Geographisches Informationssystem) erstellt werden kann.

Das GIS besteht aus einer graphischen Oberfläche und einer angebundenen Datenbank (z.B. Access, Oracle usw.), in der alle Haltungsparameter, wie Nennweite, Werkstoff, Haltungslänge, Gefälle, Zustandsbilder usw. hinterlegt sind. Hier wurden zusätzlich die erfassten Netz- und Ablagerungsdaten integriert, verwaltet, analysiert und visualisiert,  z.B. durch farbliche Darstellung der verschiedenen Ablagerungsklassen. Unter Nutzung aller o.a. Informationen war es möglich, die zu reinigenden Haltungen eindeutig zu identifizieren und für alle Haltungen den optimalen Reinigungszyklus festzulegen. Die Bandbreite der Zyklen schwankte zwischen jährlich zu reinigenden Haltungen und Netzbereichen, die erst im Vorlauf zur nächsten TV-Inspektion (gemäß SÜwVKan-NRW nach 15 Jahren) gespült werden müssen.

Neben den Erkenntnissen über den tatsächlichen Reinigungsbedarf sind hier auch weitergehende Überlegungen einzubeziehen. So ist für jeden Einzelfall zu klären, ob z.B. aus Gründen der Einsatzoptimierung (Fahrtzeiten, Umsetzzeiten) auch ablagerungsfreie Haltungen zwischen stärker verschmutzten Abschnitten eines Straßenzuges mit gereinigt werden sollen.

Der mit diesen Arbeitsschritten erstellte strategische Reinigungsplan für das Teilentwässerungsgebiet "Völlinghausen" in der Gemeinde Möhnesee wurde einer Wirtschaftlichkeitsanalyse gemäß der LAWA-Richtlinie für Kostenvergleichsrechnungen unterzogen [8, 10] Es zeigte sich, dass mit einer bedarfsorientierten Kanalreinigung incl. regelmäßiger Nach-Kontrollen deutliche Kosteneinsparungen gegenüber der turnusmäßigen Reinigung erzielbar sind. Diese betrugen gegenüber der bis dahin praktizierten Präventivstrategie (1-jährige Turnusreinigung) für eine komplette untersuchte Kanalnetzlänge des Ortsteils Völlinghausen ca. 50 % [8].

Die Durchführung der Reinigungstätigkeit erfolgt auf Basis der operativen Reinigungsplanung in Form von Einsatz- bzw. Spülplänen. Sie beinhalten eine Prioritätsreihung der Reinigungsmaßnahmen und können durch weitergehende Informationen über zu bevorzugende Reinigungsverfahren (Hochdruckreinigung, Schwallspülung, mechanische Reinigung usw.) und die zugehörigen Reinigungswerkzeuge (Düsenarten, Klappentypen usw.) ergänzt werden. Darüber hinaus werden Leistungsparameter (Pumpendruck, Einlass- und Rückzugsgeschwindigkeit, Schwallhäufigkeit usw.) unter Berücksichtigung der Ablagerungsverhältnisse und des baulichen Zustandes in den Haltungen ermittelt bzw. angegeben. Insbesondere Informationen über bauliche Schäden und/oder Sanierungswerkstoffe (z.B. Kurzliner) sind für das Reinigungspersonal wichtig, um hier keine Schäden durch zu hohe Reinigungsdrücke o.ä. zu verursachen. Zusätzlich werden die logistische Aspekte, wie z.B. Minimierung der Fahrtzeiten zwischen den zu reinigenden Haltungen durch eine Routenplanung, berücksichtigt.

Der Einsatz- bzw. Spülplan beschreibt, wann, wo und wie (mit welchem Verfahren und Parametern) gereinigt werden soll. Dabei sind insbesondere der örtliche und zeitliche Einsatz von Reinigungspersonal und Reinigungsfahrzeugen des Entwässerungsbetriebes bzw. des Dienstleisters zu regeln. Auch die Wasseraufnahmestellen müssen vorher festgelegt werden.

Im Schritt 3 erfolgt die zuvor im Schritt 2 geplante Reinigung. Dabei wird das Fahrzeug so nah wie möglich an den Startschacht heran gefahren. Die Einsatzstelle wird gesichert und die Beanspruchung des Verkehrsraumes auf das Nötigste reduziert. Mit dem Einbringen des Schlauches und der Düse in den Schacht erfolgt die Reinigungsdurchführung. Bei den Reinigungsarbeiten ist zu beachten, dass die o.g. Reinigungsparameter auch auf den baulichen Zustand der jeweiligen Haltung anzupassen sind, um eine Schadensausweitung bei bereits vorgeschädigten Kanälen (z.B. Abrieb, Korrosion, Risse, Scherbenbildung, Rohrbruch) bis hin zum Einsturz durch die Reinigung zu verhindern (Bild 9a). Besondere Gefahrenmomente ergeben sich durch das Schlagen der Reinigungsdüse, das Aufwirbeln von Sediment oder Steinen sowie das Verharren der Reinigungsdüse an einer Stelle (Bild 9b).

Während des Reinigungsvorganges ist das anfallende Räumgut möglichst ständig zu kontrollieren. Größere Anteile von mineralischen Feststoffen und Bruchstücke der Leitung sind Anzeichen starker Beschädigungen, z.B. für Scherbenbildung, Rohrbruch oder Einsturz.

In solchen Fällen müssen der Reinigungsprozess sofort abgebrochen und Sicherungsmaßnahmen veranlasst werden; zur Fortsetzung der Reinigung ist ggf. ein schonenderes Verfahren einzusetzen oder erst eine Sanierung durchzuführen.

Nach Abschluss der Reinigungsarbeiten erfolgt im Schritt 4 eine Qualitätskontrolle und eine anschließende Dokumentation der Reinigungsleistungen bzw.  ergebnisse. Ungenügend ausgeführte Reinigungsmaßnahmen können durch diese Maßnahme zeitnah festgestellt werden, so dass der Dienstleister zur Nachbesserung aufgefordert werden kann. Eine Qualitätskontrolle der Reinigungsarbeiten soll zukünftig die kontinuierliche Erweiterung der Netz- und Betriebskenntnisse ermöglichen und fließt wieder mit in die Planung ein. Die Kontrolle der Reinigung kann sinnvollerweise  nur durch den Einsatz von Kanalspiegeln und TV-Schachtkameras erfolgen, da nur so der Reinigungsgrad innerhalb der Haltung erkannt wird. Sie muss unmittelbar nach der Reinigung und nicht erst Tage später erfolgen. Auch wenn sie einen erheblichen Aufwand für den Netzbetreiber/ Auftraggeber darstellt, sollte sie zumindest stichprobenartig erfolgen. So wurde z.B. in der Praxis des Öfteren beobachtet, dass zu hohe Rückzugsgeschwindigkeiten der Düsen dazu führen, dass sich Ablagerungen zu Haufen in der Haltung aufbauen, über welche die Düsen hinweg gleiten ohne das Material in den Zielschacht mitzunehmen. Die Haltung wird als gereinigt eingestuft, obwohl de facto abflussbehindernde Ablagerungen vorhanden sind.

Im Rahmen der Reinigungsplanung sind nicht nur die Abwasserleitungen und -kanäle, sondern auch die anderen Bauwerke des Entwässerungssystems, wie z.B. Schächte, Straßenabläufe, Schlammfänge, Düker, Pumpstationen und Regenbecken zu berücksichtigen.


Einen weiteren wichtigen Aspekt bei der Erstellung bedarfs- und zustandorientierter Reinigungspläne stellt die prophylaktische Vermeidung von Feststoffeinträgen durch konstruktive Präventivmaßnahmen in die Kanalisation dar. Wesentliche Eintragsstellen von Feststoffen sind der Straßenabfluss über Straßenabläufe und schadhafte bzw. undichte Kanäle.

Sanierungsstrategien für Entwässerungssysteme sollten es zum Ziel haben, diese Feststoffeinträge zu verhindern bzw. zu minimieren. Dies kann erreicht werden durch die bauliche Sanierung der Undichtigkeiten und den Einsatz von optimierten Straßenabläufen mit verbessertem Feststoffrückhalt [15,17].

Bei den bisher eingesetzten Straßenablauftypen nach DIN 4052 [11] werden die Feststoffe ungenügend zurückgehalten. Insbesondere bei den Straßenabläufen mit Bodenablauf gelangen sie, wenn sie einmal die Schlitzöffnung der Eimer passiert haben, zu 100 % über den Anschlusskanal in den Kanal. Die Straßenabläufe mit Schlammraum weisen einen etwas besseren Feststoffrückhalt auf, obwohl auch hier der größte Teil mit dem Niederschlagsabfluss durch Mobilisierung in den Kanal eingespült wird.

In Anbetracht dieser Tatsache wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes [ ] ein neuer Straßenablauf (Separations-Straßen-Ablauf SSA) als präventive Reinigungsmaßnahme mit dem Ziel entwickelt, die o.g. Schwachstellen der konventionellen Systeme nach DIN 4052 [11] zu eliminieren. Er besitzt einen besseren Feststoffrückhalt und verhindert durch konstruktive Maßnahmen die Mobilisierung einmal sedimentierter Feststoffe im Schlammraum und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Verminderung oder sogar Vermeidung von Ablagerungen im Kanalsystem [13,14,15].

Die Auswertung der Laborversuche mit einem Mineralgemisch (0,125 mm - 8 mm) ergab eine Vergrößerung des Feststoffrückhaltes des SSA um bis zu 20,4 % über dem des konventionellen Straßenablaufes mit Schlammraum. Beim Straßenablauf mit Bodenablauf und Eimer erfolgte in diesem Fall kein Rückhalt von Feststoffen aufgrund der Relation der Schlitzgröße (8 mm x 60 mm) zur maximalen Korngröße. Auch bei den In-situ-Untersuchungen bestätigte sich dieses Ergebnis in Bezug zum Straßenablauf mit Schlammraum (30 %); gegenüber dem Straßenablauf mit Bodenablauf und Eimer war der Rückhalt mehr als dreifach so groß.

Um welches Einsparpotenzial es sich dabei handelt, verdeutlichen die Ergebnisse von in Großbritannien durchgeführten Untersuchungen [16]. Diese haben ergeben, dass die Kosten für die Beseitigung von Feststoffen (Sand) in den Klärwerken, für die Reinigung der Straßenabläufe, der Fahrbahnen und der Abwasserkanäle im Verhältnis 1 : 2 : 5 : 10 stehen.

Fazit

Eine effiziente und nachhaltige Reinigungsplanung setzt Kenntnisse über die spezifischen Netzdaten voraus. Dazu zählen nicht nur die Stamm-, Zustands- und hydraulischen Daten, sondern auch die Betriebsdaten und hier insbesondere Angaben über die Ablagerungsmenge und -zusammensetzung in den einzelnen Haltungen. Dies erfordert die Erstellung einer umfassenden, transparenten und jederzeit abrufbaren Dokumentation unter Einbeziehung der elektronischen und graphischen Datenverarbeitung. Besonders geeignet ist für diesen Zweck ein Geoinformationssystem (GIS). Es bietet die Möglichkeit der Implementierung, Verwaltung, Analyse und Visualisierung der haltungsweise erfassten Ablagerungsdaten, so dass bedarfs- und zustandsorientierte Reinigungspläne haltungs- bzw. strangspezifisch erstellt werden können.

Bei der operativen Umsetzung der Reinigungsplanung sollten bei der Wahl der Reinigungsparameter für die Hochdruckspülung (Wasserdruck, Volumenstrom, Düsenart) auch immer der Rohrwerkstoff und insbesondere der bauliche Zustand der Kanäle berücksichtigt werden. Regelmäßige und aussagekräftige Kontrollen der Reinigungsergebnisse im Hinblick auf Übereinstimmung zwischen Ausschreibung und erbrachter Leistung sind zur Fortschreibung einer Reinigungsplanung unabdingbar.

Weitere wichtige Einflussfaktoren, wie z.B. die Herkunft, Menge und Zusammensetzung der eingetragenen Feststoffe, bilden insbesondere bei der Ursachenermittlung des Feststoffeintrags und damit für die Erarbeitung einer prophylaktischen Reinigungsstrategie eine bedeutende Rolle.

Der Rückhalt von Feststoffen quasi an der Quelle sowohl durch die bauliche Sanierung der Undichtigkeiten, als auch durch Straßenabläufe mit einem verbesserten Feststoffrückhalt trägt zu einer erheblichen Kostenreduzierung der Reinigung von Entwässerungssystemen bei. Beispielhaft wird dieser Sachverhalt durch die Kostenrelation der Reinigung von Straßenabläufen zur Reinigung von Kanälen verdeutlicht, die nach [16]  ein Verhältnis von 1 zu 5 aufweist. Einen diesbezüglich leistungsfähigen Straßenablauf stellt der SSA (Separations-Straßen-Ablauf) dar [12].

Das hier vorgestellte Konzept der bedarfs- und zustandsorientierten Reinigungsplanung wurde bereits in mehreren Kommunen erfolgreich eingesetzt und ist grundsätzlich übertragbar auf alle Entwässerungsnetze. Die Einführung dieser Reinigungsstrategie verspricht gegenüber der herkömmlichen praxisüblichen Präventivstrategie und der Feuerwehrstrategie vor allem aus ökonomischer und ökologischer Sicht deutliche Vorteile, wie z.B.:

  • Optimierung des Reinigungsaufwands und Reduzierung der Kosten
  • Ablagerungsfreier Betrieb und damit höhere Betriebssicherheit
  • Vermeidung von Geruchsbelästigungen
  • Nachweis über die Erfüllung der rechtlichen und technischen Anforderungen
  • Erhaltung der Netzsubstanz durch Reduzierung der Rohrbeanspruchung
  • Minimierung der stofflichen Gewässerbelastung.
Literatur:

[1] DIN EN 752: Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden. Teil 1: Allgemeines und Definitionen (01.1996).

[2] ATV-A 110: Hydraulische Dimensionierung und Leistungsnachweis von Abwasserkanälen und -leitungen, 09/2001.

[3] Stein, D.: Instandhaltung von Kanalisationen. 3. Auflage, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 1998.

[4] Firmeninformation KEG mbH, Burgstädt/Herrenhaide.

[5] DIN EN 14654-1: Management und Überwachung von Reinigungsmaßnahmen in Abwasserkanälen und -leitungen. - Teil 1: Reinigung von Kanälen (Deutsche Fassung), Dezember 2005.

[6] Stein, R., Cakmak, H.: Erstellung bedarfsorientierter Reinigungspläne für Entwässerungssysteme auf Grundlage der Europäischen Norm prEN 14654-1. Schriftenreihe aus dem Institut für Rohrleitungsbau Oldenburg - Rohrleitungen - für eine sich wandelnde Gesellschaft, Iro Band 30, Vulkan-Verlag Essen, 2006.

[7] Cakmak, H.: Strategische und operative Reinigungsplanung von Entwässerungssystemen. 3. Internationales Fachforum für Nassabfall-Experten und Entsorgungspraktiker, 15. und 16. September 2006, Schwalenberg/Lippe 2006.

[8] Freitag, St.: Erstellung eines Spülplanes auf Grundlage einer bedarfsorientierten Kanalreinigung für die Gemeinde Möhnesee. Diplomarbeit an der Arbeitsgruppe Leitungsbau und Leitungsinstandhaltung (AGLL) der Ruhr-Universität Bochum, Januar 2005.

[9] Merkblatt DWA - M 174: Betriebsaufwand für die Kanalisation - Hinweise zum Personal-, Fahrzeug- und Gerätebedarf (10.05).
[10] Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA): Leitlinien zur Durchführung Dynamischer Kostenvergleichsrechnungen (KVR-Leitlinien). 6.Auflage, Berlin 1998.

[11 ] DIN 4052: Bauteile und Eimer für Straßenabläufe. Teil 1 bis 4 (Entwurf).

[12] Stein, R., Cakmak, H., Dettmar, J.: Untersuchungen von bestehenden Straßenabläufen bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit und Realisierung von technischen Möglichkeiten zur Verbesserung des Feststoffrückhaltevermögens. Forschungsbericht im Auftrag des MUNLV NRW, Mai 2005.

[13] Stein, R.: Präventive Reinigungsmaßnahmen am Beispiel des Feststoffrückhaltes in Straßenabläufen. Vortragsreihe Niederschlagsbehandlung der TU-München, Garchingen, 2005.

[14] Stein, R.: Entwicklungen bei der Straßenentwässerung im innerstädtischen Betrieb. ATV-Vortragsreihe, Trier, 2004.

[15] Stein, R: Neue Wege der Kanalreinigung durch konstruktive Präventivmaßnahmen. 3. Internationales Fachforum für Nassabfall-Experten und Entsorgungspraktiker, 15. und 16. September 2006, Schwalenberg/Lippe 2006.

[16] Butler, D., Thedchanamorothy, S., Payne, J. A.: Aspects of surface sediment characteristics on an urban catchment in London. Water Science Technology. Vol. 25, No. 8.

Die Autoren:

Dipl.-Ing. Robert Stein
S & P Consult GmbH
E-mail: Robert.Stein@stein.de

Dipl.-Ing. Hasan cakmak
S & P Consult GmbH
E-Mail: Hasan.Cakmak@stein.de

Dipl.-Ing. (FH) M. Neumann
Gemeinde Möhnesee
E-Mail: m.neumann@moehnesee.de

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