Wurzelfestigkeit von duktilen Guss-Rohrverbindungen

24.09.2018

Wurzelfestigkeit von Steckmuffen-Verbindungen.

1 Einleitung

„Wurzeleinwuchs in Abwasserkanälen“ wird im Rahmen der regelmäßig durchgeführten Kamerainspektionen von innen als Abflusshindernis erkannt. In privaten Abwasserleitungen fällt Wurzeleinwuchs spätestens beim Auftreten von Verstopfungen und Rückstau mit den daraus resultierenden Folgen auf. In öffentlichen Abwassernetzen ist Wurzeleinwuchs einer der häufigsten Schäden [1]. Sowohl in privaten als auch in öffentlichen Abwassernetzen gelten diese Leitungsabschnitte als undicht.

2 Wurzelwachstum und Wurzeldrücke

Die Gründe für das Einwachsen von Baumwurzeln in Abwasserleitungen und Kanäle wurden in den letzten 15 Jahren erforscht. Als wichtige Ergebnisse des Forschungsvorhabens „Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle“ [2] wurden Modelle entwickelt, mit denen das Wurzelwachstum im Bereich von Kanälen und Leitungen beschrieben werden kann. Basierend auf Ergebnissen von zahlreichen Aufgrabungen wurden das Dichtefallenmodell und das Sauerstoffmodell entwickelt und beschrieben; sie eignen sich für die Beschreibung des Wurzelwachstums im unterirdischen Raum. Im Rahmen eines weiteren Forschungsvorhabens [3] wurden Wurzeldrücke von Primärwurzeln und Anpressdrücke von Steckmuffen-Verbindungen an unterschiedlichen Rohrsystemen aus Steinzeug, Kunststoffen und duktilem Gusseisen der Nennweite DN 150 ermittelt. Eine Auswahl der Rohrverbindungen z. B. in Form der maximalen Muffenspalte, bei denen die minimalen Anpressdrücke erwartet werden konnte, wurde nicht getroffen, weil die Spannbreite der Anpressdrücke aufgezeigt werden sollte. Dies nahm die Fachgemeinschaft zum Anlass, die Anpressdrücke in Steckmuffen-Verbindungen System TYTON® ermitteln zu lassen. Mit Hilfe folgender Kriterien wie

  • dem Dichtfallen- und dem Sauerstoffmodell,
  • den Untersuchungsergebnissen zum Wurzeldruck von Primärzellen unterschiedlicher Bäume,
  • den Anpressdruckuntersuchungen an gesteckten Rohrverbindungen im Rahmen von [3] sowie
  • Messungen an Steckmuffen-Verbindungen System TYTON® mit maximalem Muffenspalt

ließ sich die Wurzelfestigkeit der Steckmuffen-Verbindung System TYTON® einschätzen.

3 Das Dichtefallenmodell

Die gesamte Umgebung von Gebäuden und ihrer Infrastruktur ist ein anthropogen geschaffener Bodenraum. Im Gegensatz zum gewachsenen Boden besitzt er häufig eine geringere Verdichtung bzw. größere Porenräume. Die Dichteunterschiede beeinflussen die Wachstumsrichtung der Wurzelspitze. Die Elastizität der Kalyptra (Wurzelspitze) führt dazu, dass die Wurzeln in die Richtung des leichter zu durchwurzelnden Substrates wachsen (Bilder 1 und 2). Ein Zurückwachsen der Wurzeln in einen Bereich höherer Verdichtung bzw. schlechterer Durchwurzelbarkeit ist in der Regel ausgeschlossen. Die Wurzeln werden in Bodenbereichen mit großer Durchwurzelbarkeit „eingefangen“. Der Ringspalt bzw. Ringraum vor dem Dichtelement kann auch, je nach Rohrverbindung, ein Bereich sein, den sich die Wurzeln leicht erschließen. Sie können dort mehrere Jahre wachsen, bevor sie schließlich in eine Leitung einwachsen. Hierzu muss der Anpressdruck des Dichtmittels überwunden werden.

Bild 1:
Starkwurzeln im Leitungsgraben einer Telekommunikationsleitung
[Quelle: EADIPS/FGR]

Bild 2:
Feinwurzeln im Leitungsgraben einer Gasleitung
[Quelle: Heidger, C.]

4 Das Sauerstoffmodell

Die Verfügbarkeit von Sauerstoff im Boden hat großen Einfluss auf die Ausbreitung von Wurzeln. Alle pflanzlichen Organismen benötigen Sauerstoff zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels. Die Versieglung städtischer Böden hat zur Folge, dass der Eintrag von Sauerstoff in den Boden stark eingeschränkt ist. Abwasserleitungen werden meist als Freispiegelleitungen betrieben und ausreichend über Wartungs- und Inspektionsöffnungen (Schächte) belüftet. Der größte Anteil der Leitung ist mit Luft gefüllt. Bei vergossenen Dichtungen können im Vergussmaterial durch Schwinden Risse entstehen. Der in der Luft enthaltene Sauerstoff kann so in der Umgebung von Rohren und Rohrverbindungen in den Boden gelangen. Bei der Planung von Abwassersystemen bleibt die Gasdurchlässigkeit von Rohren und Rohrverbindungen unberücksichtigt. Sie kann aber auch bei neu eingebauten Abwasserrohren das Wurzelwachstum beeinflussen. Bei nicht gasdichten Rohrwerkstoffen kann selbst bei intakten Leitungen Sauerstoff austreten. Nach dem Sauerstoffmodell wachsen Wurzeln der Sauerstoffquelle entgegen und finden so die Rohrverbindung.

Dieses Modell (Oxytropismus) wird durch die Ergebnisse von [4] gestützt. An Keimlingswurzeln von Erbsen (Pisum sativum L.) konnte gezeigt werden, dass diese einem Sauerstoffgradienten in Richtung der höheren O2-Konzentration folgten. Darauf aufbauend war es Ziel des Forschungsvorhabens „Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle – Ergänzungsvorhaben“ [3], die Ursachen für Wurzeleinwuchs in Leitungen wissenschaftlich zu belegen und die Mechanismen beim Eindringen einer Wurzel in die Leitung sowie die Wechselwirkung zwischen Rohreigenschaften und Wurzeleinwuchs zu beschreiben. Außerdem sollten Vorschläge für Prüfverfahrenentwickelt werden, welche die mechanischen und biologischen Vorgänge bei Wurzeleinwuchs realitätsnäher abbilden, damit Rohrverbindungen hinsichtlich ihrer Beständigkeit gegen Wurzeleinwuchs bewertet werden können. Dabei wurden die Unterschiede im Wuchsverhalten unterschiedlicher Baumarten als Charakteristika unterschiedlicher Wurzelsysteme beschrieben. Einen besonderen Schwerpunkt bildeten die Interaktion von Wurzeln mit verschiedenen Rohrverbindungen DN 150 und mechanische Versuche zum Nachweis der Wurzelfestigkeit. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind im Abschnitt 9, Untersuchungen und Ergebnisse, zusammengefasst.

5 Praxisbeispiele

Den Einfluss der Porenräume auf das Wurzelwachstum veranschaulichen die Bilder 3 bis 6. Für die in den Bildern 3 bis 5 dargestellten Versuche im Botanischen Garten der Ruhr-Universität Bochum wurde eine künstliche Schichtung von zwei Substraten mit unterschiedlicher Porosität in Pflanzgefäßen angelegt. Als Substrat mit hohem Porenanteil und guter Durchwurzelbarkeit wurde Komposterde ausgewählt, wie sie für die Containerkultur im Botanischen Garten der Ruhr-Universität Bochum eingesetzt wird. Für die Herstellung von Bodenbereichen mit geringem Porenanteil und geringer Durchwurzelbarkeit wurde Bentonit gewählt. Das eingesetzte Material besteht aus Tonmineralien mit einer mittleren Partikelgröße von 0,063 mm. Die geringe Größe der Partikel hat zur Folge, dass die für das Wachstum von Wurzeln notwendigen Räume (Bodenporen) mit einer Größe ab 100 μm nicht vorhanden sind [5]. Die Substrate wurden in horizontalen Schichten wechselweise um eine zentrale Säule aus einem der Substrate eingebracht. Den Schichtaufbau veranschaulicht der dargestellte schematische Längsschnitt in Bild 3. Bild 4 zeigt ein seitlich geöffnetes Pflanzgefäß.

Bild 3:
Schematischer Längsschnitt durch ein Pflanzgefäß
[Quelle: Schmiedener, H.]

Bild 4:
Seitlich geöffnetes Pflanzgefäß - in den Schichten aus Bentonit sind keine Wurzeln zu erkennen
[Quelle: Stützel, T.]

Allein der Blick auf dieses Bild lässt erahnen, dass keine Wurzeln in den porenraumarmen Bentonit eingewachsen sind, was sich nach dem Aufschneiden des Pflanzgefäßes inklusive Bodenkörper und dem Freispülen der Wurzeln mit Wasser bestätigte. Die Wurzeln hatten sich durch die Komposterde bis auf die Sohle des Pflanzgefäßes ausgebreitet (Bild 5). Zwischen den Betonitschichten reichten sie sogar beinahe bis an den vertikalen Rand des Pflanzgefäßes heran [2].

Bild 5:
Geöffnetes Pflanzgefäß - Wurzeln mit Wasser freigespült. Die Wurzeln sind nicht in den Betonit gewachsen
[Quelle: Stützel, T.]

Bild 6:
Wurzeln in einer Tiefe von 7 m, die aufgrund der guten Sauerstoffversorgung bis in diese Tiefe gewachsen sind
[Quelle: Schmiedener, H.]

In der Praxis bestätigte sich dieses labortechnisch simulierte Verhalten des Wurzelwachstums. Die in Bild 6 dargestellte Verwurzelung wurde in einer Tiefe von 7 m angetroffen. Die Wurzeln hatten sich entlang einer Hausanschlussleitung ausgebreitet, die über das dargestellte Formstück an den Abwasserkanal angeschlossen war. Sie waren bis in den Leitungsgraben des Hauptkanals und dort im Zwickel des Abwasserkanals weitergewachsen. In dieser Tiefe benötigt das wachsende Wurzelwerk eine ausreichende Versorgung mit Sauerstoff. Es liegt die Vermutung nahe, dass dieser Sauerstoff aus den nicht gasdichten Steckmuffen-Verbindungen der Hausanschlussleitung und des Hauptkanals im Sinne des Sauerstoffmodells stammte.

6 Charakteristika unterschiedlicher Wurzelsysteme

Mögliche Auswirkungen der Unterschiede im anatomischen Aufbau der Wurzeln wurden mit Hilfe von Wurzeldruckmessungen an Primärwurzeln
untersucht. Grundsätzlich wurde bei Gymnospermenwurzeln (Nadelbäume) ein geringerer Wurzeldruck als bei Angiospermenwurzeln (Laubbäume) gemessen. Die Spitzenwerte der Wurzeldrücke von Gymnospermen variierten zwischen 4,0 bar für Araukarienwurzeln (Araucaria araucana) und 8,8 bar für Pinienwurzeln (Pinus pinea). Auch die Wurzeldrücke von Angiospermen (Laubbäume) variierten. Als unterer Spitzenwert wurden bei Robinienwurzeln 8,8 bar gemessen und als Obergrenze wurde kurzzeitig ein Wert von 11,9 bar bei Eichenwurzeln gemessen. Im Mittel liegen Wurzeldrücke zwischen 4 bar und 8 bar. Die Ergebnisse der Wurzeldruckmessungen sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Wurzeldrücke unter idealen Wachstumsbedingungen für die eingesetzten Keimwurzeln – zu jedem Zeitpunkt bestand eine kontinuierliche Wasser- und Sauerstoffversorgung für die Wurzeln [Quelle: EADIPS/FGR]

Art Messreihe Messdauer
[h]
Maximaldruck
[bar]
Mittelwert
[bar]
Pisum savitum L./
Erbse
1 62,5 4,9 4,07
2 62,5 5,9
3 62,5 2,5
Quercus robur L./
Stieleiche
1 50,0 1,2 8,42
2 50,0 5,9
3 64,0 11,9
4 46,0 10,8
5 46,0 12,3
Robinia pseudoacacia L./
Gewöhnliche Robinie
1 58,0 8,8 6,43
2 58,5 8,4
3 48,0 6,7
4 48,0 6,5
5 25,0 3,7
6 22,0 4,5
Pinus pinea L./
Pinie/Italienische Steinkiefer
1 700,0 3,6 6,28
2 700,0 8,8
3 670,0 9,8
4 670,0 2,9
Araucaria araucana
(MOLINA) K.KOCH/
Chilenische Aurakie
1 530,0 4,0 4,0

 

7 Rohrverbindungen

Bild 7:
Steckmuffen-Verbindung für duktile Guss-Rohrsysteme, System TYTON®
[Quelle: EADIPS/FGR]

Kanalisationsrohre werden am häufigsten durch Steck-Verbindungen mit Elastomeren als Dichtmittel miteinander verbunden. Sie bieten gegenüber anderen Systemen den Vorteil, dass sie auch unter schwierigen Baustellenbedingungen vergleichsweise einfach zu montieren sind. Die Entwicklung dieser Verbindungen wurde in den letzten Jahrzehnten unter bautechnischen Gesichtspunkten vorangetrieben und optimiert. Die für duktile Gussrohre meistverwendete Muffen-Verbindung ist dieTYTON®-Steckmuffen-Verbindung (Bild 7). Sie ist im Bereich DN 80 bis DN 1400 genormt. Seit ihrer Einführung auf dem deutschen Markt im Jahre 1957 hat sie sich millionenfach in Trinkwasser-, Rohwasser- und Abwasserleitungen bewährt. Die wesentlichen Abmessungen dieser Verbindung sind in DIN 28603 [6] für die Nennweiten DN 80 bis DN 1400 festgelegt. Die Dichtfunktion der TYTON®-Steckmuffen-Verbindung übernimmt eine profilierte Dichtung, die aus einer weicheren (Dichtteil) und einer härteren Gummimischung (Halteteil) besteht [7].

Die STANDARD–Steckmuffen-Verbindung (Bild 8) ist in ihrem konstruktiven Konzept und in ihrer Funktion mit der TYTON® -Steckmuffen-Verbindung vergleichbar. Ihre Verbindungsmaße sind in Deutschland in DIN 28603 [6], (Form C), von DN 80 bis DN 2000 festgelegt. Die Dichtung besteht aus Gummi mit einer einzigen Härte.

8 Interaktion zwischen Rohrverbuindungen und Wurzeln

Bild 8:
Steckmuffen-Verbindung für duktile Guss-Rohrsysteme, System STANDARD
[Quelle: EADIPS/FGR]

Laborversuchen Belastungssituationen, wie sie nim Rohrgraben auftreten können, simuliert und so die Rohr- und Rohrverbindungsqualität sichergestellt. In Rohrverbindungen einwachsende und zu Undichtigkeiten führende Wurzeln stellen eine bis jetzt undefinierte Belastung für Rohrverbindungen dar. Der Lastfall Wurzelwachstum wurde erstmals im Rahmen von [2] beschrieben. Danach wachsen Wurzeln nicht nur in undichte Rohrverbindungen ein. Sie können sogar nach den a. a. R. d. T. „wurzelfeste“ Rohrverbindungen überwinden, sodass die Hypothese „Wasserdichte Rohrverbindung gleich wurzelfeste Rohrverbindung“ nicht in allen Fällen zutrifft. Ergebnisse von Untersuchungen in Schweden [8] und Australien [9] bestätigen diese Beobachtungen. Mit welchen Strategien die Wurzeln eine Rohrverbindung überwinden können, wurde bereits in [2] beschrieben. Eine besondere Bedeutung kommt dem verwendeten Rohrwerkstoff, der geometrischen Ausführung der Rohrverbindung und der eingesetzten Elastomerdichtung zu. Die Summe der Eigenschaften dieser Einzelkomponenten beeinflusst das Wuchsverhalten der Wurzeln im Bereich der Rohrverbindungen. Weitere Faktoren, wie die Versorgung der Wurzeln über das Rohrleitungssystem mit Sauerstoff (Diffusionsdichtheit von Rohrwerkstoffen und Steck-Verbindungen) sind dabei zu berücksichtigen.

9 Untersuchungen und Ergebnisse

Bild 9:
Messung des Anpressdruckes mittels einer Druckfolie. Rohrverbindung eines duktilen Gussrohres DN 150 mit TYTON®-Steckmuffen-Verbindung ohne Scherlast und mit Scherlast nach EN 598 [10].
Maßgeblicher Anpressdruck im Bereich der Rohrsohle:
Messung 1) ohne Scherlast-Wirkung 24,8 bar, mit Scherlast-Wirkung 21,2 bar,
Messung 2) ohne Scherlast-Wirkung 23,9 bar, mit Scherlast-Wirkung 20,4 bar,
Messung 3) ohne Scherlast-Wirkung 17,8 bar, mit Scherlast-Wirkung 18,8 bar.
Mittelwerte des Anpressdruckes ohne Scherlast-Wirkung 22,2 bar, mit Scherlast-Wirkung 17,5 bar ([3], Abb. 35)
[Quelle: EADIPS/FGR]
 

Im Rahmen von [3] wurden an insgesamt elf unterschiedlichen Steckmuffen-Verbindungen der Nennweite DN 150 bzw. OD 160 die Anpressdrücke ermittelt. Darunter waren drei Steckmuffen-Verbindungen für Steinzeugrohre, vier für PVC-Rohre, drei für PP-Rohre und eine Steckmuffen-Verbindung für duktile Gussrohre. Die Ergebnisse der Anpressdruckuntersuchungen an der TYTON®-Steckmuffen-Verbindung DN 150 ohne Scherlast und unter dem Einfluss einer Scherlast sind in Bild 9 dargestellt (Tabelle 18 in [3] zeigt alle Ergebnisse). Als mittlerer Anpressdruck ohne die Einwirkung einer Scherlast wurde für die Steckmuffen-Verbindung System TYTON® ein Wert von 22,2 bar ermittelt. Unter Scherlast ergab sich an der entlasteten Seite der Steckmuffen-Verbindungen System TYTON® ein gemittelter Anpressdruck von 17,5 bar.

10 Einwuchsrisiko und Wurzelfestigkeit im Licht des Technischen Regelwerkes

in Deutschland nach DIN 4060 [11] als nachgewiesen, wenn die Rohrverbindung unter Scherlast eine Dichtheitsprüfung bei Über- bzw. Unterdruck bestanden hatte (Bild 10). Dies geschah unter der Annahme, dass Wurzeln lediglich in undichte Rohrverbindungen einwachsen können.

Dies änderte sich aufgrund der in [2] und [3] beschriebenen Forschungsergebnisse und wurde bei der Veröffentlichung des fachübergreifenden Regelwerks „Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle“, das textgleich als DWA-M 162 [12], DVGW-Merkblatt GW 125 und FGSV 939 erschien, berücksichtigt. Als wichtige Veränderung wird in den beiden Kapiteln Dichtheit und Wurzelfestigkeit ([12], Kapitel 5.5) sowie Rohrverbindungen ([12], Kapitel 5.6) erstmals ein Einwuchsrisiko für dichte Rohrverbindungen beschrieben ([12], Kapitel 5.5): „Wurzeln können nicht nur in undichte Rohre bzw. Rohrverbindungen einwachsen, sondern auch in dichte Rohrverbindungen, die den Wurzeln keinen ausreichenden Widerstand entgegenstellen.“

Weiterhin wird ausgeführt: „Bei Neubau und fachgerechter Herstellung von Rohrverbindungen (z. B. nach DIN EN 1610/ DWA-A 139 für Abwasser) kann davon ausgegangen werden, dass die Gefahr des Einwachsens von Wurzeln in die Leitung gering ist. Zur Erhöhung des Widerstands gegen Wurzeleinwuchs können zusätzliche bauliche Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden ([12], Kapitel 7)“.

Bild 10:
Scherlastprüfung für Rohrverbindungen von Abwasserkanälen und -leitungen mit Ealstomerdichtungen nach [11]
[Quelle: EADIPS/FGR]

Als zusätzliche bauliche Sicherungsmaßnahmen werden in [12], Kapitel 7.2.2, Maßnahmen beschrieben, die im direkten Bereich von unterirdischen Leitungen bzw. Leitungsgräben ergriffen werden, sogenannte passive Schutzmaßnahmen. Zu den passiven Schutzmaßnahmen gehören:

  • Einsatz porenraumarmer Verfüllstoffe im Rohr- und Leitungsgraben,
  • Einbau von Mantelrohren (Schutzrohren) um die Leitung,
  • Einbau von Platten oder Folien im Leitungsgraben,
  • Auswahl wurzelferster Rohrverbindungen,
  • weitere Einbauten.

Aus [12], Kapitel 5.5, des Merkblattes „Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle“ lässt sich somit das Einwuchsrisiko in Steckmuffen-Verbindungen ableiten, selbst dann, wenn die Rohrverbindung fachgerecht hergestellt wurde. Eine Steckmuffen-Verbindung mit dem geringsten bzw. keinem Einwuchsrisiko würde dann als wurzelfest gemäß [12], Kapitel 7, eingestuft werden.

11 Messung des Anpressdrucks an Rohrverbindungen

Die Geometrie des Dichtmittels und der daraus resultierende Einfluss auf den erzeugten Anpressdruck blieben bei der Scherlastprüfung [11] unberücksichtigt. Es wurde lediglich die kurzzeitige Beanspruchung des Dichtmittels im Versuch abgebildet. Eigenschaftsänderungen des Elastomers wie die Verringerung des Anpressdrucks unter länger andauernder Scherlast blieben unberücksichtigt.

In EN 14741 [13] wird ein Prüfverfahren zur Bestimmung des Langzeit-Dichtverhaltens von Elastomer-Dichtungen durch Extrapolation und Abschätzung des Dichtdrucks nach 100 Jahren beschrieben. Das Verfahren lautet in EN 14741 [13] wie folgt: „Der Dichtdruck in einer Verbindung wird geschätzt durch Messen des zum Anheben der Dichtung erforderlichen Drucks in jedem der drei PTFESchläuche, die gleichmäßig um den Umfang einer Verbindung zwischen Gummidichtung und Außenwand des Spitzendes oder, sofern zutreffend, der Muffe verteilt angebracht sind (Bild 11). In einer Umgebung mit Temperaturregelung und in zunehmenden Zeitabständen wird Stickstoff oder Luft mit einer konstanten Durchflussgeschwindigkeit von 120 ml/min durch drei biegsame PTFESchläuche gepresst. Der für das Erreichen dieser Durchflussgeschwindigkeit erforderliche Stickstoff- oder Luftdruck p wird gemessen. Der Druck pt wird innerhalb eines Zeitraumes in zunehmenden Zeitabständen gemessen. Die extrapolierten Regressionslinien für pt werden verwendet, um die geschätzten Werte px nach 100 Jahren und py nach24 h zu errechnen.“

PTFE (Polytetrafluorethylen)-Schlauch:
gedehnter Schlauch, der normalerweise als Schrumpfschlauch verwendet wird. Der ursprüngliche Durchmesser und die ursprüngliche Wanddicke nach dem Schrumpfen sind normalerweise festgelegt. Es ist zu beachten, dass die Maße im gedehnten Zustand normalerweise nicht festgelegt sind. Die ermittelte Wanddicke und der ermittelte Durchmesser sind sorgfältig zu überprüfen. Die angegebenen Grenzabweichungen sollten als Richtlinie für den Lieferanten angesehen werden.

pt:
der im PTFE-Schlauch bei einer Durchflussgeschwindigkeit von 120 ml/min während der Zeit t [h] gemessene Druck [bar]

px:
extrapolierter Druck nach 100 Jahren [bar]

py:
berechneter Druck nach 24 h [bar]

Der Versuchsaufbau ist in Bild 11 dargestellt. Die Untersuchungen werden nach EN 14741 [13] ohne die Einwirkung von Scherlasten durchgeführt.
In Bild 12 ist ein typischer Verlauf einer Anpressdruckmessung mit anschließender Extrapolation beispielhaft dargestellt.

Bild 11:
Messung des Anpressdrucks, entnommen aus [2],veröffentlicht in [14]
[Quelle: EADIPS/FGR)

Bild 12:
Typischer Verlauf einer Anpressdruckmessung mit anschließender Extrapolation
[Quelle: EADIPS/FGR]

12 Nachweis der Wurzelfestigkeit von TYTON®-Steckmuffen-Verbindungen

Im Folgenden wird ein Weg aufgezeigt, wie die Wurzelfestigkeit von Steckmuffen-Verbindungen in Anlehnung an EN 14741 [13] mit einem
modifizierten Versuch zur Ermittlung des Langzeit-Dichtverhalten von Elastomer-Dichtungen durch Abschätzung des Dichtdrucks nachgewiesen werden kann. Für die Anwendbarkeit und die anschließende Interpretation der Ergebnisse müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

Bild 13:
Schematische Darstellung des Prüfaufbaus in Anlehnung an EN 14741 [13]: Steckmuffen-Verbindung mit einem maximalen Verbindungsspalt. Umfang des Spitzendes um den Betrag der Messmittel (PTFE-Schläuche) verringert. Messung mit vier PTFE-Schläuchen, die im durch Scherlast entlasteten Rohverbindungsbereich eingebaut werden (Zeichnung EN 14741 [13], ergänzt durch J. Rammelsberg)
[Quelle: EADIPS/FGR)

  • Die im Rahmen der Prüfung eingesetzten Rohrwerkstoffe und Steckmuffen-Verbindugen sich nachweislich diffusionsdicht [15], sodass die Sauerstoffversorgung der Wurzeln im Leitungsgraben über das Rohrsystem unterbleibt.
  • Es werden die minimal möglichen Anpressdrücke für die zu prüfende Steckmuffen-Verbindung ermittelt. Hierfür sind z. B. die Randbedingungen der Typ-Prüfungen duktiler Gussrohr-Verbindungen zu beachten.
  • Es werden Steckmuffen-Verbindungen mit einem maximalen Verbindungsspalt nach EN 598 [10] eingesetzt, die in achsgleicher Lage mit einer Scherlast belastet werden.
  • Die Wanddicke des eingesetzten Messmittels (PTFE-Schlauch) kann bereits die Anpressdruckmessung beeinflussen. Um dies zu berücksichtigen, ist vor der Prüfung der Durchmesser des Spitzendes um einen entsprechenden Betrag (z. B. durch "Abdrehen") zu verringern.
  • Die Prüfungen werden repäsentativ für die in EN 598 [10] beschriebenen DN-Gruppierungen an Steckmuffen-Verbindungen DN 200, DN 400 und DN 800 durchgeführt.

Der Versuchsaufbau ist in Bild 13 dargestellt.

Abweichend von den Vorgaben in EN 14741 [13] werden nicht drei, sondern vier PTFE-Schläuche auf der unbelasteten Seite der in Bild 13 dargestellten achsgleich montierten und scherkraftbelasteten Verbindung zwischen der Dichtung und der Oberfläche des Einsteckendes entsprechend Bild 14 auf den Positionen 0°, 45°, 90° und 300° positioniert. Danach werden die zum Anheben der Dichtung erforderlichen Drücke gemäß EN 14741 [13] in den vorgegebenen Zeitabständen gemessen.

Bild 14:
Anordnung der Prüfschläuche
[Quelle: EADIPS/FGR]

Die Wurzelfestigkeit der geprüften Steckmuffen-Verbindung gilt als nachgewiesen, wenn der Anpressdruck zwischen Elastomerdichtung und Spitzende einer Steckmuffen-Verbindung größer ist als der mittlere Druck der Wurzelspitze und somit auch die Breite der Dichtfläche als ausreichend groß angenommen werden kann, um die Wurzelspitze vom Sauerstoffangebot im Porenraum des Bodens abzuschneiden (Diffusionsdichtheit).

Dies ist bei den Steckmuffen-Verbindungen System TYTON® und System STANDARD der Fall, wenn der nach dem hier beschriebenen Verfahren in Anlehnung an EN 14741 [13] extrapolierte Druck nach 100 Jahren, ermittelt an Steckmuffen-Verbindungen mit einem maximalen Verbindungsspalt nach EN 598 [10], im Mittel größer ist als 7,0 bar.

Mit dem hier dargestellten Verfahren wurden Untersuchungen zur Abschätzung des Dichtdrucks an Steckmuffen-Verbindungen, System TYTON®, der Nennweiten DN 200 und DN 400 durchgeführt [16]. Den realen Versuchsaufbau zeigen die Bilder 15 und 16.

Für die TYTON®-Steckmuffen-Verbindung DN 200 wurde ein Mittelwert von 7,67 bar nach 100 Jahren abgeschätzt und für die TYTON®-Steckmuffen-Verbindung DN 400 betrug der abgeschätzte Mittelwert 7,76 bar nach 100 Jahren. Im Ergebnis werden die geprüften Steckmuffen-Verbindungen als wurzelfest eingestuft.

Bild 15:
Prüfaufbau für eine TYTON®-Steckmuffen-verbindung DN 200 in Anlehnung an EN 14741 [13] beim IRO "Institut für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V."
[Quelle: EADIPS/FGR]

Bild 16:
Prüfaufbau für eine TYTON®-Steckmuffen-Verbindung DN 400 in Anlehnung an EN 14741 [13] beim IRO "Institut für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V."
[Quelle: EADIPS/FGR]

Die Details der Messungen, Ergebnisse und Auswertung sind im Prüfbericht Nr.: G 32 980 vom 14.02.2013 – Ermittlung des Langzeit-Dichtverhaltens von TYTON®-Steckmuffen-Verbindungen mit Elastomer-Dichtungen durch Abschätzen des Dichtdrucks in Anlehnung an EN 14741 [13] – der Iro GmbH Oldenburg enthalten [16]. Er kann unter www.eadips.org/ gutachten/ eingesehen bzw. heruntergeladen werden.

13 Zusammenfassung und Ausblick

Die Gründe für das Einwachsen von Baumwurzeln in Abwasserleitungen und Kanäle wurden in den letzten 15 Jahren erforscht. Als maßgebliche Ergebnisse sind hervorzuheben:

  • Dichtefallenmodell,
  • Sauerstoffmodell,
  • Möglichkeit des Wurzeleinwuchs in wasserdichte Verbindungen,
  • Einfluss der Verbindungskonstruktion und der Dichtungsgeometrie,
  • Diffusionsdichtheit des Werkstoffs für Rohr und Dichtung,
  • Höhe des Anpressdrucks der Dichtung,
  • Folgen für das Technische Regelwerk.

Duktile Guss-Rohrsysteme, inklusive ihrer Steckmuffen-Verbindungen sind nachweislich diffusionsdicht, sodass eine Sauerstoffversorgung des Wurzelwerks im Leitungsgraben ausgeschlossen werden kann und somit ein maßgeblicher Anreiz für das Wurzelwachstum fehlt. Außerdem wurde im Rahmen von [2] gezeigt, dass die Anpressdrücke und Anpressdruckflächen duktiler Guss-Rohrverbindungen weit oberhalb der ebenfalls experimentell ermittelten mittleren Wurzeldrücke liegen.

In den Produktnormen für duktile Guss-Rohrsysteme [10] werden die üblichen Funktionsprüfungen zur Dichtheit der beweglichen Rohrverbindungen mit einem maximalen Verbindungsspalt unter gleichzeitiger Einwirkung einer Scherlast durchgeführt. Bei der Revision der Produktnorm EN 598 [10] wird die Anforderung und Prüfung auf Wurzelfestigkeit als zusätzliches Element in Form einer Langzeitprüfung in die Norm aufgenommen.

Aufbauend auf diesen Ergebnissen ergeben sich Anwendungen im unterirdischen Raum, die eine wurzelfeste Steckmuffen-Verbindung voraussetzen. Eine dieser Anwendungen wird im Beitrag „Das Schwammstadt-Prinzip – vom Rohr-Boden- zum Boden-Rohr-System – Lösungen mit duktilen Guss-Rohrsystemen“ beschrieben.

Literatur
[1] Stein, D. und Kaufmann, O.: Schadensanalyse an Abwasserkanälen aus Beton- und Steinzeugrohren der Bundesrepublik Deutschland – West Korrespondenz Abwasser, 1993-02
[2] Stützel, T. u. a.: Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle - Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit dem IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH, Forschungsendbericht Juli 2004
Download: www.ikt.de/website/down/f0108langbericht.pdf
[3] Stützel, T. u. a.: Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle – Ergänzungsvorhaben, Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit dem IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH, Forschungsendbericht Juni 2007
Download: www.ikt.de/website/down/f0160langbericht.pdf
[4] Porterfield, D. M. und Musgrave, M. E. (1998): The tropic response of plant roots to oxygen - Oxytropism in Pisum sativum L. Planta 206 (1): 1–6 Zitiert in Streckenbach, M.: Interaktionen zwischen Wurzel und unterirdischer technischer Infrastruktur – Grundlagen und Strategien zur Problemvermeidung Dissertation 2009-06, Download: www.streckenbach.org/projekt_jul_2009.html
[5] Kuntze, H., Roeschmann, G. und Schwertfeger, G.: Bodenkunde, Thieme-Verlag, 5. Auflage, 1994
[6] DIN 28603: 2002-05
[7] E-Book 10.2015, Kapitel 8, Download: www.eadips.org/e-book-d/
[8] Ridger, D. u. a.: Evaluation of testing of concrete and PVC pipes, Published in: Final scientific report of COST Action C 15 “Improving relations between technical infrastructure and vegetation”, 2008
[9] Whittle, A.: The resistance of elastomeric seal pipe joints to tree root penetrationm, 2003-07
[10] EN 598: 2009-10
[11] DIN 4060: 1998-02
[12] DWA-M 162: 2013-02
[13] EN 14741: 2006-05
[14] Scharwächter, D.: Long Term tightness of sealing joints in non-pressure plastic pipe systems, Plastic Pipes XI, 2001
[15] Wolf, W.: fgr Heft 10 (1975), S. 55 ff
[16] Rolwers, S.: Prüfbericht Nr.: G 32 980 – Ermittlung des Langzeit-Dichtverhaltens von TYTON®-Steckmuffen-Verbindungen mit Elastomer-Dichtungen durch Abschätzen des Dichtdrucks in Anlehnung an EN 14741 [13], Iro GmbH Oldenburg, 2013-02-14
Autor:
Dipl.-Ing. Christoph Bennerscheidt
EADIPS®/FGR® European Association for Ductile Iron Pipe Systems/
Fachgemeinschaft Guss-Rohrsysteme e. V.
Doncaster-Platz 5
45699 Herten/Deutschland
Telefon: +49 (0)2366/9943905
E-Mail: c.bennerscheidt@eadips.org

 

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