25 % mehr tödliche Unfälle innerhalb eines Jahres

21.01.2008

Deutschlandweit starben 2006 in der Bauwirtschaft 141 Menschen und damit 28 mehr als ein Jahr zuvor. 2005 waren es 113. Die Hoffnung die tödlichen Unfälle um 10-15 % zu reduzieren um die Zahl 100 zu unterschreiten, hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil so Rudi Clemens, Leiter des INQA Projektes Gesunde-Bauarbeit im Kreis Heinsberg.

Die Zahl der schweren Unfälle insgesamt stieg im selben Zeitraum um rund 5200 auf knapp 129 000 an. 3031 Bauleute wurden durch einen Unfall dauerhaft arbeitsunfähig, elf Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Dieses erschreckende Ergebnis wurde Ende November von der Bauberufsgenossenschaft BG BAU veröffentlicht. Grund für die höheren Unfallzahlen sei unter anderem die anziehende Wirtschaftskonjunktur gewesen, durch die mehr gebaut worden sei, argumentierte man bei der Berufsgenossenschaft BG Bau.

Die Dunkelziffer bei den genannten Negativzahlen dürfte allerdings deutlich höher liegen, weil immer mehr Selbständige (auch Scheinselbständige und Ich-AGler) nicht erfasst werden. Die Beschäftigtenzahl im Baugewerbe ging 2006 indes leicht zurück. Waren es im Juni 2005 noch 733.757 Beschäftigte, reduzierte sich die Zahl bis Juni 2006 auf 729.062 Beschäftigte.

Die Bautätigkeit, gemessen an der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, lag bis einschließlich August des Jahres 2006 um 2,1 % unter dem Vorjahreswert. Die anziehende Konjunktur kann für die drastische Erhöhung der Unfallzahlen also nicht verantwortlich gemacht werden. Im Jahr 2006 wurden im Baugewerbe die höchsten Arbeitsunfallhäufigkeitsraten gegenüber allen Branchen mit 45 angezeigten Arbeitsunfällen je 1 Million Arbeitsstunden gemessen. Sie liegen damit knapp 3-mal so hoch wie der Durchschnitt der gewerblichen Berufsgenossenschaften (17).

Die Unfallhäufigkeit gemessen an einer Million Arbeitsstunden stieg um 4,4%
Wie sehr die deutsche Bauwirtschaft seit den 90er-Jahren unter Druck geraten ist, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen. Mitte 1999 waren es 1,13 Mio. im Bauhauptgewerbe, Mitte 2006 noch knapp 730.000 und aktuell (Ende Juli 2007) 706.000 (Statistisches Bundesamt). Wenn auch im Jahre 2007 genauso viele tödliche Unfälle passiert sind wie in 2006, dann hat exakt jeder 5000. Bauarbeiter sein Leben auf der Baustelle verloren. Eine traurige Zahl, die nicht weiter hinnehmbar ist. Die Zahlen von 2007 werden sicher auch wieder erst Ende des Jahres 2008 veröffentlicht. „Es ist aber nicht anzunehmen, dass die besser sind", befürchtet Rudi Clemens.

Im Jahr 2006 kontrollierten die Mitarbeiter der Dresdner Arbeitsschutzbehörde 418 Tiefbaustellen. Davon bestand bei 182 Baustellen die Gefahr des Einrutschens von Erdmassen. In der Regel musste die Weiterarbeit unterbunden werden. Dieser Befund ist befremdlich, da im Allgemeinen auf Tiefbaustellen Fachfirmen tätig sind. Fast alle Tiefbauunternehmen besitzen das Gütezeichen "RAL Kanalbau", was für Qualität der Bauausführung unter Einsatz von qualifiziertem Personal steht (aus dem Jahresbericht der Gewerbeaufsicht des Freistaates Sachsen 2006).

Auch in der nordrhein-westfälischen Bauwirtschaft ist in den vergangenen Jahren. die Zahl der tödlichen Unfälle deutlich gestiegen. Während 2004 noch 13 Menschen bei Bautätigkeiten ums Leben gekommen seien, seien es 2006 mit 24 fast doppelt so viele gewesen, sagte ein Sprecher der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau).

Die meisten schweren Unfälle gebe es bei Dach- und Abbrucharbeiten, so der Präventionsleiter der BG Bau, Karl-Heinz Noetel. Dies bestätigen auch die Presseberichte über tödliche Unfälle 2007. „Die Regeln und Vorschriften zum Schutz gegen Abstürze, wie Seitenschutz, Absperrungen an Arbeitsflächen, Fanggerüste und Auffangnetze müssen konsequent beachtet werden." so Jutta Vestring, Geschäftsführungsmitglied der BG BAU. Im Jahr 2008 wird es Schwerpunktaktionen der BG BAU für Gerüstbauer und Beschäftigte im Abbruchgewerbe geben, damit werden die Beschäftigten auf gefährliche Sturz- und Absturzsituationen vorbereitet.

Nicht selten versuchen Unternehmer, gerade im Bereich Sicherheit Kosten zu sparen, nehmen Pflichtverletzungen bewusst in Kauf und begründen die beanstandeten Mängel mit dem hohen Termin- und Kostendruck. Die Betriebe, welche es am nötigsten haben - die so genannten schwarzen Schafe - werden ihre Leute auch freiwillig kaum zur Schulung schicken, so Rudi Clemens, Betriebsratsvorsitzender und Sicherheitsfachkraft. Von mehr Kontrollen und Strafen für beratungsresistente Betriebe und auch Beschäftigte wurde nicht gesprochen. Auch der Staat zieht sich mit der Deregulierung des Arbeitsschutzes und weniger Personal aus seiner Verantwortung zurück.

Der Zeitdruck, unter dem auf Baustellen gearbeitet wird, wird immer unerträglicher. Oft ist es so, dass die Beschäftigten selbst auf Sicherheitsmaßnahmen verzichten, um die Arbeit schneller zu erledigen, so der Sicherheitsexperte weiter.

Auffallend ist bei den zufällig ausgewählten tödlichen Unfällen 2007 der hohe Anteil der um die 50jährigen, die den weitaus größten Teil darstellen, wenn man die beiden Unfälle mit den durch Blitzschlag getöteten und den Kraftwerksunfall in Neurath heraus nimmt, wo die Leute vermutlich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Sind die „Älteren“ unaufmerksamer durch physischen Leistungsabfall, oder riskieren sie einfach mehr, weil sie die jahrzehntelange Routine sorgloser gemacht hat? In der Regel mangelt es bei den Bauausführenden nicht an fachlichem Wissen. Häufig wird infolge subjektiver Unterschätzung vorhandener Gefahren seitens der Unternehmer, Bauleiter und Aufsichtsführenden aber auch der Beschäftigten auf die erforderlichen sicherheitstechnischen Maßnahmen bei der Arbeit verzichtet.

Die Ursachen für Unfälle sind vielfältig. Maschinen spielen eine Rolle, beispielsweise beim Rückwärtsfahren, oder Aufenthalt im Gefahrenbereich, auch falsch angehängte Lasten, Gruben und Gräben und immer wieder Absturz. Vom Dach, in den Aufzugschacht, oder in sonstige Öffnungen. Zeitdruck, Überstunden und weite Anfahrtswege. Studien zeigen: wer zu lange arbeitet, lebt gefährlich. Mit der Zahl der Überstunden steigt das Unfallrisiko rapide an. Laut einer amerikanischen Studie erhöht sich das Risiko von Erkrankung oder Verletzung bei Beschäftigten, die mehr als 12 Stunden täglich arbeiten, um 23 Prozent! Andere Studien kommen sogar auf ein erhöhtes Risiko von bis zu 28 Prozent. Und eine noch größere Gefahr bei schwerer körperlicher Arbeit (30 Prozent).

Was ist aber zu tun?
Durch rund 4 Mio. Unfälle am Arbeitsplatz sterben in der EU im Jahr nach Angaben der EU-Kommission nicht nur etwa 5.100 Menschen, sondern es entstehen auch enorme finanzielle Schäden. „Allein im Jahr 2000 beliefen sich die Kosten für Arbeitsunfälle in der EU auf 55 Mrd. EUR", so der für Arbeit und Soziales zuständige Kommissar Vladimir Spidla Er präsentierte Anfang 2007 eine Strategie der Kommission, mit der Unfälle und Berufskrankheiten bis 2012 um ein Viertel verringert werden sollen. Die Mitgliedstaaten sollen in den am meisten betroffenen Branchen - dazu gehören Baugewerbe, Landwirtschaft, Verkehrs- und Gesundheitswesen - zum Beispiel für ein besseres Sicherheitstraining sorgen und Anreize für sicherere Arbeitsplätze geben. Die Unfälle sollen in 5 Jahren um 25 % verringert werden. In Deutschland ist allein die Zahl der durch Unfall getöteten Bauarbeiter in einem Jahr um 25 % angestiegen. „Das ist unerträglich", so Clemens.

Weniger Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle bedeuten nach Meinung der Kommission mehr Wettbewerbsfähigkeit für die EU. Die Arbeitgeber seien zum Beispiel durch Krankengeld, Produktivitätsverluste und Kosten für Aushilfskräfte belastet. Einen wesentlichen Teil der Kosten müssten die sozialen Sicherungssysteme und die öffentliche Hand tragen und die Einkommensverluste kranker Arbeitnehmer beliefen sich auf etwa 1 Mrd. EUR im Jahr. Besonders betroffen sind nach Kommissionsangaben kleine und mittlere Unternehmen, wo 82 % aller Verletzungen und 90 % aller tödlichen Unfälle passieren.

In erster Linie trägt der Arbeitgeber Verantwortung. Er muss eine gesunde Organisation aufbauen, aus der eine Gesundheits- und Sicherheitskultur aufgebaut werden kann. Unterstützen können ihn dabei Berufsgenossenschaft, Bezirksregierung und regionale Netzwerke, wo er fachliche Hilfe abrufen kann. Allein ist er mit Gesetzen und Verordnungen hoffnungslos überfordert. Im Rahmen der Deregulierung hat er mehr Arbeit, höhere Verantwortung und braucht mehr Fachwissen, z.B. bei der Gefährdungsbeurteilung. Letztere ist seit 1996 Pflicht und bei den meisten überhaupt noch nicht angekommen.

Solange Arbeitsschutz nicht den entsprechenden Stellenwert in den Köpfen der Unternehmer und in den Unternehmensleitlinien findet, solange ändert sich überhaupt nichts. Die Treppe wird von oben nach unten gekehrt, sagt ein Sprichwort.

Klare Linien müssen festgelegt werden, wie zu verfahren ist. Gute Leistungen müssen honoriert, Fehlleistungen und Fehlverhalten gemahnt, den Betroffenen erläutert und im Wiederholungsfalle geahndet werden.

Die Mitarbeiter müssen mit einbezogen werden. Nicht nur laut Arbeitsschutzgesetz, so Clemens. Er fordert auf jeder Baustelle einen freiwilligen Helfer der sich um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz kümmert, wie von Gesunde-Bauarbeit vorgeschlagen. Entscheidend ist, die Menschen auf den Baustellen für den Arbeitsschutz zu sensibilisieren. Man muss das Thema immer wieder mit der tagtäglichen Arbeit abgleichen. Die Gefährdungen erkennen, sie beurteilen und Maßnahmen treffen. Nicht der Waghalsige ist der Held, sondern der Umsichtige und Verantwortungsbewusste ist der Profi. Ein Wettbewerb um sichere und gesunde Arbeitsplätze kann hier sehr viel bewirken. Es ist Zeit, mehr zu tun...

Weitere Informationen und Kontakt:
Gesunde-Bauarbeit
Rudi Clemens
Tannenstraße 22
52538 Gangelt
Tel.: +49 (0) 1520 983 51 49
Fax: +49 (0) 1805 060 347 833 9
eMail: clemens@gesunde-bauarbeit.de
Web: http://www.gesunde-bauarbeit.de

Kontakt

Gesunde-Bauarbeit

E-Mail:

clemens@gesunde-bauarbeit.de

Internet:

Zur Webseite