Forschung enthüllt die Komplexität von Hochwasserereignissen
06.05.2024
Das katastrophale Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vor drei Jahren verdeutlichte die verheerenden Folgen von Flussüberschwemmungen. Um künftige Schäden zu minimieren und Hochwasserrisiken besser zu bewerten, ist ein tieferes Verständnis der beteiligten Variablen von entscheidender Bedeutung. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) haben mittels Erklärbarer Künstlicher Intelligenz herausgefunden, dass die Schwere von Überschwemmungen zunimmt, wenn mehrere Faktoren zusammenwirken.
Ihre Erkenntnisse wurden im Fachjournal Science Advances veröffentlicht.
Vielfältige Einflüsse auf Überschwemmungen
Lufttemperaturen, Bodenfeuchte, Höhe der Schneedecke und tägliche Niederschlagsmenge vor einem Hochwasser sind wichtige Variablen bei dessen Entstehung. Forscher des UFZ untersuchten über 3.500 Flusseinzugsgebiete weltweit und analysierten Hochwasserereignisse von 1981 bis 2020. Ergebnis: Nur ein Viertel der 125.000 Hochwasserereignisse wurde ausschließlich durch Niederschlag verursacht. Bodenfeuchte war in über 10%, Schneeschmelze und Lufttemperatur jeweils in etwa 3% der Fälle entscheidend. Mehr als die Hälfte der Überschwemmungen (51,6%) wurden von mindestens zwei Faktoren verursacht, wobei die Kombination von Niederschlag und Bodenfeuchte am häufigsten (23%) auftrat.
Die UFZ-Forschenden entdeckten während der Datenanalyse auch, dass drei oder sogar alle vier Variablen gemeinsam für Hochwasserereignisse verantwortlich sein können. Zum Beispiel waren Temperatur, Bodenfeuchte und Schneedecke für etwa 5.000 Überschwemmungen ausschlaggebend, während alle vier Faktoren bei etwa 1.000 Ereignissen eine Rolle spielten. Zudem stellten sie fest, dass Hochwasserereignisse immer extremer ausfallen, je mehr Variablen beteiligt sind. Prof. Jakob Zscheischler, Leiter des UFZ-Departments “Compound Environmental Risks” und Letztautor des Artikels, betont, dass der Anteil mehrerer Variablen an einem Hochwasser mit der Zeit zunimmt: von 51,6% bei einem 1-jährlichen Hochwasser auf 70,1% bei einem 5-Jahres-Hochwasser und 71,3% bei einem 10-Jahres-Hochwasser. Dies deutet darauf hin, dass eine zunehmende Anzahl von Faktoren die Entstehung extremer Hochwasserereignisse beeinflusst, was von den Autoren als Hochwasserkomplexität bezeichnet wird.
Hochwasserkomplexität in verschiedenen Flusseinzugsgebieten
Die Forscher klassifizierten Flusseinzugsgebiete mit geringer Hochwasserkomplexität, wie die nördlichen Regionen Europas und Amerikas sowie den Alpenraum, wo die Schneeschmelze unabhängig von der Abflussmenge dominierend ist. Ähnlich verhält es sich im Amazonasbecken, wo hohe Bodenfeuchte während der Regenzeit häufig zu unterschiedlich ausgeprägten Überschwemmungen führt.
In Deutschland zählen die Havel und die Zusam, ein Nebenfluss der Donau in Bayern, zu den Flusseinzugsgebieten mit niedriger Hochwasserkomplexität. Regionen mit hoher Hochwasserkomplexität sind hingegen Ostbrasilien, die Anden, Ostaustralien, die Rocky Mountains bis zur US-Westküste sowie die west- und mitteleuropäischen Ebenen. In Deutschland gehören dazu beispielsweise die Mosel und der Oberlauf der Elbe. “Einzugsgebiete in diesen Regionen weisen in der Regel mehrere Überflutungsmechanismen auf”, erklärt Jakob Zscheischler. So können Flusseinzugsgebiete in den europäischen Ebenen von Überschwemmungen betroffen sein, die durch das Zusammenspiel von hohen Niederschlägen, Schneeschmelze und hoher Bodenfeuchte verursacht werden.
Die Rolle der Landoberfläche bei Hochwasserprozessen
Die Beschaffenheit der Landoberfläche ist entscheidend für die Komplexität von Hochwasserprozessen, da jedes Flusseinzugsgebiet seine eigenen Besonderheiten aufweist. Diese umfassen den Klima-Feuchtigkeits-Index, die Bodentextur, die Waldbedeckung, die Größe des Einzugsgebiets und das Flussgefälle. In trockeneren Regionen sind die Hochwassermechanismen heterogener. Für moderate Hochwasser genügen dort wenige Tage mit starkem Regen, während für extreme Hochwasser längere Regenperioden auf feuchte Böden erforderlich sind, erklärt Erstautor Dr. Shijie Jiang, der jetzt am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena tätig ist.
Die Wissenschaftler:innen nutzten für die Analyse das sogenannte Explainable Machine Learning, also erklärbares maschinelles Lernen. “Dabei sagen wir zuerst aus den zehn Treibern – Lufttemperatur, Bodenfeuchte und Schneedecke sowie dem wöchentlichen Niederschlag, der für jeden Tag als einzelner Treiber genutzt wird -, die Abflussmenge und damit die Größe des Hochwassers vorher”, erläutert Jakob Zscheischler. Dann wird ermittelt, welchen Beitrag einzelne Variablen und Kombinationen von Variablen zur Abflussmenge bei einem spezifischen Hochwasser geleistet haben.
Dieser Ansatz wird als erklärbares maschinelles Lernen bezeichnet, da er darauf abzielt, das komplexe Modell zwischen Hochwassertreibern und Abflussmenge im Hochwasserfall zu verstehen. “Diese neue Methodik ermöglicht es uns, zu quantifizieren, wie viele Treiber und Treiberkombinationen für die Entstehung und Intensität von Überschwemmungen relevant sind”, fügt Shijie Jiang hinzu.
Verbesserung der Hochwasservorhersage durch neue Forschungsergebnisse
Die Ergebnisse der UFZ-Forschung sollen zukünftig bei der Vorhersage von Hochwasserereignissen unterstützen. “Unsere Studie trägt dazu bei, insbesondere extreme Hochwasser besser einschätzen zu können”, erklärt Klimaforscher Jakob Zscheischler. Bisherige Abschätzungen von Hochwasser basierten auf der Extrapolation weniger extremer Werte, was jedoch zu ungenauen Prognosen führen kann, da bei sehr extremen Hochwasserereignissen die Einflüsse der einzelnen Faktoren variieren können.
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