Kanalgipfel 2016 - Statement der Kanalflüsterer zum Werterhalt
15.06.2016
Mit einer Länge von 540.723 km [1] öffentlicher Abwasserkanäle und -leitungen zzgl. des zwei- bis dreifachen an Grundstücksentwässerungsleitungen stellen die Entwässerungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland ein gewaltiges Anlagevermögen dar. Der Wiederbeschaffungswert der Abwasserinfrastruktur in Deutschland wird auf gut eine Billion Euro geschätzt, wobei die Entwässerungssysteme den größten Anteil davon einnehmen [2]. Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) und die „Aktionsgemeinschaft Impulse pro Kanalbau“ schätzen den Wert für die öffentlichen Entwässerungssysteme auf 687 Mrd. Euro Wiederbeschaffungskosten [1] [3].
Bei einer durchschnittlichen Nutzungsdauer aller Objekte der Entwässerungssysteme von 80 Jahren wären dementsprechend jährliche Reinvestitionen in Höhe von 8,6 Mrd. Euro erforderlich. „Dem stehen jährliche Investitionen im Bereich der Abwasserinfrastruktur von etwa 4,5 Mrd. Euro gegenüber. Hier besteht ein erhebliches Missverhältnis zwischen den getätigten Investitionen und dem Wert der Anlagen“ [2]. Diese Investitionssummen sind nicht auf Sanierungsmaßnahmen beschränkt, sondern beinhalten sowohl Neubaumaßnahmen als auch Investitionen in Kläranlagen. Damit ist das Missverhältnis zwischen erforderlicher und tatsächlicher Reinvestition real noch wesentlich größer.
Das vorhandene Anlagevermögen der Entwässerungssysteme wurde aus Abwassergebühren und durch die Baubeiträge der Anlieger gebildet. Allerdings ist das Bewusstsein bezüglich dieses Anlagevermögens in der Gesellschaft nicht sehr stark verankert, so dass der jährliche Vermögensverzehr in Milliardenhöhe außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung liegt.
Der gewaltige Vermögenswert unserer Entwässerungssysteme und deren rechtliche, gesellschaftliche und technische Bedeutung sollten eigentlich eine von allen Seiten ausreichend akzeptierte Verpflichtung sein, diese Anlagen verantwortlich zu verwalten und dafür zu sorgen, dass sie erhalten bleiben. Sie verfallen zu lassen, bedeutet entweder die damit verbundenen Schutzziele aufzugeben oder den Zwang zu erzeugen, das Vermögen in der Zukunft neu bilden zu müssen [4].
Auch im Sanierungsfall, dürfen die Wirtschaftlichkeit für den Betreiber der Anlagen (betriebswirtschaftliche Sicht) und die gesellschaftliche Dimension (volkswirtschaftliche Sicht) bei der Planung der Maßnahmen nicht vergessen werden. Dabei stellt sich, auf Grund der großen finanziellen Tragweite, immer auch die Frage nach der richtigen Vorgehensweise. Planer und Betreiber von Abwasserinfrastrukturanlagen sind bisher davon ausgegangen, dass für die kalkulierte Betriebsdauer von Kanälen (Neubau und Erneuerung) Zeiträume von 50 bis 80 Jahren [5] angesetzt werden können. Hierbei werden die technische und die wirtschaftliche Nutzungsdauer gleichgesetzt. Mit dem Ausbau der Entwässerungssysteme seit Mitte des vorherigen Jahrhunderts liegen mittlerweile ausreichende Erfahrungen über ihren Betrieb und ihre Bewirtschaftung vor.
Als eine Schlüsselerkenntnis dürfte die Einsicht gelten, dass nicht alle Komponenten eines Entwässerungssystems aus wasserrechtlichen, technischen und/oder planerischen Gründen bis zum Ende der kalkulatorischen Nutzungsdauer betrieben werden können. Die Gründe sind u. a. Klimawandel, chemisches oder mechanisches Materialversagen, demographische Entwicklungen sowie Stadt- und Standortentwicklungen. Mittlerweile wird deutlich, dass für erhebliche Teile der Entwässerungssysteme die angesetzten Nutzungsdauern zu revidieren sind.
Die Konsequenzen aus der Abweichung von kalkulatorischer zu tatsächlicher Nutzungsdauer sind unterschiedlich. Entweder ist ein Eingriff in die technische bzw. bauliche Substanz mit Kosten für die Instandhaltung erforderlich oder ein vorzeitiger Abgang der Anlage als Vermögensgegenstand ist nicht mehr vermeidbar. Dieser Abgang führt zu Ausfällen von satzungsgemäß zustehenden Einnahmen und letztlich zu bilanziellen Verlusten. Damit verbunden sind entweder höhere Gebühren oder Ausfälle von Einnahmen aus der Refinanzierung, welche ebenfalls zusätzliche wirtschaftliche Belastungen für die Kommunen und die Bevölkerung bedeuten [6].
Mit jedem vorzeitigen Ausfall eines noch ausstehenden Restwertes schmälert sich also die finanzielle Basis des Netzbetreibers, es sei denn die Gebühren werden entsprechend erhöht. Geschieht dies nicht, sind später höhere wirtschaftliche Belastungen zu schultern um den Anforderungen aus dem WHG [7] und der DIN EN 752 [8] mittelfristig nachzukommen.
Die über Generationen geschaffenen Entwässerungssysteme können durch eine regelmäßige Unterhaltung und Instandhaltung zur Anpassung an die jeweils aktuellen technischen, wasserrechtlichen und städtebaulichen Entwicklungen mit einem kalkulierbaren wirtschaftlichen Aufwand erhalten werden. Aber auch hier gilt der Grundsatz: aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Entweder werden die Gesetze der Wirtschaft akzeptiert, wonach die rückfließenden verfügbaren Mittel gleichmäßig zum Erhalt eingesetzt, oder heutige Unterlassungen müssen später durch einen erhöhten Kapitaleinsatz nachgeholt werden.
Mit dem Kanalgipfel, der als Fachkongress für Wertermittlung und Werterhalt von Entwässerungssystemen konzipiert ist, findet am 7. und 8. September 2016 in Frankfurt zum dritten Mal eine Veranstaltung statt, die diesen Themenkomplex unter politischen, wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten behandelt. Die Kanalflüsterer sind hierbei erneut Partner der Veranstaltung, um sich für ein effizientes „Betriebs- und Instandhaltungsmanagement“ von Entwässerungssystemen zu engagieren.
Literatur:
[1] Zustand der Kanalisation in Deutschland, Ergebnisse der DWA-Umfrage (2009)
[2] DWA-Politikmemorandum, DWA (2014)
[3] Aktionsgemeinschaft Impulse pro Kanalbau, Forderungskatalog zur nachhaltigen Sanierung der Kanalisation in Deutschland (03.2012)
[4] Grunwald, G.: Kerngedanken, 34. Essener Tagung, Aachen (2000)
[5] Leitlinien zur Durchführung dynamischer Kostenvergleichsrechnungen (KVR-Leitlinien, 2012)
[6] Stachowske, Stein: Daten- und Informationsmanagement für eine nachhaltige Vermögensbewirtschaftung von Abwasserinfrastrukturanlagen mit Prognosemodellen auf Basis betriebsbasierter Nutzungsdauern, 2013 (nicht veröffentlicht)
[7] Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (WHG), letzte Neufassung 31. Juli 2009, letzte Änderung 8. April 2013; Inkrafttreten der letzten Änderung 2. Mai 2013
[8] DIN EN 752: Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden, Deutsche Fassung prEN 752 (2008)
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