Historisches Bauwerk in Stendal
Eines der ältesten Bauwerke der unterirdischen Infrastruktur von Stendal ist die „verrohrte Uchte“: Schon 1887 „bändigte“ man das Flüsschen Uchte, das damals offen durch die Stendaler Innenstadt floss, indem man den Wasserlauf unterirdisch kanalisierte. Zu diesem Zweck baute man im Verlauf der heutigen Bruchstraße einen Haubenprofil-Kanal mit 1,74 Meter Scheitelhöhe und 1,50 Meter Sohlbreite. Der Kanal wurde in Stampfbeton-Bauweise auf einem Ziegelfundament errichtet – eine Technologie, die sich in vielen Bauwerken jener Zeit wiederfindet. Nach 130 Jahren Dauerbetrieb entstehen an diesen Bauwerken aber immer die gleichen Probleme: Der Betonverbund löst sich auf; die Wände werden porös und zunehmend undicht, verlieren oberflächlich Substanz und damit auch die Standsicherheit.
Bautechnische Besonderheit
Wenn dann noch, wie in der Stendaler Bruchstraße, aufgrund einer minimale Überdeckung von stellenweise nur 15 Zentimetern die Verkehrslast hinzu kommt, ist, speziell unter einer innerstädtischen Hauptstraße, Gefahr im Verzug und entschlossenes Handeln geboten. Das sah man auch bei Stendaler Betreibern der „verrohrten Uchte“ so und beauftragte das Magdeburger Ingenieurbüro MUTING GmbH mit der Planung eines Sanierungskonzeptes. Dabei konnte eine Lösungsvariante sehr schnell ausgeschlossen werden: Ein offener Neubau des alten Bauwerks. Der wäre wegen der instabilen Untergrundverhältnisse und des kontinuierlich hohen Grundwasserstandes höchst aufwändig und teuer geworden. Zudem hätte ein Neubau sehr lange gedauert – mitten im Stendaler Stadt- und Geschäftszentrum ein indiskutables Szenario, zumal aktuell eine vollständige bauliche Neugestaltung der Bruchstraße im Zuge der Innenstadtentwicklung realisiert wird. Hinzu kommt, dass die Bruchstraße archäologisch sensibles Gelände ist, da sie, in unmittelbarer Nachbarschaft der Marienkirche, in ihrem Verlauf Jahrhunderte alte Gräberfelder kreuzt.
Grabenlose Lösung gefragt
Bei der Wahl des geeigneten „grabenlosen“ Sanierungsverfahrens war ein zentraler Aspekt die Tatsache, dass eine zuverlässige Wiederherstellung der notwendigen Standsicherheit des alten Bauwerkes erreicht werden musste. Nach sorgfältiger technischer Abwägung entschied man sich letztlich gegen ein Kurzrohr-Relining und für ein Relining mit dem SPRTM -Wickelrohrverfahren. Diese wurde von der KMG Pipe Technologies GmbH; Niederlassung Brehna angeboten, einer Tochtergesellschaft der SEKISUI SPR, Schieder-Schwalenberg. Ausschlaggebend für die Entscheidung in Stendal war, dass beim Wickelrohrverfahren ausschließlich über vorhandene Revisionsschächte gearbeitet wird und auch auf Montagebaugruben, wie sie in der Regel für die Installation von Kurzrohren benötigt werden, verzichtet werden konnte. Aufgrund der grabenlosen Einbauweise konnte der oberirdische Straßenumbau bereits parallel zur Kanalsanierung konsequent realisiert werden.
Verfahrensbeschreibung
Das SPRTM -Verfahren ist eine moderne Variante der Wickelrohr-Lining-Technologie. Das Grundprinzip der SPRTM -Wickelrohrsanierung besteht darin, dass im defekten Sanierungsabschnitt Kanal aus einem endlosen PVC- U oder HDPE-Profilstreifen ein Liner (Wickelrohr) hergestellt wird.
Der auf eine Trommel gewickelte Endlosprofilstreifen wird über einen geöffneten Revisionsschacht in den Kanal eingeführt und von einer im Kanal installierten Wickelmaschine über eine Nut- und Feder-Mechanik mit sich selbst zu einem Rohr verbunden. So lassen sich Liner von praktisch endloser Länge herstellen: Sobald eine der oberirdischen Profiltrommeln leer ist, wird ein neuer Streifen im Heizelement-Stumpfschweiß-Verfahren angeschlossen. Von dieser kurzen Unterbrechung abgesehen, kann mit dem SPRTM -Verfahren pausenlos gearbeitet werden.
Flexibilität als Erfolgsgarant
Ein maßgeblicher Vorteil des Wickelrohrverfahrens ist seine extreme Flexibilität bei ungünstigen Profilformen und dort, wo eine offene Bauweise vermieden werden soll. Das Wickelrohrverfahren-SPRTM vermag nämlich nicht nur Kreis- und Eiprofile in Standardgrößen zu wickeln, sondern Sonderprofile jeder Art und Dimension bis zu DN 5000. Für eine neuartige Bausituation, wie sie in dem speziellen Haubenprofil der „Verrohrten Uchte“ typischerweise vorlag, bedarf es nur einer konstruktiven Anpassung des Wickelrahmens an die Maße und den Querschnitt des zu sanierenden Bauwerks. Diese Daten wurden im Bauwerk vorab mit einem 3D-Laserscan des Kanals präzise ermittelt, so dass mit der Wickelmaschine ein unterbrechungsfreier Durchlauf garantiert werden konnte. Die Besonderheit des SPRTM –Technik ist, dass die Wickelmaschine nicht im Startschacht verbleibt und den Wickelrohrstrang vor sich her in den Kanal einschiebt; statt dessen durchwandert der einzigartige Wickelrahmen das Bauwerk in voller Länge und baut das Wickelrohr hinter sich aus dem nachgezogenen Profilstreifen auf.
Die konstruktive Wirkung des gewickelten Liners als Sanierungssystem besteht übrigens keineswegs in dessen alleiniger Dichtheit und Statik. Der Wickelvorgang belässt ganz gezielt einen definierten Ringraum zwischen SPRTM -Liner und Altrohr, der im nachfolgenden Arbeitsgang mit einem hochfesten Mörtel verfüllt wird. Dazu wird der Ringraum in regelmäßigen Abständen abgemauert und zellenweise verfüllt. Letztlich dient der SPRTM -Liner also „nur“ als Schalung für eine neue Beton-Innenschale des Altkanals - und im Betrieb dann als langjährig zuverlässige Schutzbeschichtung, die das Betonbauwerk einerseits von Abwasser und Kanalatmosphäre andererseits trennt. Folgerichtig wird der Ringraum bei der Einsatzplanung auch nicht minimiert, sondern nach statischen Erfordernissen bewusst definiert. Es geht bei der Bemessung des SPRTM -Liners nicht um „so wenig Ringraum wie möglich“, sondern um „so viel Ringraum wie (statisch) nötig“. Ob die daraus resultierenden Querschnitts-Verringerungen gegenüber dem Altrohr hinnehmbar sind, ist eine Frage des hydraulischen Nachweises, der im Rahmen der Planung für jeden Einzelfall zu führen ist. Die extrem guten Reibungsbeiwerte des neuen, glatten SPRTM -Liners haben den positiven Effekt, dass ein Teil des Querschnitts-Verlustes dadurch bereits wieder kompensiert wird.
Zuläufe beim Wickeln offen
In die „Verrohrte Uchte“ münden im Verlauf der zu sanierenden Strecke einige Zulaufleitungen, die nach der Sanierung wieder anzuschließen waren. Dazu wurde der Liner an der exakt eingemessenen und farblich markierten Position des Anschlusses geöffnet und ein PVC-Rohr passender Nennweite aus dem Bauwerk heraus in den Anschluss eingeschoben. Mit dieser Technik lässt sich der Abfluss der Zulaufleitung auch bei Wickelbetrieb aufrechterhalten. Damit beim nachfolgenden Verdämmen des Ringraumes kein Material in die Anschlüsse eintreten konnte, wurde der jeweilige Anschluss vorab mit einer tief eingeschobenen Dichtblase verschlossen, die man nach Aushärten des Dämmers wieder entfernte. Zu guter Letzt wurden die Anschlüsse bündig abgefräst und per GFK-Handlaminat sauber an die Innenwand des neuen Kanals angeschlossen.
Werkstoff der 2. Generation
Erfreulich aus Sicht der KMG Pipe Technologies ist die Tatsache, dass angesichts der offensichtlichen Vorzüge des Systems kommunale Netzbetreiber historische Vorbehalte gegenüber dem Werkstoff PVC hintanstellen. Dass in jüngere Zeit bundesweit immer mehr, teils noch in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlassene Verbotssatzungen nach einer ökologisch aktualisierten Bewertung des Werkstoffes aufgehoben werden, ist den Verantwortlichen zusätzlicher Grund zur Zuversicht, dass das bauaufsichtlich zugelassene SPRTM -Wickelrohrverfahren seine Position im Kanalsanierungsmarkt in den nächsten Jahren konsequent ausbauen wird.
Das Interesse am Verfahren ist jedenfalls erkennbar groß: Im Rahmen einer Baustellen-Präsentation in der Stendaler Bruchstraße vom 17. bis zum 19. Mai 2011 informierten sich Abwasserexperten von Behörden und Wasserverbänden unter anderem aus Kiel, Magdeburg und Erfurt von den Einsatzmöglichkeiten, die das SPR-Verfahren in anspruchsvollen Einsatzfällen bietet. Darunter waren auch einige für die Kanalsanierung verantwortliche Mitarbeiter der Berliner Wasserbetriebe. Alle nahmen den gewickelten Haubenprofil-Liner auch unterirdisch sorgfältig in Augenschein. Inzwischen gehört die Baustelle wieder allein den KMG-Sanierungsexperten, die davon ausgehen, den Auftrag fristgerecht und erfolgreich bis Mitte Juli 2011 abschließen zu können.