Qualitätsmanagement von der Grundlagenermittlung bis zur Objektüberwachung
25.09.2018
Neubau eines Stauraumkanals im Rohrvortrieb in Nürnberg.
Von den Anwohnern kaum wahrgenommen, realisiert die Stadt Nürnberg eines ihrer größten Abwasserprojekte der letzten Jahre. Das Gesamtprojekt unter dem Stichwort „Gebietssanierung Siedlungen-Süd“ erstreckt sich über vier Stadtteile und soll das bestehende Kanalnetz hydraulisch verbessern, sodass die in DIN EN 752 geforderten Ziele von Entwässerungssystemen erreicht werden können.
Da die Gesamtmaßnahme voraussichtlich erst im Jahr 2031 fertig gestellt werden kann, fiel die Entscheidung hydraulisch besonders kritische Punkte mit Hilfe eines Stauraumkanals direkt zu „entschärfen“. Für die Errichtung kam aufgrund der vorliegenden Randbedingungen und insbesondere wegen der enormen Tiefenlage von gut 12 Metern nur der Rohrvortrieb in Frage.
Unter der Federführung des Eigenbetriebes Stadtentwässerung und Umweltanalytik (SUN) der Stadt Nürnberg wird diese Baumaßnahme, die im Gesamtplan den Bauabschnitt 5 darstellt, von Brochier Infra-Vortriebstechnik GmbH als Hauptauftragnehmer für die Rohrvortriebsarbeiten und dem Nachunternehmer Scharnagl Hoch- und Tiefbau GmbH für die Verbau-, Erd- und Stahlbetonarbeiten durchgeführt.
Mit dem Bau des Stauraumkanals aus Stahlbetonrohren, der aus einem Abschnitt DN 2400 und einem Abschnitt DN 1400 besteht und über ein Stauraumvolumen von insgesamt 4.300 m3 verfügt, wurde Mitte 2017 begonnen. Ende 2019 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein und der Stauraumkanal in Betrieb genommen werden. Für die Vergabe der Vortriebsarbeiten wurde seitens des SUN von den Bietern ein Qualifikationsnachweis gefordert. Dieser konnte gemäß Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 961 von beiden Firmen erbracht werden.
Know-How aus einer Hand
Die Meldungen über Schadensfälle aufgrund von Überflutungen erreichten die Stadt Nürnberg in den letzten 20 bis 30 Jahren immer regelmäßiger. Das betroffene Gebiet im Süden der fränkischen Metropole ist seit 1908 nach und nach erschlossen worden. Die zunächst eher geringer anfallende Schmutzwassermenge stieg in den letzten Jahren durch weitere Bebauung stetig an.
Zudem führte nicht zuletzt der Trend der letzten Jahre, den Versiegelungsgrad der Grundstücksflächen kontinuierlich zu erhöhen, in Kombination mit Starkregenereignissen zu mehr Abwasser in den Kanälen. „Das Kanalnetz konnte da einfach nicht mitwachsen“, erläutert Dipl.-Ing. (FH) Tanja Stöhr, Sachgebietsleiterin Kanalbau beim SUN, die Ausgangslage. „Da die Gesamtbaumaßnahme gerade den besonders betroffenen Anwohnern erst im Jahr 2031 geholfen hätte, haben wir uns entschieden, durch den Bau eines Stauraumkanals, der unterhalb des jetzigen Kanalnetzes liegt, die Situation vorgezogen zu verbessern.“
Der Stauraumkanal wird bis zur Fertigstellung der Gesamtbaumaßnahme zunächst nur im Fall eines Regen-wetterereignisses als Puffer genutzt. Das zwischengespeicherte, stark verdünnte Schmutzwasser wird dann über zwei Pumpwerke nach und nach in das bestehende Kanalnetz gepumpt, sobald dieses nach dem Regenereignis wieder Abwasser aufnehmen kann. Durch ingenieurmäßige technische Weitsicht in der Planung reinigt sich der Stauraumkanal zukünftig weitestgehend selbst. Auf diese Weise werden die Unterhaltskosten für Reinigungsmaßnahmen reduziert.
„In Nürnberg geht man bei der Planung und Durchführung von Projekten einen ganz besonderen Weg“, stellt Dipl.-Ing. Dieter Walter, Prüfingenieur beim Güteschutz Kanalbau, fest. „Da wird das jeweilige Projekt entsprechend den HOAI Leistungsphasen von der Grundlagenermittlung bis zur Objektbetreuung von qualifizierten Teams intern bearbeitet. Dazu gehört immer neben einer Projektleitung ein Planer, ein Zeichner und ein Bauüberwacher.“
Ingenieurbüros werden beispielsweise für komplexe Verkehrsleitplanungen eingebunden. Für das geologische Baugrundgutachten zeichnete sich bei dieser Baumaßnahme die LGA Bautechnik GmbH verantwortlich. Das Prinzip „alles aus einer Hand“ mit kompetenten Partnern wirke sich positiv auf die Qualität des Bauwerks aus.
Trassenplanung mit "Hindernissen"
Dipl.-Ing. (FH) Gunter Schramm, Planer beim SUN und Mitglied in dem Team, welches den Bauabschnitt 5 begleitet, war für die Trassenplanung des Stauraumkanals zuständig. „Die Situation war komplexer als zunächst gedacht. Die Trassenführung des Stauraumkanals musste in Abhängigkeit von mehreren Randbedingungen gefunden werden.“
Schramm spielt damit auf die verschiedenen Herausforderungen an, die bei der Planung berücksichtigt werden mussten: In den vorhandenen Grünstreifen zwischen den beiden zweispurigen Richtungsfahrbahnen durfte der Kanal nicht verlegt werden, da er als Straßenbahnerwartungsland freigehalten werden muss und keinerlei bauliche Einrichtungen innerhalb eines 7 m breiten Streifens liegen dürfen. Zusätzlich dient der Bereich der Baustelle derzeit als Umleitung für den Schwerlastverkehr einer anderen Großbaustelle in Nürnberg.
„Im Endeffekt haben wir uns dazu entschieden, die Trasse unterhalb der zweispurigen Fahrbahn stadtauswärts zu legen“, so Schramm. Dabei durfte die Fahrbahn aber während der Baumaßnahme nicht gesperrt werden. Ein weiterer Punkt, aufgrund dessen sich das Nürnberger Team für den Rohrvortrieb entschieden hat.
Rohrvortrieb in drei Etappen
Gebaut wird der Stauraumkanal in drei Vortrieben: Zwei davon verfügen über den Durchmesser DN 2400 der Dritte hat einen Durchmesser von DN 1400. „Das liegt daran, dass in diesem Abschnitt die notwendige Überdeckung für einen Vortrieb DN 2400 zu gering gewesen wäre“, erklärt Dipl.-Ing. (FH) Miriam Liß, Projektleiterin für den Bauabschnitt 5 beim SUN. Der Vortrieb DN 2400 wird von einer Startbaugrube aus in zwei Richtungen vorgenommen. Die erste Vortriebstrecke mit einer Länge von rund 300 m ist bereits fertiggestellt.
„Derzeit haben wir das Widerlager in der Startbaugrube umgebaut, sodass wir den zweiten Vortriebsabschnitt mit einer Länge von rund 600 m starten können“, erklärt Dipl.-Ing. Piotr Scharlata, Bauleiter von Brochier Infra-Vortriebstechnik. Und Dipl.-Ing. (FH) Markus Brüderer, Bauleiter von Scharnagl Hoch- und Tiefbau GmbH ergänzt: „Hierfür mussten wir die Startbaugrube zunächst um knapp 2 Meter tiefer ausheben, da der zweite Vortriebsabschnitt tiefer liegt als der erste. Etwas aufwendiger war da die Gestaltung und Ausbildung des Widerlagers.“
Immerhin durfte der bereits verlegte Rohrstrang nicht durch die Einleitung der Pressenkräfte in den Baugrund beschädigt werden. „Bei der Wahl der Vortriebmaschine kann man im Prinzip zwischen einem geschlossenen und einem offenen Schild wählen“, so Liß. Bei dieser Baumaßnahme entschied sich das Team des SUN für einen offenen Schild, dessen Abbaukammer aufgrund des Grundwassers mit Druckluft zwischen 0,3 und 0,4 bar beaufschlagt wird.
„Bei einem geschlossenen Schild kann es immer mal wieder passieren, dass es ein Problem im Baugrund gibt, der eine Bergegrube notwendig machen würde. Und das wäre bei der Umleitung für den Schwerlastverkehr, die um die Baustelle führt, nicht möglich gewesen“, erklärt Liß die Entscheidung für einen offenen Schild mit einer rotierenden Schräme. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Austausch der Abbauwerkzeuge einfacher erfolgen kann.
Rohrvortrieb vielfältig einsetzbar
Walter bedauert, dass der Rohrvortrieb derzeit viel zu wenig Anwendung findet: „Es gibt derzeit acht Vortriebsfirmen mit dem Gütezeichen VOD in Deutschland, die einen Vortrieb unter Druckluftstützung durchführen. Bei diesen Firmen wird kontinuierlich geprüft, ob neben dem qualifizierten Personal auch ausreichende Referenzen zum Erhalt des Gütezeichens VOD vorliegen.“
Eine weitere Ursache ist, dass die Ingenieurbüros über spezialisiertes Wissen verfügen müssen, um die Ausschreibung für den sogenannten „Grabenlos bemannten Einbau von Abwasserleitungen und -kanälen mit offenen steuerbaren Schilden unter Druckluft“ erstellen zu können. Dabei sei dieses Verfahren vielfältig einsetzbar und biete viele Vorteile.
Einer ist, dass die Anwohner kaum etwas von der Baumaßnahme mitbekommen. Diesen Umstand kann Miriam Liß nur unterstreichen: „Bei uns haben bereits Anwohner angerufen und gefragt, wann wir denn endlich mit dem Bau beginnen. Und dabei war der erste Rohrstrang von 300 m schon fertiggestellt.“
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