Baugrundrisiko beim Rohrvortrieb
12.04.2007
Der Erfolg eines jeden Rohrvortriebes hängt von der sicheren Beherrschung des Baugrundes und der hierin liegenden Risiken ab. Trotz dieser grundlegenden Erkenntnis, der Erarbeitung von technischen Vorschriften und Richtlinien, der Weiterentwicklung der Maschinentechnik sowie einer verfeinerten Mess- und Steuerungstechnik kommt es immer wieder beim Rohrvortrieb zu Schäden, die entweder unmittelbar den Vortrieb selbst oder das Umfeld, zum Beispiel bestehende Infrastruktur oder Bauwerke, betreffen. Die Ursachen sind vielfältiger Natur, lassen sich aber überwiegend auf die vorherrschenden Baugrundverhältnisse zurückführen, die entweder nicht zutreffend ermittelt, beschrieben, planerisch umgesetzt und/oder ausführungstechnisch berücksichtigt wurden.
Bei allen Baumaßnahmen des Hoch- und Tiefbaues bestehen im Hinblick auf den Erfolg stets Risiken. Besonders hohe Risiken sind bekanntlich im Tunnelbau gegeben, wozu auch der Rohrvortrieb gehört. Risiko bedeutet in diesem Zusammenhang Wagnisse bzw. Gefahren, die infolge von Unsicherheiten und Unwägbarkeiten bei der Ausführung des Rohrvortriebes bestehen. Qualitativ kann das Risiko sehr wohl beschrieben werden. Im Hinblick auf die Quantifizierung des Risikos, das sich aus der Versagenswahrscheinlichkeit (Bild 1) und dem Schadensausmaß ergibt, bestehen Unwägbarkeiten jedoch allein unter Berücksichtigung der Baugrundverhältnisse, das heißt der Materialeigenschaften und deren Streuung, der Modellbildung des Baugrundes und der hierfür maßgeblichen Randbedingungen im Hinblick auf Geometrie, Berechnung und Bemessung und nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung der Ausführungsart, der Ausführungsqualität, Überwachung usw.. Die Gründe für das Eintreten eines Schadens (Bild 2) sind vielfältiger Art. Sie können aber im wesentlichen wie folgt zusammengefasst werden:
- Nichtbeachtung technischer Vorschriften
- Zeitdruck und technische Schwierigkeiten bei der Abwicklung des Bauvorhabens, auch schon während der Planungsphase
- Unstimmigkeiten zwischen Planung, Entwurf und Ausführung
- Mangelnde Qualitätskontrolle
- Nachlässigkeiten bei der Bauausführung
- Mangelnde Ausbildung und Erfahrung des Baupersonals (vom Ingenieur bis zum Hilfsarbeiter)
- Keine ausreichende Erkundung des Baugrundes und der Gründungsbedingungen
Ziel des Rohrvortriebs ist es, Vortriebs-/ Produktrohre von einem Startschacht aus durch den Baugrund in eine Zielbaugrube vorzutreiben. Der zu durchfahrende Baugrund stellt für den Vortrieb die maßgebliche Ausführungsrandbedingung und damit im Hinblick auf die Risiken das maßgebliche Risiko dar. Es ist völlig unzureichend, den Baugrund nur im Bereich von Start- und Zielschacht aufzuschließen und hieraus auf den Baugrund zwischen den beiden Schächten zu schließen. Vielmehr sind die Untergrundverhältnisse im Bereich der Vortriebsstrecke gezielt zu untersuchen, so dass mögliche Unwägbarkeiten wie Baugrundschichtung, Boden-/Felsarten, Grundwasser, mögliche Hindernisse aus Baulichkeiten, Auffüllungen und vieles andere mehr weitestgehend ausgeschlossen werden können (Bild 3).
Klassen der Lockergesteine nichtbindig (LN), Korngröße ≤ 63mm | |||
---|---|---|---|
Lagerung | Lockergestein nichtbindig | ||
eng gestuft | weit oder intermittierend gestuft | ||
Klasse | Klasse | ||
locker | LNE 1 | LNW 1 | |
mitteldicht | LNE 2 | LNW 2 | |
dicht | LNE 3 | LNW 3 |
Klassen der Lockergesteine bindig (LB), Korngröße ≤ 63mm | |||
---|---|---|---|
Konsistenz | Lockergestein bindig | ||
mineralisch | organogen | ||
Klasse | Klasse | ||
breiig-weich | LBM 1 | LBO 1 | |
steif-halbfest | LBM 2 | LBO 2 | |
fest | LBM 3 | LBO 3 |
Zusatzklassen | |||
---|---|---|---|
Massenanteil der Steine | Steingröße | ||
bis 300 mm | bis 600 mm | ||
Klasse | Klasse | ||
bis 30 % | S 1 | S 3 | |
über 30% | S 2 | S 4 |
Klassen der Festgesteine | |||
---|---|---|---|
einaxiale Druckfestigkeit MN/m2 | Festgestein | ||
Trennflächenabstand im Dezimeterbereich | Trennflächenabstand im Zentimeterbereich | ||
Klasse | Klasse | ||
bis 5 | FD 1 | FZ 1 | |
über 5 bis 50 | FD 2 | FZ 2 | |
über 50 bis 100 | FD 3 | FZ 3 | |
über 100 | FD 4 | FZ 4 |
Jedem Bauherrn, jedem Planer, jedem Fachingenieur und jedem ausführenden Unternehmen muss bewusst sein, dass für den Tunnelbau bzw. für den Rohrvortrieb die Baugrundeigenschaften weitergehender und viel umfänglicher als für übliche Gründungen und normale Tiefbaumaßnahmen ermittelt werden müssen. Beim Rohrvortrieb kommt es im Gegensatz zu Baumaßnahmen mit normalem Schwierigkeitsgrad nicht allein auf die globalen Baugrundverhältnisse an, sondern vielmehr auf die im Einzelnen unmittelbar an der Ortsbrust anstehenden Untergrundbedingungen (Bild 6).
Für den Erfolg des Rohrvortriebs und zur Minimierung des Risikos ist die Erstellung richtiger Baugrundgutachten unabdingbar, da sie neben der technischen Relevanz auch von elementarer vertraglicher Bedeutung sind. Unter „richtig“ ist in diesem Zusammenhang nicht zu verstehen, dass zum Beispiel die Kenngrößen des Baugrundes richtig ermittelt werden. Vielmehr ist mit „richtig“ in diesem Zusammenhang gemeint, dass die für die Beurteilung des Rohrvortriebes maßgeblichen Parameter zutreffend ermittelt werden und dass die für den Rohrvortrieb (einschließlich Planung, Berechnung, Kalkulation und Ausführung) aus den ermittelten Baugrundeigenschaften sich ergebenden Einflüsse zutreffend unter Berücksichtigung der begrenzten Bestimmungsgenauigkeiten und der notwendigen Praktikabilität in einem Baugrundgutachten festgestellt werden. Für viele Bauherrn, Planer, Fachingenieure und ausführende Unternehmen ist oft unklar, was eigentlich unter einem Baugrundgutachten zu verstehen ist und welchen Zweck es erfüllen soll. In diesem Zusammenhang wird auf die europäische Normung verwiesen, bei der unter den Structural Eurocodes TC 250, in EN 1990 „Basis of design for structural Eurocodes“ auch der Eurocode EN 1997 mit der Überschrift „Geotechnical Design“ subsummiert wird, der in 3 Teile unterteilt ist. Teil 1: Geotechnische Planung; Teil 2: Laborversuche; Teil 3: Feldversuche. Die Erkenntnisse fließen in den so genannten „Geotechnical Report“, das Baugrundgutachten ein (Bild 8). Es setzt sich zusammen aus dem Bodenoder Felsgutachten, das im wesentlichen einen geotechnischen Untersuchungsbericht darstellt, und dem Grund- oder Tunnelbaugutachten, das dem Gründungsgutachten entspricht und Schlussfolgerungen aus dem Untersuchungsbericht für die bautechnische Planung und Ausführung herleitet, hier im konkreten Fall für den Rohrvortrieb.
Der immer stärker werdende Wettbewerb zwischen den Bauunternehmen, der Verlust an qualifizierten Mitarbeitern auf Auftraggeber- wie auf Auftragnehmerseite hat in der Vergangenheit zu einer Reihe von Schadensfällen geführt. Auch ist verstärkt zu beobachten, dass infolge des harten Wettbewerbs Bauunternehmen Aufträge mit unauskömmlichen Preisen einwerben bzw. aus Existenzgründen einwerben müssen und den hierdurch entstandenen wirtschaftlichen Nachteil durch ein intensives Nachtragsmanagement auszugleichen versuchen. Hierzu wird sehr häufig das so genannte Baugrundrisiko fälschlicherweise bemüht. Vielen Bauherren ist bei Auftragsvergabe die Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst, dass nicht der Preis über den Erfolg der ausgeschriebenen Maßnahme entscheidet. Hier gilt es, die beste technische Lösung für die jeweilige Aufgabenstellung zu finden, zu beauftragen und angemessen zu honorieren. Nur so wird es zukünftig möglich sein, Nachtragsauswüchse oder gar Schäden weitestgehend zu vermeiden. Die eigentliche Bauaufgabe muss wieder in den Vordergrund rücken und als gemeinsame Bauaufgabe verstanden werden. Deshalb gilt es für die Zukunft, folgende Ziele zu erreichen:
- Risikobewusstsein bei Bauherren schärfen
- Normen und Regelwerke anwenden
- Sachverständige für Geotechnik planungs- und baubegleitend einschalten
- Richtige Baugrundgutachten erstellen lassen
- Ausbildung der am Bau Beteiligten verbessern, sowohl auf Seiten der Bauherren wie auf Seiten der Planer, Fachingenieure und ausführenden Unternehmen
- Qualitätskontrollen nach dem Vieraugenprinzip durchführen lassen
- Staatlich anerkannte Sachverständige für Erd- und Grundbau, für die geotechnische/ erdstatische Prüfung einschalten
- Technisch beste Lösung zur Minimierung des Baugrundrisikos beauftragen und ausführen
[1] DIN 1054 (2005): Baugrund. Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau.
[2] DIN 4020 (2003): Geotechnische Untersuchungen für bautechnische Zwecke
[3] ATV – A 125 (1996): Grabenloser Rohrvortrieb. Regelwerk der Deutschen Vereinigung Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA)
[4] ATV – A 127 (2000): Statische Berechnung von Abwasserkanälen und -leitungen. Regelwerk der Deutschen Vereinigung Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA)
[5] ATV – A 161 (1990): Statische Berechnung von Vortriebsrohren. Regelwerk der Deutschen Vereinigung Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA)
[6] Borchert, K.-M., Placzek, D. und Lächler, W. (2001): Anforderungen an Baugrundgutachten zur Beherrschung der Risiken. Beratende Ingenieure. Heft 7/8, Springer- VDI-Verlag, Düsseldorf
[7] Englert, K., Grauvogel, J. und Maurer, M. (2004): Handbuch des Baugrund- und Tiefbaurechts. Werner-Verlag, Düsseldorf
[8] Godehart, M., Rizkallah, V. und Vogel, R. (1995): Zur Abschätzung des Restrisikos einer Baumaßnahme. Institut für Bauforschung e. V. Hannover. Heft 11
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