DEMO Leitfaden Mikrotunnelbau / Hrsg.: MUNLV NRW / Redaktion: D. Stein, A. Brauer (2003)

Einleitung

image
Bild 7.2-1: 

Nachteile bei der offenen Bauweise zur Verlegung von Abwasserleitungen und -kanälen (Teil 1) [GSTT]

image
Bild 7.2-2: 

Nachteile bei der offenen Bauweise zur Verlegung von Abwasserleitungen und -kanälen (Teil 2) [GSTT]

In der Bundesrepublik Deutschland müssen nach neueren Schätzungen [Dohma97] bis zum Jahre 2015 ca. 2000 km Abwasserkanäle pro Jahr mit einem Investitionsvolumen von über 1,2 Mrd. € pro Jahr neu verlegt werden. Über 80 % dieser Kanäle sind < DN/ID 800 und damit nichtbegehbar.

In diesen Schätzungen sind die Grundstückentwässerungen, d.h. die privaten Abwasserleitungen mit Nennweiten von überwiegend 150 ≤ DN/ID ≤ 300, noch nicht berücksichtigt. Bedenkt man, dass ihre Gesamtlänge etwa 2 bis 3 Mal größer ist als die der öffentlichen Abwasserkanäle in einem Entwässerungssystem [Berge02], so ist davon auszugehen, dass das erforderliche Investitionsvolumen weitaus höher ist, als oben angegeben.

Die Verlegung von Abwasserleitungen und -kanälen (nachfolgend zusammengefasst auch Kanäle genannt) erfolgt heute noch überwiegend in offener Bauweise nach DIN EN 1610 [DINEN1610:1997] [DINEN1610-1:1997] bzw. ATV-DVWK-A 139 [ATVA139:2002] durch Ausheben eines Grabens, Verlegen der Leitung im Schutze einer Böschung oder eines Verbaus und anschließendes Verfüllen des Grabens.

Im innerstädtischen Bereich unterliegt diese Bauweise zunehmend politisch-ökologischen Zwängen, da mit ihr häufig die im (Bild 7.2-1) und (Bild 7.2-2) dargestellten Nachteile verbunden sind.

Angesichts dieser Nachteile und des wachsenden Umweltbewusstseins der Bevölkerung ist es zwingend notwendig in Zukunft viel stärker als bisher bei der Umsetzung des o.a. gewaltigen Investitionsvolumens die in der Praxis seit Jahren bewährten Verfahren des grabenlosen Leitungsbaus [Stein03] [Stein82c] mit ihren bekannten und bestätigten ökonomischen und ökologischen Vorteilen als Alternative bei der Planung und Bauausführung von Kanälen zu berücksichtigen.

Dies gilt insbesondere für die Neuverlegung nichtbegehbarer Kanäle, bei denen noch immer große Unsicherheiten und Vorbehalte bezüglich ihrer unterirdischen Verlegung bestehen. Dies verdeutlicht die GSTT-Marktanalyse aus dem Jahre 1999, in der festgestellt wird, dass der Gesamtanteil der mit Hilfe unbemannt arbeitender, steuerbarer Verfahren verlegten Kanäle in der Bundesrepublik Deutschland durchschnittlich nur < 5 % beträgt. Nur 2 von 40 Kanalnetzbetreibern (Kommunen bzw. Entwässerungsbetriebe) nutzen alternative Ausschreibungen, um den Wettbewerb zwischen offener und geschlossener Bauweise herauszufordern [Schmi01].

Ziel dieses Leitfadens ist es, die zur grabenlosen Verlegung von Kanälen in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend zur Anwendung gelangenden Verfahren des Pilotrohr-Vortriebs (zwei- und dreiphasiger Vortrieb) und des Mikrotunnelbaus (einphasiger Vortrieb) unter folgenden Einsatzbedingungen praxisorientiert und komprimiert zu beschreiben:

  • Freispiegelleitungen mit Lagegenauigkeiten entsprechend (Tabelle 7.2-1)
  • Kreisringquerschnitte im Rohrnennweitenbereich 150 ≤ DN/ID ≤ 1200
  • Geradlinige Linienführung
  • Vortriebslänge bis 100 m (ohne Einsatz von Zwischenpressstationen und gezielter Schmierung des Rohrstrangs mit einem Gleit- und Stützmittel)
  • Baugrund: Lockergestein mit und ohne Grundwasser
  • Max. Überdeckungshöhe 10 m
  • Vortrieb der Vortriebsrohre durch Einpressen oder Einschieben.

Die o.g. Einsatzbedingungen decken die Standardfälle beim Bau von Kanälen ab. Alle davon abweichenden Anwendungsfälle (z.B. Vortrieb im Festgestein, mit gekrümmter Linienführung, von Rohren mit vom Kreisring abweichendem Querschnitt etc.) erfordern Spezialkenntnisse und -erfahrungen, um derartige Baumaßnahmen erfolgreich und wirtschaftlich planen und ausführen zu können. In diesem Zusammenhang sei auf das Fachbuch Stein, D.: "Grabenloser Leitungsbau" [Stein03] verwiesen, welches umfassend und damit auch ausführlich das gesamte diesbezügliche Verfahrensspektrum behandelt.

Der Leitfaden soll es Auftraggebern (i.d.R. Kommunen bzw. Kanalnetzbetreiber), Planern (z.B. Ingenieurbüros), Genehmigungsbehörden und Auftragnehmern (Bauunternehmen) ermöglichen, sich leichter mit dieser Bauweise vertraut zu machen, um diese zukünftig stärker als bisher in ihre Planungen und Bauaufgaben einbeziehen zu können.

Zu diesem Zweck enthält Abschnitt 16 eine zusammenfassende und übersichtliche Anleitung zur Nutzung dieses Leitfadens.

Weltweit haben positive Beispiele bewiesen, wo Auftraggeber die Möglichkeiten dieser Technik voll erkannt und entsprechend genutzt haben, hat der wirtschaftliche Durchbruch nicht auf sich warten lassen, auch wenn die Wettbewerbsverzerrung gegenüber der offenen Bauweise durch die Nichtberücksichtigung der indirekten Kosten noch immer nicht beseitigt ist (Abschnitt 15) [Möhri].

In diesem Zusammenhang fordert beispielsweise der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen (StGB NRW) [StGBNRW03], dass zur Vermeidung von Mobilitätseinbußen sowie zur Verringerung der Beeinträchtigungen für die Anlieger und nicht zuletzt zur Erhaltung der Straßensubstanz der grabenlose Leitungsbau generell Vorrang vor Aufgrabungen im Straßenraum haben sollte.

Es ist zu beachten, dass in einigen der im Leitfaden dargestellten Bildern aus Gründen der Übersichtlichkeit einzelne sicherheitstechnische Aspekte weggelassen wurden, so dass die gezeigten Situationen nicht immer den gültigen Vorschriften der Tiefbau-Berufsgenossenschaft (TBG) entsprechen (Abschnitt 10.1). Es ist anzumerken, dass es aus Sicht des Gesetzgebers nicht möglich ist, die Belange der Machbarkeit einer Arbeit, den Belangen des Arbeitsschutzes unterzuordnen. Deswegen hat der Gesetzgeber durch die Baustellenverordnung [BaustellV98] den Bauherrn in die Planung eingebunden, um dadurch die Machbarkeit der Arbeit in Übereinstimmung mit der Arbeitsschutzgesetzgebung sicherzustellen.

DEMO Leitfaden Mikrotunnelbau / Hrsg.: MUNLV NRW / Redaktion: D. Stein, A. Brauer (2003)