Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)

Methodik der Barwert- und Annuitätenberechnung

Bauliche Alternativen bei Kanalsanierungsprojekten verfügen bei unterschiedlich hohen Investitionskosten häufig über unterschiedliche Nutzungsdauern. Mit Hilfe der dynamischen Investitionsrechnung, die die Bewertung unterschiedlicher Zahlungszeitpunkte ermöglicht, werden alle Zahlungen auf einen Bezugszeitpunkt diskontiert und es können wiederholte Investitionen berücksichtigt werden. Ist von einer Nutzengleichheit der Alternativen auszugehen, so reduziert sich die Betrachtung auf einen Kostenvergleich anhand der Barwerte oder Annuitäten. Bestehen hinsichtlich der direkten Wirkungen monetarisierbare Nutzenunterschiede, so können diese ebenso wie relevante Differenzen monetarisierbarer indirekter Wirkungen bei dem erweiterten Kostenvergleich berücksichtigt werden.

In der Bundesrepublik Deutschland hat die "Länderarbeitsgemeinschaft Wasser" (LAWA) mit den "Leitlinien zur Kostenvergleichsrechnung" [LAWA93a] die Barwert- und Annuitätenberechnung als Methode der dynamischen Investitionsrechnung praxisbezogen erläutert. Die Nutzengleichheit der betrachteten Alternativen stellt eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Methodik dar. Bezogen auf die Kanalsanierung bedeutet dies zunächst eine gleichmäßige Eignung der Alternativen, die Abwasserableitung über gleichlange Zeiträume sicherzustellen sowie gleichwertige funktionale Eigenschaften (Abflußleistung, Stauraumvolumen etc.) aufzuweisen. Bei typischen Vergleichen wie z.B. der Kanalsanierung durch Auskleidung mit einem Inliner kann häufig von der funktionalen Nutzengleichheit ausgegangen werden. Signifikante Unterschiede hinsichtlich des Stauraumvolumens können anhand der Kosten der alternativen Herstellung dieser Funktion - etwa durch die Errichtung von Regenbecken - in den Vergleich eingeführt werden.

Untersuchungen über die den Sanierungsverfahren zuzuordnenden charakteristischen Betriebskosten liegen bislang nicht vor. Die betriebliche Praxis zeigt dagegen hinsichtlich der Kanalreinigung meistens keinen signifikanten Zusammenhang mit dem Sanierungsverfahren, sondern in erster Linie mit den Vorflutverhältnissen in Teilnetzen. Kanalinspektionsintervalle dürften in der Regel ebenfalls nicht von der Sanierungstechnik abhängig sein. Die Erwartung von unterschiedlich hohem Aufwand bei der baulichen Unterhaltung sollte bei der Festlegung der Nutzungsdauern Berücksichtigung finden. In vielen Fällen dürfte die wirtschaftlichste Alternative auch ohne die Berücksichtigung jährlicher Betriebskosten (Reinigung, Inspektion und bauliche Unterhaltung) bestimmbar sein.

Die Berücksichtigung der Zahlungszeitpunkte erfolgt nach der Vorstellung, daß eine gleich hohe Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt geringer zu bewerten ist, entweder weil bei erforderlicher Darlehensaufnahme Finanzierungskosten entfallen oder weil vorhandenes Kapital nicht gebunden wird. Dieser betriebswirtschaftlich übliche Ansatz der Investitionsentscheidung [Schie81] minimiert die gebührenwirksamen Kosten und führt gegenüber statischen Ansätzen der Investitionsentscheidung, welche die Zahlungszeitpunkte nicht bewerten, zu der Tendenz, bei festem Investitionsbudget zahlreichere Projekte kürzerer Nutzungsdauern zu realisieren. Dies scheint insbesondere in Anbetracht eines limitierten Budgets zur Sanierung zahlreicher Kanalschäden sinnvoll.

Zur Bewertung der Alternativen wird jeweils der Barwert nach der allgemeinen Gleichung

BW = D · K

mit

BW - Barwert [DM]

D - Dynamisierungsfaktor f (Zinssatz, Preissteigerung, Zahlungszeitpunkte)

K - Kosten

ermittelt. Die Kosten können sowohl als Einzelzahlungen als auch als Zahlungsreihen (Betriebskosten) auftreten. Ebenso wie die Bewertung anhand der Barwerte ist die Verwendung von Annuitäten (Jahreskosten) mit gleichem Ergebnis möglich:

A = D · K

mit

A - Annuität [DM/a].

Es ist darauf hinzuweisen, daß die Annuitätenberechnung dem relativen Vergleich der Projektalternativen dient und zahlenmäßig nicht der aus der Investition resulierenden Gebühr entspricht. Zugehörige Dynamisierungsfaktoren sind in (Table 5.7.1.1.5-1) [LAWA93a] formelartig und als Tabellenwerte angegeben. Aus den genannten Formeln ergibt sich die Bedeutung des Zinssatzes und des Zahlungszeitpunktes bzw. der einer Alternative zuzuordnenden Nutzungsdauer. Grundsätzlich begünstigen hohe Zinssätze solche Alternativen, die bei geringeren Investitionen kürzere Nutzungsdauern erwarten lassen und bis zu einem bestimmten Grad höhere betriebliche Aufwendungen erfordern.

Table 5.7.1.1.5-1: 

Gebräuchlichste finanzmathematische Umrechnungsfaktoren [LAWA93a]

Finanzmathematischer Umrechnungsfaktor
Faktor Bezeichnung
AFAKE(i;n) = (1 + i)n
bei einem Zinssatz i (absolut), z.B. 3% =
0,03
Akkumulationfaktor für einmalige Kosten
DFAKE(i;n) = 1 ⁄ (1 + i)n Diskontierungsfaktor für einmalige Kosten
KFAKR(i;n) = (i x (1 + i)n) ⁄ ((i+1)n - 1) Kapitalwiedergewinnungsfaktor
AFAKR(i;n) = ((1 + i)n - 1) ⁄ i Akkumulationsfaktor für eine gleichförmige jährliche
Kostenreihe
DFAKR(i;n) = ((1 + i)n - 1) ⁄ (i x (1 +
i)n)
Diskontierungsfaktor für eine gleichförmige jährliche
Kostenreihe
DFAKRP(r;i;n) = (1 + r) x ((1 + i)n − (1
+ r)n) ⁄ ((1 + i)n x (i − r))
bei einer jährlichen Steigerungsrate r
(absolut), z.B. 2 % = 0,02
Diskontierungsfaktor für eine progressiv jährlich
steigende Kostenreihe

Die Festlegung der methodischen Parameter der dynamischen Investitionsrechnung bleibt dem Träger der Baumaßnahme in den meisten Fällen vorbehalten. Hinsichtlich der Wahl des Zinssatzes sind unterschiedliche Empfehlungen zu finden. So empfiehlt die LAWA [LAWA93a] einen volkswirtschaftlich begründeten, realen Zinssatz von etwa 3 %, wohingegen Orth/Knollmann [Orth95] auch Werte in Höhe der Kreditzinssätze in Betracht ziehen, die bei etwa 6 % liegen dürften.

Die LAWA sowie das ATV-A 133 [ATVA133b] geben Hinweise auf Nutzungs- bzw. Abschreibungsdauern von Kanalisationsanlagen. Für neu verlegte Kanäle wird mit 50 bis 80 (100) Jahren jedoch eine sehr weite Spanne angegeben (Abschnitt 2.1) . Für Kanalsanierungen nennt die GSTT (Deutsche Gesellschaft für grabenloses Bauen und Instandhalten von Leitungen e.V.) in [GSTT1a] Nutzungsdauern, die für Reliningverfahren bis zu 50 Jahre betragen. In Anbetracht des großen Ermessensspielraumes und der Unsicherheiten der Material- und Verfahrensbeurteilung ist die realistische Festlegung von Nutzungsdauerverhältnissen für die technischen Alternativen ebenso bedeutsam wie diejenige absoluter Dauern.

image
Image 5.7.1.1.5-1: 

Berücksichtigung von Restnutzungsdauern durch Mehrfachinvestition

Die methodische Sicherstellung der Nutzengleichheit von Alternativen wird erschwert, wenn die Nutzungsdauern erst nach vielfacher Reinvestition einen gemeinsamen Planungshorizont ergeben, wie dies beispielsweise bei einer Renovierung mit der Nutzungsdauer 35 Jahre und einer Erneuerung mit der Nutzungsdauer 65 Jahre der Fall wäre. Während die LAWA die Festlegung des Betrachtungshorizontes auf das kleinste gemeinsame Vielfache der Einzelnutzungsdauern empfiehlt (Image 5.7.1.1.5-1) , formuliert Orth [Orth98] einen Dynamisierungsfaktor, der Restwerte aus unterschiedlichen Nutzungsdauern nach den Gesichtspunkten der dynamischen Investitionsrechnung berücksichtigt. Für eine Investition mit der Nutzungsdauer N ergibt sich der Barwert BW für einen Planungshorizont L und einen Zinssatz i zu

BW = DRFW (i; N; L) · K

Der Dynamisierungsfaktor bestimmt sich nach

DRFW (i; N; L) = (1-(1+i)-N)/(1-(1+i)-L)

mit

DRFW - Dynamisierungsfaktor

i - Zinssatz

N - Planungszeitraum

L - Nutzungsdauer.

Soll eine Preissteigerung berücksichtigt werden, so gibt Orth den Faktor

DRFW(i; r; N; L) = (1-((1+r)/(1+i))N/(1-((1+r)/(1+i))L)

mit

DRFW; i; N; L wie vor

r - Preissteigerungsrate

an. Die Ermittlung der Annuitäten erfolgt bei Verwendung des Dynamisierungsfaktors nach Orth mit der Gleichung

A = ((i·(1+i)N)/((1+i)N-1)·BW,

wobei die Variablen in der Bedeutung entsprechend (Table 5.7.1.1.5-1) zu verwenden sind.

Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)