Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)

Mikrobiologische Vorgänge

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Image 2.6.3.2.2-1: 

Biogene Schwefelsäure-Korrosion in einem Schacht [FI-Hermea]

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Image 2.6.3.2.2-2: 

Prinzipieller Ablauf bei der Biogenen Schwefelsäure-Korrosion in Anlehnung an [Bock84]. [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

Eine besondere Art der Innenkorrosion stellt bei teilgefüllten Kanälen aus zementgebundenen Werkstoffen die Biogene Schwefelsäure-Korrosion (BSK), auch Sulfidkorrosion oder Biogene Säure-Korrosion genannt, dar.

Während bei der Korrosion infolge direkter Einwirkungen aggressiver Abwässer ausschließlich der benetzte Kanalbereich betroffen ist, sind die Auswirkungen der Biogenen Schwefelsäure-Korrosion, d.h. der mikrobiologischen Vorgänge, nur im Gasraum, d. h. oberhalb des Abwasserspiegels, zu finden (Image 2.6.3.2.2-1) (Image 2.6.3.2.2-2) .

Man unterscheidet nach [Biele87b] verschiedene Formen des Entstehens der BSK, die durch biologisch gebildete (biogene) Schwefelsäure verursacht wird, die aber auch kombiniert auftreten können:

  • Endogene Form: Die Ursache der BSK liegt innerhalb des Kanalsystems. Man unterscheidet:
    • Autogene Form: Sulfide entwickeln sich aus organischen und anorganischen Schwefelverbindungen in der Sielhaut, im Abwasser und in den Ablagerungen.
    • Allogene Form: Sulfide entstehen durch ungünstige Betriebsbedingungen, aber an anderer Stelle im Kanalsystem.
  • Exogene Form: Sulfide können direkt mit gewerblichen und industriellen Abwässern eingeleitet werden.

Die im Abwasser sowie in den Ablagerungen - reduktiver Teil der Leitung - enthaltenen Proteine (Eiweißstoffe) werden durch mikrobielle Vorgänge unter anaeroben oder aeroben Bedingungen zu flüchtigen Schwefelverbindungen, hauptsächlich Schwefelwasserstoff, abgebaut. Zusätzlich können durch bakteriellen Stoffwechsel unter anaeroben Bedingungen Sulfate zu Schwefelwasserstoff reduziert werden (Desulfurikation).

Als wesentliche Einflußparameter auf die Bildung der flüchtigen Schwefelverbindungen sind die herrschenden Betriebsbedingungen in Form von Abwasserbeschaffenheit, Temperatur, Fließzeit und Ablagerungen zu nennen.

Insbesondere bei sehr langen Fließstrecken und bei noch nicht voll ausgelasteten Kanälen mit minimalster Teilfüllung und fehlender Be- und Entlüftung muß grundsätzlich mit der Entstehung von flüchtigen Schwefelverbindungen gerechnet werden [Biele87b] [Führb82] [Gebha81] [Kieno79] [Klose80] [Neuma77] [Pomer74] [Pomer80] [Richa79] [Rüffe78] [Schre80] [Schre85] [Seyfr82] [Thist79] [Viehl47] [Wagne79] . Da diese Verbindungen im Abwasser nicht schnell genug oxidiert werden, gelangen sie durch Diffusion und Turbulenzen aus dem Abwasser in die Kanalatmosphäre - den oxidativen Teil des Leitungsquerschnittes - und somit auch an die Kanalwandung. Dort werden die Verbindungen chemisch zu elementarem Schwefel aufoxidiert. Dieser wird wiederum von verschiedenen in der Sielhaut lebenden Thiobazillen, die bei einem sehr niedrigen pH-Wert um 1 lebensfähig sind, bei Vorhandensein ausreichender Feuchtigkeit zu Schwefelsäure oxidiert, die ihrerseits zementgebundene Werkstoffe angreift [Biele83] [Biele87b] .

Bei idealen Temperaturbedingungen ist eine Schwefelsäurekonzentration bis 23 % [Klose80] möglich. Bei den bei uns üblichen Abwassertemperaturen zwischen 10° C und 20° C beträgt der Säuregehalt ungefähr 7 % - 9 %. Der optimale Säuregehalt von 34,4% liegt bei 30° C, während eine Abwassertemperatur von 37° C eine Schwefelsäurebildung von 26,1 % bewirken kann.

Besonders gefährdet durch Biogene Schwefelsäure-Korrosion sind Kanalstrecken in denen gleichzeitig Sauerstoff im Gasraum zur Verfügung steht nach

  • Pumpwerken,
  • Eintritt von Druckleitungen,
  • Einleitung sulfidhaltiger Abwässer aus
    • Absetzanlagen,
    • Gewerbe und Industrie,
  • Einleitung aus Druckentwässerungssystemen,
  • Abstürzen und anderen Bauwerken, durch die Turbulenzen erzeugt werden [Biele83] .

Bei den Thiobazillen, insbesondere der Gattung Thiobazillus thiooxidans, handelt es sich um ausgesprochen säureresistente Bakterien, die sich nur bei pH-Werten unterhalb von etwa 6,5 entwickeln und deren Aktivitäten u. a. von der Temperatur und der Feuchtigkeit der Kanalwandung abhängig sind. So unterliegen ständig trockenbleibende Bauteile, wie z. B. gut belüftete Kanäle, Belüftungsschächte, keinerlei Korrosionserscheinungen (Abschnitt 1.10) .

Die erforderliche Reduzierung des pH-Wertes - bei jungem Beton liegt der pH-Wert zwischen 11 und 12 - ist zum einen auf die Carbonatisierung und zum anderen auf die Aktivitäten anderer Bakteriengattungen zurückzuführen.

Zur Beurteilung der Stärke bzw. der Auswirkungen der Biogenen Schwefelsäure-Korrosion wurde im Rahmen des Hamburger Forschungsvorhabens. "Demonstrationsobjekt Hamburger Sammlersystem" [Biele83] ein Bewertungsschema entwickelt, bei dem in Abhängigkeit der korrespondierenden Parameter

  • pH-Wert in Kondenswassertropfen an der Kanalwandung,
  • Sulfid-Konzentration im freien Querschnitt des Abwasserkanals,
  • vorhandene Anzahl der Thiobazillen

der Angriffsgrad der Korrosion in schwach, mittel und stark unterteilt wird (Table 2.6.3.2.2-1) .

 
Table 2.6.3.2.2-1: 
Beziehungen zwischen Ursachen und Auswirkungen der Biogenen Schwefelsäure-Korrosion in teilgefüllten Kanälen aus zementgebundenen Werkstoffen [Biele87b]

 

Nach dem Stand der Erkenntnisse signalisieren Grenzwerte für die Gesamt-Sulfidmenge im Abwasser von ≥ 1,0 mg/l bzw. eine H2 S-Konzentration von ≥ 0,5 ppm in der Kanalatmosphäre einen möglichen starken Angriffsgrad der BSK [DIN4060:1988] .

Weitergehende Ausführungen zu diesem Problembereich sind insbesondere enthalten in [Biele87a] [Thist79] .

Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)